15.09.2023

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Die Erforschung und Erhaltung der Südtiroler „Katakombenheiligen“

Die Europäische Textilakademie (Bozen) restauriert und erfasst unter der Ägide der renommierten Textilrestauratorin Irene Tomedi das vergessene Südtiroler Kulturgut der „Katakombenheiligen“. Foto: Europäische Textilakademie
Die Europäische Textilakademie (Bozen) restauriert und erfasst unter der Ägide der renommierten Textilrestauratorin Irene Tomedi das vergessene Südtiroler Kulturgut der „Katakombenheiligen“. Foto: Europäische Textilakademie

In Südtirol gibt es besonders viele „Katakombenheilige“. Es handelt sich um prachtvoll geschmückte Gebeine von Heiligen, die meist in Glasschreinen in Kirchen aufbewahrt werden. Die Europäische Textilakademie (Bozen) ist nun unter der Ägide der Textilrestauratorin Irene Tomedi dabei, das vergessene Südtiroler Kulturgut zu erfassen, zu restaurieren und bekannter zu machen

Die Reaktionen von Besucher:innen, die eine Ganzkörperreliquie erblicken, reichen von Erschrecken über Staunen bis zur Erheiterung. Bei früheren Generationen überwog noch Respekt. Umso bedauerlicher ist es, dass keine tiefgehende Arbeit vorliegt, die diesen für Südtirol so bedeutenden Aspekt der barocken Frömmigkeit thematisiert und erforscht. Bis auf wenige Bildbände gibt es in diesem Bereich kaum Literatur.

Textilrestauratorin Irene Tomedi mit ihrem Team. Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie
Foto: Europäische Textilakademie

Die Geschichte der „Katakombenheiligen“

Aber was ist die Vorgeschichte der „Katakombenheiligen“? 1578 gab der Erdboden an der römischen Via Salaria nach. Die unterirdische Katakombe kam so zum Vorschein. Es war die Zeit der beginnenden katholischen Gegenreformation. War man bisher nur neugierig auf die Überbleibsel der Antike, konzentrierte man sich nun auf den Widerstand, den die frühen Christen den Glaubensanfechtungen durch das Heidentum entgegensetzten. So folgte dem archäologischen Interesse an den christlichen Altertümern eine große Aufmerksamkeit der kirchlichen Hierarchie.


Warum gibt es in Südtirol besonders viele „Katakombenheilige“?

Die Reliquien standen fortan für eine unverfälschte Tradition des Glaubens von der Zeit des frühen Christentums bis zum päpstlichen Rom der Gegenreformation. Man nahm an, dass alle in den Katakomben Bestatteten frühchristliche Märtyrer seien. Deshalb übergab man die „heiligen Leiber“ an kirchliche Institutionen in ganz Europa, eine Praxis, die bis in das 19. Jahrhundert hinein kaum hinterfragt wurde. Dass man in Südtirol besonders viele „Katakombenheilige“ findet, erklärt sich aus den antiprotestantischen Tendenzen im Bistum Brixen. Die Heiligen- und Reliquienverehrung diente der Abgrenzung von dem Protestantismus und sollte sein Übergreifen auf die Pfarreien der Diözese Brixen verhindern.


Europäische Textilakademie: Forschungsprojekt „Katakombenheilige“ unter der Leitung von Irene Tomedi

Seit Herbst 2017 widmet sich die Europäische Textilakademie unter der Leitung der renommierten Bozener Textilrestauratorin Irene Tomedi der Bestandsaufnahme in Klöstern und Kirchen in Südtirol. zweiundvierzig Ganzkörperreliquien wurden bisher lokalisiert. Sie wurden fotografisch und textiltechnisch dokumentiert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der Forschungsarbeiten weitere aufgespürt werden. Da sich die „Katakombenheiligen“ oft im Keller oder im Dachgeschoss befinden, ähnelt eine Bestandsaufnahme oft einer akribischen Detektivarbeit. Die häufig auch in einem Glassarg an den Seitenaltären befindlichen Ganzkörperskelette oder Holzfiguren sind mit einer transparenten Gaze überzogenen. Sie wurden von Klosterfrauen kunstvoll mit bunten Glassteinen, Perlen, Spitzen, filigranen Dekorationen und dekorativen und prächtigen Stoffen geschmückt.


3 „Katakombenmärtyrer“ sind bereits restauriert

Von den Gemeinden wurden für die Ausstattung dieser Heiligenfiguren hohe Investitionen getätigt. Ihre teilweise Verwahrlosung hat inzwischen dazu beigetragen, dass ihr Zustand schlecht ist. Die Restaurierung und Konservierung haben deshalb die Erhaltung, Aufwertung und Würdigung dieser Werke zum Ziel. Drei „Katakombenmärtyrer“ sind bereits restauriert worden. Sie stammen aus der Pfarrkirche in St. Martin in Passeier und aus der Stiftskirche in Neustift. Die geschichtlichen Umstände, die schließlich zu einer Kirchenerneuerung führten und im 18. Jahrhundert in der Volksmission endeten, sollen ebenfalls untersucht werden. Dazu gehören neben den Herkunftsbescheinigungen auch die jeweiligen Transportbedingungen, sowie die wissenschaftliche Analyse von Alter, Lebensweise und Ernährung der „Katakombenmärtyrer“. Man verspricht sich auch viel von der Zusammenarbeit mit Eurac Research in Bozen. Diese Analysen sollen etwa klären, ob die Knochen aus den Katakomben von Rom jeweils von einer Person stammen oder sogar einem Heiligen zugeordnet werden können. Die meisten „Katakombenheiligen“ sind wie römische Soldaten gekleidet, mit Brustschutz und Helm. Am Ende der Restaurierung und Konservierung soll eine wissenschaftliche Publikation erscheinen.


Textilrestauratorin Irene Tomedi

2022 wurde die Bozener Textilrestauratorin Irene Tomedi auf de „Salone dell’Arte e del Restauro“ mit dem „Palazzo Spinelli Award“ geehrt. Seit 2014 zeichnet das Instituto per l’Arte e il Restauro – Palazzo Spinelli Menschen aus, die einen wesentlichen Beitrag zur Konservierung und Restaurierung des kulturellen Erbes  leisten. Irene Tomedi ist seit 1983 als Textilrestauratorin mit eigener Werkstätte in Bozen selbstständig und hat unter anderem das Turiner Grabtuch restauriert. Die Textilexpertin ist Gründungsmitglied und Vizepräsidentin der Europäischen Textilakademie in Bozen.

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