10.01.2023

Ausstellungen Forschung Kulturerbe Museum

Wege der Kunst: Wie Objekte ins Museum kommen

Nell Walden in ihrer Berliner Wohnung mit ihren Sammlungen aussereuropäischer Kunst, um 1925, die über unterschiedliche Stationen den Weg ins Museum Rietberg gefunden haben. Foto: Hdschr. 121, Blatt 81 v, Handschriftenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin /bpk / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Nell Walden in ihrer Berliner Wohnung mit ihren Sammlungen aussereuropäischer Kunst, um 1925, die über unterschiedliche Stationen den Weg ins Museum Rietberg gefunden haben. Foto: Hdschr. 121, Blatt 81 v, Handschriftenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin /bpk / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich

Das Museum Rietberg in Zürich gibt zum ersten Mal einen umfassenden Einblick in seine Sammlungsgeschichte und lädt dazu ein, anhand von Objektbiografien – das heißt den Geschichten der Objekte und der Menschen, die an deren Reise ins Museum beteiligt waren – die Wege der Kunst zu erfahren (bis 25. Juni 2023). Die Provenienzen der Werke stehen dabei im Vordergrund ebensowie laufende Forschungs- und Kooperationsprojekte. Mit dieser intensiven kritischen Reflexion und der daraus beginnenden Umgestaltung der Sammlung kann die Institution Vorbild für andere Museen sein

Mit der Ausstellung „Wege der Kunst“ lädt das Museum Rietberg in Zürich erstmals umfassend der Sammlungen neu zu entdecken ein. Immer ausgehend vom Objekt verfolgt die Ausstellung anhand von mehr als 20 Stationen den „Weg des Werkes“ und thematisiert damit sein vormuseales Leben: Durch welche Hände ist es gegangen, um ins Museum zu gelangen? Woher kommt es? Wie ist es gelesen worden? Was hat es erlebt? Und wie ist es auf ihrem Weg verändert worden?

Geschichten von Transfer und Transformation der Objekte

 

Kuratorin Esther Tisa Francini entwickelte mit ihrer Assistentin Sarah Csernay das Konzept für die Schau, die die Objekte auf eine ganze neue Art und Weise aktiviert und aus verschiedenen Perspektiven von ihrer Entstehung zur Erwerbung und schließlich bis zu ihrer Präsentation im Museum beleuchtet; umgesetzt wurde es im Team mit den Kolleg:innen. „Ein Museum ist traditionell ein Ort der Überlieferung mit einem hohen Grad an Zufälligkeit“, erklärt Provenienzforscherin Esther Tisa Francini. „Informationen über Herkunftskontexte und Sammlungszusammenhänge gehen häufig verloren. Dies hat dem Kunstmuseum zuweilen zur ästhetischen Legitimation seiner Ausstellungsstücke verholfen, denn die Kunstwerke entfalten ohne Nebengeräusche ihre volle Ausdruckskraft. So erfolgreich Dekontextualisierung und Ästhetisierung der Objekte für das Museum Rietberg, die Dauerausstellung und die kunstgeschichtliche Forschung auch sind, so wichtig sind auch die neuen Narrative zur Sammlungsentstehung und ihren Begleitumständen.“ Denn wenigsten Objekte in den Sammlungen des Museums Rietberg waren ursprünglich für eine Präsentation im Museum bestimmt. Sie dienten religiösem Gebrauch oder waren geschaffen worden zur rituellen Verwendung. Wiederum andere entstanden aus privater Liebhaberei, zu dekorativem Zweck oder dienten dem wissenschaftlichen Studium und repräsentativem Prestige. Der Ausstellungparcours erzählt Geschichten von Transfer und Transformation der Objekte. 

Grosse Flügelmaske, kepong. Papua-Neuguinea, Neuirland, 19. Jh., Holz, Bast, Fruchtkapseln, Textilien, Museum Rietberg, RME 405, Geschenk Eduard von der Heydt. Provenienz: […]; bis spätestens 1932, Albert und Toni Neisser; spätestens 1932–1945, Nell Walden; ab 1945–1952, Eduard von der Heydt Foto: Rainer Wolfsberger / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Grosse Flügelmaske, kepong. Papua-Neuguinea, Neuirland, 19. Jh., Holz, Bast, Fruchtkapseln, Textilien, Museum Rietberg, RME 405, Geschenk Eduard von der Heydt. Provenienz: […]; bis spätestens 1932, Albert und Toni Neisser; spätestens 1932–1945, Nell Walden; ab 1945–1952, Eduard von der Heydt Foto: Rainer Wolfsberger / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Blick in die Ausstellungsvitrine der 
Sammlerin Nell Walden. Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Blick in die Ausstellungsvitrine der 
Sammlerin Nell Walden. Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich

