03.10.2023

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„Fälschungen sind ein systemisches Problem“ – Interview mit Hubertus Butin

Kunsthistoriker, Kunsttheo- retiker, Publizist und Kurator Hubertus Butin. Foto: © Christiane Haid, Berlin
Kunsthistoriker, Kunsttheo- retiker, Publizist und Kurator Hubertus Butin. Foto: © Christiane Haid, Berlin

Hubertus Butin ist Kunsthistoriker, Kunsttheoretiker, Publizist und Kurator. In den 1990er-Jahren arbeitete er im Atelier Gerhard Richters in Köln und gab 2014 dessen Werkverzeichnis der Editionen heraus. Heute ist er unter anderem als Gutachter für die Werke Gerhard Richters tätig und Experte für diesbezügliche Fälschungen. RESTAURO sprach mit ihm über seine Erfahrungen

RESTAURO: Herr Butin, wie kam es zu Ihrer Spezialisierung?

Es gibt keinen anderen Künstler, über den ich so viel publiziert habe wie über Gerhard Richter. Wenn man dann auch noch Autor eines seiner Werkverzeichnisse ist, er- scheint es naheliegend, dass man als Ex- perte im Auftrag von Privatsammlungen, Kunsthandlungen, Auktionshäusern sowie Museen und Ermittlungsbehörden Experti- sen verfasst. Denn Autoren und Autorinnen von Werkverzeichnissen verfügen normaler- weise nicht nur über ein theoretisches Fachwissen, sondern auch über ein ausge- prägtes Objektwissen.

RESTAURO: Können Sie einen besonders spektakulären Fall nennen, bei dem Sie zur Klärung beigetragen haben? Wie sind Sie vorgegangen?

Hubertus Butin. Ein Betrüger hatte sich eine raffinierte Provenienzgeschichte ausgedacht, indem er auf die Rückseite eines monochrom grauen Ölgemäldes, das nicht im Werkverzeichnis zu finden ist, folgende Widmung schrieb: »Für Armin (K 20)«. Dadurch dachten die Berliner Händler, durch deren Hände das Bild im Jahr 2005 ging, es handele sich um ein persönliches Geschenk Gerhard Richters an Professor Armin Zweite, den ehemaligen Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Doch auf meine Anfrage hin meinte Armin Zweite, er wüsste gar nichts von diesem zweifelhaften Geschenk. Tatsächlich handelte es sich bei dem Bild um eine komplette Fälschung. Heute befindet sich das Gemälde mit seiner angeblich so respektablen Vergangenheit bei einem Sammler in Vancouver, der es 2006 für einen hohen Betrag als vermeintliches Original erworben hatte. Sowohl eine einfache Provenienzrecherche als auch eine stilistische Untersuchung des Gemäldes bestätigten den Betrug.

Mit der Ausstellung „Made in China“ hinterfragte Konzept- künstler Doug Fishbone in der Dulwich Picture Gallery in London (2015) den Wert der Kunst. Dazu ersetzte er das Werk eines Alten Meisters durch eine zeitgenössische Kopie aus China und integrier- te diese in die Sammlungsprä- sentation. Die Besucher:innen sollten die Kopie unter den Ori- ginalen entdecken. Foto: Dulwich Picture Gallery

RESTAURO: Nicht alle Fakes sind raffiniert. Können Sie ein Beispiel für eine besonders dreiste Fälschung nennen?

Hubertus Butin: Eine besondere kriminelle Energie brachte ein Fälscher auf, der sich ab 2008 bemühte, Ölgemälde auf Karton als Werke Gerhard Richters über verschiedene Auktionshäuser zu verkaufen. Die Bilder wurden von der Polizei konfisziert, und Richter schrieb selbst eine Expertise, in der er die Arbeiten eindeutig als Fälschungen klassifizierte. Gegen den mutmaßlichen Täter wurde ein Verfahren eröffnet, wobei dann das Gutachten von der Polizei an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf übergeben wurde. Dort entwendete entweder der Fälscher selbst oder sein Rechtsanwalt bei einer Akteneinsicht diese Expertise und reproduzierte sie mittels eines Kopiergeräts. Anschließend manipulierte der Fälscher das Dokument mit der originalen Unterschrift des Künstlers in der Weise, dass das Schreiben nun als eine Echtheitsbestätigung erschien, die der Betrüger dann für weitergehende Verkaufsangebote einer neuen Reihe von abstrakten Ölgemälden einsetzte. Anhand dieses Falles wird sehr anschaulich, dass Betrüger nicht nur Kunstwerke, sondern mitunter auch schriftliche Dokumente wie zum Beispiel Echtheitszertifikate fälschen oder verfälschen, die dann als Hilfsmittel zum Verkauf der Fälschungen eingesetzt werden.

RESTAURO: 2019 tauchte ein gefälschtes Ölgemälde im Stil von Gerhard Richter bei Christie’s in New York auf. Wurden Sie bei diesem Fälschungsfall, in den die damalige Berliner Galerie Michael Schultz verwickelt war, als Experte hinzugezogen?

Ja, ich wurde gebeten, das Bild im Landeskriminalamt Berlin zu untersuchen. Auf den ersten Blick handelte es sich um das farbige Ölgemälde »Abstraktes Bild« von Gerhard Richter von 1989 mit der Werkverzeichnisnummer 705-2. Doch ein genauer Vergleich mit der Abbildung im Werkverzeichnis der Gemälde, verfasst von Dietmar Elger, ließ rasch erkennen, dass es sich um eine Kopie handelt, eine sogenannte Identfälschung. Das war sehr erstaunlich, da Richter seine abstrakten Bilder meist mit der Rakel herstellt, und solche Werke lassen sich nicht exakt wiederholen. Denn mit dieser länglichen, schmalen Leiste aus Plexiglas kann der Künstler schlierenhafte Farbstrukturen erzeugen, die nicht genau kalkulierbar sind und somit bewusst den Zufall einbeziehen. Obwohl es unmöglich ist, jenen Malprozess zu kopieren, hat der Fälscher genau dies versucht. Die Farbigkeit und der Bildaufbau sind ihm einigermaßen gelungen, doch in den Details musste er zwangsläufig scheitern.
Eine einfache Materialuntersuchung brachte dann weitere Beweise zutage. Unter anderem war die Rückseite des hölzernen Keilrahmens, auf den die Leinwand mit Heft- klammern befestigt ist, auffällig. Der Keilrahmen wurde von seinem Hersteller mit dem FSC-Siegel versehen. Diese Stempelung in Form eines stilisierten Bäumchens soll darauf hinweisen, dass Holz aus einer ökologisch nachhaltigen Forstwirtschaft verwendet wurde. Da die Organisation des Forest Stewardship Council (FSC) mit Sitz in Bonn aber erst 1993 gegründet wurde, kann der Keilrahmen und das Gemälde also nicht von 1989 stammen. Und nichts deutete darauf hin, dass der Keilrahmen und die Heftklammern zu einem späteren Zeitpunkt erneuert wurden. Außerdem hat der Fälscher versucht, die ebenfalls gestempelte Chargennummer mit einem Stemmeisen zu entfernen, was ihm jedoch nicht vollständig gelang. Für einen Künstler gibt es keinen Grund, diese Nummerierung verschwinden zu lassen, für einen Betrüger hingegen sehr wohl. Denn anhand dieser Nummer lässt sich das Produktionsjahr des Keilrahmens feststellen.

Das Interview führte Dr. Inge Pett. 

Lesen Sie weiter in der RESTAURO 5/2023. Diese Spezial-Ausgabe beschäftigt sich mit „Original und Reproduktion“. 

 

 

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