12.12.2022

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Egon Schiele: neueste Forschungen

Die Tagungsbände zum 3. und 4. Schiele-Symposium sind erschienen. In beiden Bänden werden auch restauratorische Fragen erörtert. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien
Die Tagungsbände zum 3. und 4. Schiele-Symposium sind erschienen. In beiden Bänden werden auch restauratorische Fragen erörtert. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien

Das Leopold Museum in Wien veröffentlichte die Tagungsbände zum 3. und 4. Egon Schiele-Symposium. In beiden Bänden werden auch restauratorische Fragen erörtert: So präsentiert etwa Stefanie Jahn, Leiterin der Abteilung Konservierung und Restaurierung der Österreichischen Galerie Belvedere, ihre neueste Forschung an den Schiele-Gemälden der Sammlung des Belvedere, Sandra Maria Dzialek, Leiterin der Restaurierungsabteilung des Leopold Museum, stellt eine kunsttechnologische Bestandsaufnahme an Schieles Häuserlandschaften im Bestand des Leopold Museum vor und Wien Museum-Restauratorin Karin Maierhofer berichtet von ihren neuesten Untersuchungen zu Egon Schieles Gemälde „Junge Mutter“

Bereits zum vierten Mal war das Leopold Museum im Vorjahr Schauplatz des Egon Schiele-Symposiums, ein von Wiener Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger und Verena Gamper, Leiterin des Leopold Museum Forschungszentrum, initiierter Treffpunkt der Schiele-Forschung. Das Symposium stellt die wichtigste regelmäßige Plattform für die Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zu dem bedeutenden österreichischen Expressionisten Egon Schiele (1890–1918) dar. Die Vorbereitungen für das 5. Egon Schiele-Symposium, das für den Spätherbst 2023 geplant ist, haben bereits begonnen.

Die Tagungsbände zum 3. und 4. Schiele-Symposium sind ab sofort im Leopold Museum erhältlich

 

Nach dem 3. Egon Schiele-Symposium im November 2019, folgte das 4. Egon Schiele-Symposium im Dezember 2021, COVID-bedingt als Online-Veranstaltung. Die Tagungsbände zum 3. und 4. Schiele-Symposium sind ab sofort im Leopold Museum erhältlich. „Dialog und Inszenierung“ lautet der Titel der Publikation zum 3. Egon Schiele-Symposium. Er verweist auf die inhaltlichen Schwerpunkte der Konferenz, die am 10. November 2019 im Leopold Museum stattfand. Der Fokus der Veranstaltung lag auf dem Dialog zwischen Medizin und Kunst der Wiener Moderne, ein weiterer Akzent war der Blick auf die unterschiedlichen Wege der Selbstinszenierung des Künstlers Egon Schiele.

Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Restaurierung

 

Darüber hinaus wurden Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Restaurierung präsentiert. Der Tagungsband zum 4. Egon Schiele-Symposium beleuchtet „Milieus und Perspektiven“. Die Beiträge reichen von Erkenntnissen zu Schieles früher Ausstellungstätigkeit, über die Untersuchung des künstlerischen Milieus, in dem sich Egon Schiele bewegte – anhand der gemeinsamen Teilnahme von Gustav Klimt und Egon Schiele an bedeutenden Kunstausstellungen – sowie die Beziehung Schieles zur schillernden Künstlerpersönlichkeit Erwin Osen bis zu einer Genealogie der Totenmasken Egon Schieles.

„Die Tagungen sind ein starkes Signal für die Vitalität und Relevanz des wissenschaftlichen Diskurses zu Schiele“

 

„Unser großer Dank gilt allen Vortragenden des dritten und vierten Egon Schiele-Symposiums, deren erkenntnisreiche Beiträge nun in Form dieser beiden neuen, umfassenden und reich illustrierten wissenschaftlichen Publikationen vorliegen“, erklärt Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum. „Darüber hinaus danken wir auch allen Teilnehmer:innen der Symposien, die das profunde Angebot an wissenschaftlichen Neuigkeiten vor Ort oder online mit großem Interesse verfolgten und nicht zuletzt dem Team des Leopold Museum für die Unterstützung bei der Organisation und Umsetzung der Veranstaltungen und der diese begleitenden Publikationen. Die Tagungen sind ein starkes Signal für die Vitalität und Relevanz des wissenschaftlichen Diskurses zum Ausnahmekünstler Egon Schiele und zu den Errungenschaften der Wiener Moderne.” Verena Gamper, Leiterin des Leopold Museum-Forschungszentrum, führt aus, dass das dritte und das vierte Egon Schiele Symposium, deren Ergebnisse nun in Form von zwei Tagungsbänden vorliegen, dem Anspruch verpflichtet seien, die Vielfalt der Zugänge zu Egon Schiele durch einen breiten Fächer an unterschiedlichen Perspektiven abzubilden. „Die Zahl der Anknüpfungspunkte zeigt die Vitalität von Schieles Werk, dessen Bewahrung und Erforschung wir uns in unserer wissenschaftlichen Arbeit verpflichtet fühlen, “ fügt die Expertin hinzu.

