08.09.2022

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2021 wurden die SchUM-Stätten in die Welterbeliste aufgenommen

Im Juli 2021 hat das Welterbekomitee die SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz zum UNESCO-Welterbe ernannt. Hier ein Blick auf Alten jüdischen Friedhof Mainz. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Carsten Costard
Im Juli 2021 hat das Welterbekomitee die SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz zum UNESCO-Welterbe ernannt. Hier ein Blick auf Alten jüdischen Friedhof Mainz. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Carsten Costard

In Speyer, Worms und Mainz gab es im Mittelalter große und einflussreiche jüdische Gemeinden. Die jüdischen Bauwerke und Friedhöfe prägten zu ihrer Zeit die Entwicklung der Religion und hatten großen Einfluss auf die jüdischen Gemeinde- und Sakralbauten in Deutschland. 2021 wurden die jüdischen Stätten der drei Städte, die sogenannten SchUM-Stätten, in die Welterbeliste aufgenommen. Warum Speyer, Worms und Mainz SchUM-Städte heißen und was die Aufnahme in die Liste für die SchUM-Stätten bedeutet, erklärt Felix Tauber, Welterbe-Koordinator der SchUM-Stätten, im Interview mit RESTAURO

RESTAURO: Warum heißen die drei Städte SchUM-Städte?

Felix Tauber: SchUM שו“ם ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der mittelalterlichen hebräischen Städtenamen:

Schin (Sch) = SchPIRA = Speyer

Waw (U) = Warmaisa = Worms

Mem (M) = Magenza = Mainz

SchUM ist der Verbund, den die jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz im Mittelalter bildeten.

RESTAURO: Seit 2021 sind die SchUM-Städte Welterbe. Wie lange hat die Vorbereitung gedauert? 

Felix Tauber: Die Vorbereitungen begannen 2006. 2012 stellte das Land Rheinland-Pfalz an die Ständige Konferenz der Kultusminister den Antrag zur Aufnahme der SchUM-Stätten in die deutsche Vorschlagsliste. 2020 übermittelte das Land Rheinland-Pfalz dem Welterbekomitee das Nominierungsdossier samt Managementplan. Und am 27. Juli 2021 war es dann so weit. Die SchUM-Stätten wurden in die Welterbeliste eingetragen.

Mainz hatte die älteste jüdische Gemeinde der SchUM-Städte. Der Jüdische Friedhof Mainz wurde seit dem 2. Januar 1881 belegt. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Carsten Costard
Mainz hatte die älteste jüdische Gemeinde der SchUM-Städte. Der Jüdische Friedhof Mainz wurde seit dem 2. Januar 1881 belegt. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Carsten Costard

RESTAURO: Welche Stätten gehören genau zum Welterbe?

Felix Tauber: Der Judenhof Speyer, das früheste erhaltene jüdische Gemeindezentrum in Mitteleuropa. Der Synagogenbezirk Worms, das besterhaltene Gemeindezentrum mit jüdischen Kultbauten, die bis heute in Funktion sind. Der Alte jüdische Friedhof Worms, das besterhaltene und anschaulichste Zeugnis mittelalterlicher Bestattungskultur in Aschkenas. Der Alte jüdische Friedhof Mainz, der bedeutende Überreste des ältesten und größten mittelalterlichen Friedhofs, der als „Anker“ der Tradition des rheinischen Judentums dient.

RESTAURO: Wie waren die drei Städte im Mittelalter verbunden?

Felix Tauber: Die SchUM-Stätten umfassen einzigartige, vorbildgebende Gemeindezentren, Monumente und Friedhöfe. Es sind herausragende, besonders frühe und in einzigartiger Dichte und Vollständigkeit erhaltene Zeugnisse einer lebendigen jüdischen Tradition. In ihnen zeigen sich die bauliche Innovationskraft und die herausragende Gelehrsamkeit. Hier gab es Schnittpunkte und auch Austausch mit der nichtjüdischen Umgebungskultur. Hier spiegeln sich die hellsten und dunkelsten Zeiten jüdischer Geschichte. Hier stand die Wiege des aschkenasischen Judentums und hier reichen die jahrhundertealten Wurzeln in eine jüdische Gegenwart und Zukunft.

