Die Antike war weiß – weiß wie Marmor. Mit dieser Vorstellung von einer klassisch weißen Skulpturenwelt der Antike räumt die gerade eröffnete Ausstellung in der Kopenhagener Ny Carlsberg Glyptotek grundlegend auf. Erstmals 2003 unter dem Titel „Bunte Götter – Die Farbigkeit antiker Skulptur“ in der Glyptothek München gezeigt, wanderte die Ausstellung bereits international in zahlreiche Museen. Nach intensiver Forschung präsentiert nun die Kopenhagener „Ny Carlsberg Glyptotek“ die neuesten Erkenntnisse zur farbigen Fassung von Skulpturen und architektonischen Bauteilen in der – farbenreichen – Welt der griechischen und römischen Antike.
Sehgewohnheit revidiert: Antike Skulpturen waren nicht weiß
Seit der Renaissance sahen Historiker, Künstler und Philosophen die rein weiße Skulptur und Architektur als Ideal und Richtlinie für ihre eigene Zeit. Die westliche Kultur ernannte die Klassik zum Kern ihrer kulturellen Identität und trennte sich von anderen Hochkulturen gerade durch die Unterdrückung von vulgärer Farbigkeit ab. Weißer Marmor wurde zum Synonym für noble Ästhetik und politische sowie ethische Überlegenheit. Der Farbenreichtum antiker Skulpturen ist eigentlich keine neue Erkenntnis: Bereits im 18. Jahrhundert war die Farbigkeit bekannt und klar erkennbar auf antiken Skulpturen, etwa durch Ausgrabungen in Pompei Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Farbe wurde schlicht geleugnet – und teilweise von den Skulpturen entfernt. Dass heute vor allem weiße, antike Skulpturen in den Sammlungen zu sehen sind, hängt demnach mit den im 18. und 19. Jahrhundert geprägten Sehgewohnheiten zusammen. Diese Ausstellung verlangt nach einer Abänderung dieser Vorstellung antiker Welt – und unseres eigenen kulturellen Selbstverständnisses. Zudem ermöglicht die Farbgebung neue historische Interpretationen.
Die Ausstellung beruht auf interdisziplinärer Forschung, die mit naturwissenschaftlichen Methoden wie Laser- und Röntgenstrahlung, Infrarotreflektografie sowie elektronenmikroskopischer Untersuchung Farbbereichen von originalen Skulpturen arbeitet. Sie basiert auf der Farbforschung des Klassischen Archäologen Vinzenz Brinkmann, heute Leiter der Antikensammlung in der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt am Main. 2003 konzipierte er gemeinsam mit Raimund Wünsche, dem damaligen Direktor der Münchener Glyptothek, die Ausstellung. Sie zeigte damals zwölf farbig gefasste Skulpturen, die meisten vom äginetischen Aphaia-Tempel. Die 2005 gegründete Stiftung Archäologie – Farbe und Material in der antiken Kunst unterstützt wissenschaftliche Publikationen von Arbeiten, die sich mit der Farbgebung sowie allgemein mit Phänomenen der Wahrnehmung antiker Kunst auseinander setzen.