 

 

Egon Schiele (1890–1918), Erwin Dominik Osen als Akt mit überkreuzten Armen, 1911, Schwarze Kreide, Aquarell, Gouache auf Papier, 44,7 x 31,5 cm, Leopold Museum, Wien, Inv. LM 2347. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien /
Egon Schiele (1890–1918), Erwin Dominik Osen als Akt mit überkreuzten Armen, 1911, Schwarze Kreide, Aquarell, Gouache auf Papier, 44,7 x 31,5 cm, Leopold Museum, Wien, Inv. LM 2347. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien
Egon Schiele (1890–1918), Selbstakt mit gespreizten Fingern, 1911, Bleistift, Gouache, weiß (gehöht) auf Papier, 53 x 29,1 cm, Leopold Museum, Wien, Inv. LM 1383. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien
Egon Schiele (1890–1918), Selbstakt mit gespreizten Fingern, 1911, Bleistift, Gouache, weiß (gehöht) auf Papier, 53 x 29,1 cm, Leopold Museum, Wien, Inv. LM 1383. Foto: Manfred Thumberger / Leopold Museum, Wien

Die Beiträge zum 3. Egon Schiele-Symposium

Für das 3. Egon Schiele Symposium konnte der aus Wien stammende Nobelpreisträger Eric R. Kandel als Keynote Speaker gewonnen werden. Der renommierte Neurowissenschaftler und Autor des Standardwerkes „Das Zeitalter der Erkenntnis – Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Hirn“ knüpfte in seinem Vortrag „The Age of Insight – The Origins of Modernist Thought“ an seine herausragenden Forschungsresultate zu den in „Wien um 1900“ auf einzigartige Weise miteinander verwobenen Gebieten der Wissenschaft und Kunst an. Gemma Blackshaw vom Royal College of Art referierte über die „klinische Moderne“, eine Verflechtung klinischer Medizin mit moderner figurativer Kunst. Davon zeugt die Verbindung von Egon Schiele mit dem von ihm porträtierten Gynäkologen Erwin von Graff, die unter anderem in einer Reihe von drastischen Studien schwangerer Frauen und Neugeborener mündete. Die Philosophin und Künstlerin Elisabeth von Samsonow analysierte in ihrem Beitrag den Einfluss der Publikationen des Wiener Prähistorikers Moriz Hoernes und des deutschen Kunsthistorikers Wilhelm Worringer auf Schiele. So fanden zahlreiche urgeschichtliche Motive Eingang in das Werk des Künstlers. Der Kunsthistoriker Patrick Werkner analysierte anhand des verschollenen Werkes „Begegnung“ in seinem Beitrag die Selbst-Ikonisierung Schieles durch sakrale Erhöhung, etwa in Form von (Selbst-)Porträts mit Heiligenschein. Leopold Museum-Kuratorin Verena Gamper untersuchte die Ausstellungstätigkeit Schieles hinsichtlich der Bedeutung des Mediums Ausstellung als erweiterter Inszenierungsraum und als Möglichkeit zur Vermarktung, Image- und Meinungsbildung. Stefanie Jahn, Leiterin der Abteilung Konservierung und Restaurierung der Österreichischen Galerie Belvedere, präsentierte ihre Untersuchungen an den 16 Schiele-Gemälden der Sammlung des Belvedere. Ihre Kollegin Agathe Boruszczak, ebenfalls Restauratorin im Belvedere, begab sich in ihren Ausführungen auf die Spuren der Genese von Schieles Porträt seiner Frau Edith. Sandra Maria Dzialek, Leiterin der Restaurierungsabteilung des Leopold Museum, präsentierte die Ergebnisse der strahlendiagnostischen und materialtechnischen Untersuchungen an Schieles Meisterwerk „Eremiten“.