Das 1120 errichtete jüdische Ritualbad in Speyer, mit einem Tauchbecken rund zehn Meter unter dem heutigem Straßenniveau, gilt als älteste bekannte Mikwe dieser Art. SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Klaus Venus
Das 1120 errichtete jüdische Ritualbad in Speyer, mit einem Tauchbecken rund zehn Meter unter dem heutigem Straßenniveau, gilt als älteste bekannte Mikwe dieser Art. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Klaus Venus
Das 1120 errichtete jüdische Ritualbad in Speyer, mit einem Tauchbecken rund zehn Meter unter dem heutigem Straßenniveau, gilt als älteste bekannte Mikwe dieser Art. SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Klaus Venus
Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz / Klaus Venus

RESTAURO: Was muss in den nächsten Jahren gebaut, verändert, erweitert werden? 

Felix Tauber: Die Bildungs- und Vermittlungsarbeit wird in den kommenden Monaten und Jahren wachsen und sich erneuern. Wichtiges Element unserer Vermittlungsarbeit werden die geplanten Informationszentren werden, die in Ergänzung zu der zum Teil vorhandenen musealen Vermittlung in allen drei Städten derzeit in Planung sind. Aber auch das Monitoring, das heißt die kontinuierliche und systematische Überwachung der Stätten, wird eine der Aufgaben sein.

RESTAURO: Gibt es Forschungen, archäologische Grabungen, Bauprojekte?

Felix Tauber: Herausgreifen möchte ich die aktuellen Arbeiten in Worms. An Synagoge und Mikwe sowie dem gesamten Synagogenbezirk finden derzeit umfangreiche Ausgrabungen, eine intensive Bauforschung sowie fachgerechte, sensible Sanierungsarbeiten statt.

 

Mainz, Worms und Speyer im Mittelalter bildeten das Zentrum des Judentums in Europa. Von der wechselvollen Geschichte erzählt auch der Wormser Synagogenbezirk. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz
Mainz, Worms und Speyer im Mittelalter bildeten das Zentrum des Judentums in Europa. Von der wechselvollen Geschichte erzählt auch der Wormser Synagogenbezirk. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz

RESTAURO: Auf jüdischen Friedhöfen kann nichts verändert werden – macht das Probleme?

Felix Tauber: Eigentlich nicht. Da alle Gebäude und Objekte seit vielen Jahren durch das rheinland-pfälzische Denkmalschutzgesetz geschützt sind, sind mögliche Veränderungsprozesse auf ein Minimum beschränkt. Die Planungen zu den Arbeiten am Alten Jüdischen Friedhof in Mainz werden seit Jahren sehr transparent in einem breit aufgestellten Beteiligungsprozess angegangen.

RESTAURO: Der alte jüdische Friedhof in Prag ist bekannter als der „Heilige Sand“ in Worms, der älteste jüdische Friedhof in Europa. Was werden Sie konkret tun, um die jüdische Geschichte der Städte bekannter zu machen?

Felix Tauber: Wir dürfen nicht übersehen: Die Geschichte und die enorme Bedeutung der SchUM-Gemeinden ist Jüdinnen und Juden weltweit durchaus sehr bekannt. Durch die Welterbe-Anerkennung haben wir nun aber etwas in der Hand, mit dem wir die Sichtbarkeit dieser Geschichte erhöhen können, mit dem das Judentum besser vermittelt und der interreligiöse Dialog gestärkt werden kann.

Felix Tauber, Welterbe-Koordinator der SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz
Felix Tauber, Welterbe-Koordinator der SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz

RESTAURO: Der „Judensand“, der jüdische Friedhof in Mainz, ist nicht zugänglich. Welche Pläne gibt es für interessierte Besucher?

Felix Tauber: Der Besuch des Alten Jüdischen Friedhofs Mainz ist zurzeit im Rahmen der zahlreichen Führungen möglich. Durch die Planungen des Informationszentrums und zur neuen Einfriedung des gesamten Bereiches, werden derzeit Lösungen erarbeitet, bestimmte Bereiche des Friedhofs auch dauerhaft für Besucher:innen zugänglich zu machen.