Dieser ist, wie Museumsdirektorin Annette Bhagwati erläutert, in die Dauerausstellung und damit ins Herz des Museums selbst verlegt. „Damit wurde das Team vor besondere Herausforderungen gestellt. Das Narrativ und mit ihm die gesamte Sammlung gerieten in Bewegung, bestehende kuratierte Räume mussten neu organisiert, Werke entfernt, andere hinzugefügt, Vitrinen verschoben, Anordnungen neu konzipiert und Texte neu geschrieben werden.“ Jede Station enthüllt nun eine Geschichte und die jeweiligen Hintergründe der Präsentation der Kunstwerke im Museum. 

Die Ausstellung „Wege der Kunst“ bezieht alle Abteilungen und Objektgattungen im Museum Rietberg mit ein

 

Alle Abteilungen und Objektgattungen des Museums sind miteinbezogen: von Textilien, Steinskulpturen, Bronze- und Keramikobjekten über Schnitzereien bis hin zu Malereien und Holzschnitten, Fotografien sowie Büchern und Schriftstücken. Die Objekte werden nicht isoliert gezeigt, sondern um ihre vielschichtigen Kontexte angereichert. Zusammen mit Dokumenten, Briefen, Fotografien, Rechnungen, Katalogen, Karteikarten und Inventarbüchern bilden sie eine Einheit, eine Geschichte. „Die Ausstellung zeigt, wie vielfältig die Zugänge, Zuschreibungen und Perspektiven auf die Objekte sind: Ob Kunstwerk oder Ritualobjekt, Sammlungsgut oder zu Unrecht Angeeignetes, faszinierend Fremdes oder Familienerbstück – all dies ist eine Frage der Perspektive“, führt Museumsdirektorin Annette Bhagwati weiter aus. „Diese Vielfalt der Perspektiven und Stimmen heißt für uns als Museum aber auch, dass die Frage nach der Erforschung und dem künftigen Umgang mit den Werken nur im Dialog gelingen kann: nämlich gemeinsam mit denen, deren Geschichten sich in die Werke eingeschrieben haben und deren Biografien mit ihnen verwoben sind – mit Partnerinnen und Partnern der Herkunftsländer, mit Sammlererben, Händlernachkommen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit Kunst- und Kulturschaffenden und mit all jenen, für die die Werke eine tiefe persönliche oder kulturelle Bedeutung haben. Indem Geschichte in diesem Sinne als geteilte Geschichten verstanden wird und die Sammlungen immer wieder in einen lebendigen Austausch gebracht und gemeinsam erschlossen werden, schreiben sich auch die Biografien der Objekte am Museum weiter fort.

 

Historische Ansicht der Villa Wesendonck. Das Das Gebäude beherbergt seit 1952 das Museum Rietberg. Erste Sammlungseinrichtung, 1952. Foto: © Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich /Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Historische Ansicht der Villa Wesendonck. Das Das Gebäude beherbergt seit 1952 das Museum Rietberg. Erste Sammlungseinrichtung, 1952. Foto: © Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Anlieferung der Kunstwerke, um 1951, Sammlung Eduard von der Heydt. Foto: © Museum Rietberg Zürich / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
© Museum Rietberg Zürich / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Historische Ansicht der Villa Wesendonck, erste Sammlungseinrichtung, 1952. Foto: © Museum Rietberg Zürich
Historische Ansicht der Villa Wesendonck, erste Sammlungseinrichtung, 1952. Foto: © Museum Rietberg Zürich / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich

Die Schau „Wege der Kunst“ bereitet den Boden, um diese Fragen in Zukunft gemeinsam anzugehen, fügt Annette Bhagwati hinzu. Eingang in die Ausstellung finden auch Projekte wie das Forschungsprojekt, das sich der Aufarbeitung der Provenienzen der Sammlung von Charles A. Drenowatz widmet, oder die Benin Initiative Schweiz (BIS). Unter Ägide (und Initiative) von Dr. Michaela Oberhofer und Esther Tisa Francini haben sich acht Schweizer Museen der kollaborativen Provenienzforschung zu Kunstwerken aus dem Königtum Benin verschrieben haben. „Die Benin Initiative Schweiz versteht die kollaborative Provenienzforschung als wichtigen Schritt zur Dekolonisierung der Museen, indem die Objektbiografien als geteilte Geschichte aufgearbeitet und die Objekte transdisziplinär und multiperspektivisch betrachtet werden“, betonen Dr. Michaela Oberhofer, Kuratorin für Afrika und Ozeanien sowie Leiterin des Bereichs Sammlungsdienste, und Esther Tisa Francini. „In diesem Sinne wird die Vergangenheit der Benin-Sammlungen als eine ,integrierte Geschichte‘ erzählt, die sowohl die Bedeutung und den Gebrauch im Herkunftsland wie auch ihre im Zeichen kolonialer Gewalt stehende Erwerbung und Musealisierung aus nigerianischer und Schweizerischer Perspektive aufzeigt. Diese Geschichtsschreibung dient als Ausgangspunkt für eine neue Ethik der Beziehungen zwischen Afrika und Europa.“ 

Blick in die erste Ausstellungsvitrine der Ausstellung im Erdgeschoss: Wie und auf welchen Wegen sind die Objekte ins Museum gekommen? Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Blick in die erste Ausstellungsvitrine der Ausstellung im Erdgeschoss: Wie und auf welchen Wegen sind die Objekte ins Museum gekommen? Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Diese Ausstellungsvitrine thematisiert den Umgang mit den abgeschlagenen Köpfen / Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Diese Ausstellungsvitrine thematisiert den Umgang mit den abgeschlagenen Köpfen / Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich

Dass viele Kunstwerke im Museum Rietberg fragmentierte Objekte sind, d. h.  Teile einer ursprünglich größeren Komposition oder Gruppe waren, etwa in einem Tempel oder einen Schrein standen, macht eine Ausstellungsstation mit präsentierten Buddhaköpfen deutlich. Sie beleuchtet damit den Prozess der Musealisierung von Objekten. Denn für die Nachfrage der europäischen Sammler und Händler auf dem internationalen Kunsthandel schlug man die Köpfe von Wänden der Tempelhöhlen ab, da im 19. Jahrhundert Buddhaköpfe in Mode kamen. Die Besucher:innen lernen: Die kanonisierte Form der Porträtbüste ist eine rein westliche Sichtweise: Die Tradition geht auf die antike Herrscherporträts und auf die Renaissance zurück, als mit der Rezeption der Antike griechische Kopf- und Figurenfragmente gesammelt wurden. Hochinteressant ist abschließend auch der Beitrag von Dr. Axel Langer. Der Kurator für den Mittleren und Nahen Osten setzte sich für die Schau mit der Rekonstruktion persischer und indischer Malerei- und Kalligrafiealben mit Hilfe von Bordüren auseinander: „Ein Grossteil der persischen und indischen Miniaturen, die sich in europäischen und nordamerikanischen Museumssammlungen befinden, sind einzelne lose Blätter, die ursprünglich Teil eines Albums waren. Dieser größere Zusammenhang spielte über Jahrzehnte hinweg so gut wie keine Rolle. Die Forschung konzentrierte sich ausschließlich auf die Malerei in der Blattmitte, während die rahmende Bordüre weder beschrieben noch in Katalogen abgebildet wurde. Dabei liefern diese Ränder wichtige kunsthistorische Informationen.“   

Projektleiterin und Provenienzforscherin Esther Tisa Francini (rechts) mit Kuratorin Dr. Michaela Oberhofer. Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich
Kurator Dr. Axel Langer. Foto: RESTAURO / Ausstellung „Wege der Kunst“ / Museum Rietberg, Zürich

Tipp: Lesenswert ist die umfangreiche Begleitpublikation „Wege  der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen“, 440 Seiten, Museum Rietberg, herausgegeben von Esther Tisa Francini, unter Mitarbeit von Sarah Csernay, Zürich 2022.

Außerdem: Projektleiterin und Provenienzforscherin Esther Tisa Francini gibt einen kurzen Einblick in den „Wege der Kunst“-Rundgang, der Besuchende durchs ganze Haus führt und ihnen einen neuen Blick auf die Kunst eröffnet. Sehen Sie mehr dazu im Video.

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