Die Beiträge zum 4. Egon Schiele-Symposium

Zum Auftakt des 4. Egon Schiele-Symposium folgte Belvedere-Kurator Franz Smola in seinem Beitrag den Spuren von Schieles verschollen geglaubtem Gemälde Jugendströmung, mit dem der Künstler bei der Internationalen Kunstschau Wien 1909 debütierte, und legte dar, dass es sich um das lange als Danae bezeichnete Bild handelt. Sandra Tretter, stellvertretende Direktorin der Klimt-Foundation, skizzierte in ihrem Vortrag die künstlerischen Berührungspunkte zwischen Egon Schiele und Gustav Klimt anhand gemeinsamer Ausstellungsbeteiligungen, von der Internationalen Kunstschau Wien 1909 bis zur Wiener Kunstschau 1916 in der Berliner Secession. Sammlerin Elisabeth Leopold widmete sich in ihren Ausführungen den Fakultätsbildern Gustav Klimts als einem wesentlichen Bezugspunkt für Schieles Schaffen. Albertina-Kuratorin Elisabeth Dutz gab Einblick in Max Wagners Egon Schiele Archiv und rekonstruierte die Genealogie der Totenmasken Egon Schieles. Leopold Museum Forschungszentrum-Leiterin Verena Gamper widmete sich der Verflechtung von Kunst und Klinik anlässlich der Entdeckung und Erwerbung einer Reihe von im Garnisonsspital II in Wien entstandenen Patientenzeichnungen aus der Hand von Schieles Künstlerkollegen Erwin Osen und stellte sie Schieles Zeichnungen von Schwangeren und Neugeborenen gegenüber, die im Zuge seiner Besuche der 2. Wiener Frauenklinik entstanden. Christian Bauer, Kurator des Egon Schiele-Museums in Tulln, der Geburtsstadt des Künstlers, widmete sich in seinen Darlegungen dem Phänomen der facettenreichen Künstlerpersönlichkeit Erwin Osen, dessen Weg sich einst mit jenem Schieles kreuzte. Jane Kallir, renommierte Schiele-Expertin und Präsidentin des Kallir Research Institute New York, welches 2021 erstmals Kooperationspartner des Symposiums war, recherchierte für ihren Beitrag Spuren der Freundschaft Schieles mit Max Oppenheimer, Erwin Osen und Willy Lidl, die den Künstler mit der homosexuellen Subkultur jener Zeit in Berührung brachte. Kunsthistorikerin Gemma Blackshaw und Architekturhistoriker Adam Kaasa vom Londoner Royal College of Art näherten sich Erwin Osens Porträt „Lustknabe“ in Form eines dialogischen Briefwechsels auf Basis feministischer und queerer Theorie. Auch im Rahmen des vierten Schiele-Symposiums wurden restauratorische Fragen erörtert. Wien Museum-Restauratorin Karin Maierhofer präsentierte neueste Untersuchungen zu Egon Schieles Gemälde Junge Mutter und zeigte interessante Unterschiede zwischen einer früheren Fassung und der finalen Version auf. Sandra Maria Dzialek, Leiterin der Abteilung für Konservierung und Restaurierung des Leopold Museum, präsentierte eine kunsttechnologische Bestandsaufnahme zu Schieles 13 Häuserlandschaften im Bestand des Leopold Museum einschließlich der Entdeckung des verschollen geglaubten Werkes Weltwehmut, das sich unter dem Gemälde Die kleine Stadt IV (Krumau an der Moldau) befindet.

Egon Schiele. Dialog und Inszenierung. 3. Egon Schiele-Symposium im Leopold Museum, Leopold Museum-Privatstiftung, Wien 2022, 144 Seiten, rund 110 Abbildungen, 14,90 Euro, erhältlich im Leopold Museum Shop 

Egon Schiele. Milieus und Perspektiven. 4. Egon Schiele-Symposium im Leopold Museum, Leopold Museum-Privatstiftung, Wien 2022, 176 Seiten, rund 140 Abbildungen, 14,90 Euro, erhältlich im Leopold Museum Shop

 

Lesetipp: Seit Oktober 2022 attackieren Klimaaktivist:innen berühmte Kunstwerke in europäischen Museen. Mitte November traf es das Gemälde „Tod und Leben“ von Gustav Klimt im Wiener Leopold Museum. Der Österreichische Museumsbund reagierte mit einem Offenen Brief an die Aktivist:innen

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