RESTAURO: Welche Bedeutung haben die Stätten heute?

Felix Tauber: Das ist eine scheinbar sehr einfache Frage, die aber einer sehr umfangreichen Beantwortung bedarf. Lassen Sie mich nur einige Schlaglichter setzen. Die SchUM-Stätten umfassen einzigartige, prototypische Gemeindezentren, Monumente und Friedhöfe. Es sind herausragende, besonders frühe und in einzigartiger Dichte und Vollständigkeit erhaltene Zeugnisse einer lebendigen jüdischen Tradition. Die Rabbinate in Speyer, Worms und Mainz waren eine zentrale Autorität in religiös-kultischen und rechtlichen Fragen. Ihre Entscheidungen, Liturgien und halachischen Weisungen waren wegweisend. Es war ungewöhnlich, dass Gemeinden Beschlüsse fassten, die in mehreren Gemeinden Geltung hatten und darüber hinaus abstrahlten. Die in SchUM erarbeiteten Vorschriften wurden 1220 auf einer Versammlung in Mainz in den Takkanot-SchUM verschriftlicht. Diese Beschlüsse sind das umfangreichste Corpus von jüdischen Gemeindesatzungen aus dem mittelalterlichen Aschkenas. Bis heute sind Riten, Gesänge und Regeln in der jüdischen Welt bekannt. Der jüdische Dichter David bar Meshullam aus Speyer verfasste im 12. Jahrhundert ein Gebet über die Pogrome von 1096, das in deutschen Gemeinden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertags, Yom Kippur, in der Synagoge verlesen wurde. Die SchUM-Gemeinden blieben bis Mitte des 13. Jahrhunderts zentrale Orte des mitteleuropäischen, aschkenasischen Judentums. Nach Pogromen und Vertreibungen verloren die Gemeinden zwar an überregionaler Bedeutung, ihre Bedeutung als Erinnerungsorte hat überdauert. SchUM ist global bedeutsam.

Das Interview führte Uta Baier.

98 Jahre nach der Einweihung der Hauptsynagoge in Mainz und rund 70 Jahre nach ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten erhielt Mainz 2010 wieder ein sichtbares Zeichen für ein neues, lebendiges Judentum. Das nach den Plänen des Kölner Architekten Manuel Herz erbaute neue Gemeindezentrum wurde am gleichen Standort errichtet. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz
98 Jahre nach der Einweihung der Hauptsynagoge in Mainz und rund 70 Jahre nach ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten erhielt Mainz 2010 wieder ein sichtbares Zeichen für ein neues, lebendiges Judentum. Das nach den Plänen des Kölner Architekten Manuel Herz erbaute neue Gemeindezentrum wurde am gleichen Standort errichtet. Foto: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz

Lesen Sie weiter in der RESTAURO-Ausgabe 5/2022: Das Welterbe-Special.

Abstract
In Speyer, Worms and Mainz there were large and influential Jewish communities in the Middle Ages. The Jewish buildings and cemeteries shaped the development of religion in their time and had a great influence on Jewish community and sacred buildings in Germany. In 2021, the Jewish sites of the three cities, the so-called SchUM sites, were inscribed on the World Heritage List. Felix Tauber, World Heritage Coordinator of the SchUM sites in Speyer, Worms and Mainz, explains in an interview with RESTAURO why Speyer, Worms and Mainz are called SchUM cities and what the inclusion in the list means for the SchUM sites.

Lesetipp: Wie sieht das Berufsbild eines Welterbe-Managers aus? Welche Skills sind hier gefragt? Was bedeutet Welterbe-Monitoring? Und wie stark setzt man auf Partizipation? Mit Dr. Matthias Ripp, Welterbe-Koordinator der Stadt Regensburg, sprach Dr. Ute Strimmer.

Ein Video der Deutschen UNESCO-Kommission anlässlich der Aufnahme der SchUM-Städten in die Welterbeliste sehen Sie hier:

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