15.12.2016

Museum

Watteau – der Meisterzeichner


Gefühl und Geschick für hauchfeines Japanpapier

Im Städel Museum Frankfurt läuft derzeit die Ausstellung „Watteau. Der Zeichner”. Restauratorische Eingriffe ermöglichten die beidseitige Ansicht seiner Blätter.

Da steht er: leicht zur Seite geneigt, den Arm in angedeuteter Stützposition, den Kopf vom Betrachter weggedreht, den Blick nach innen gerichtet. Der dazugehörige Körper ist leicht verrückt, sodass er nicht ganz Teil des Kopfes zu sein scheint. Möglicherweise war das der Grund, warum lange Zeit die Rückseite dieser Studie in Rötel und Bleistift die Ansichtsseite war. Diese Rückseite zeigt eine Landschaftsstudie, horizontal komponiert, mit Bäumen und Büschen an einem ruhig dahinfließenden Flussufer. Die Wolken am Himmel nehmen die Bewegung des Fließens auf. Das ist perfekt beobachtet und umgesetzt, aber nichts Besonderes.

 

Die umseitig gezeichnete Figur dagegen findet sich auf dem Gemälde „Les charmes de la vie“ (Die Reize des Lebens) wieder. Wohl auch deshalb ist die Figurenansicht heute die interessantere Seite des Blattes, die Antoine Watteau 1718/19 von seinem Malerkollegen Nicolas Vleughels zeichnete. Gemälde und Zeichnung entstanden etwa zeitgleich. Die rückseitige Landschaftsstudie ist nach Meinung von Martin Sonnabend, Leiter und Kurator der Graphischen Sammlung am Städel Museum, dagegen jünger, denn „es scheint schwer vorstellbar, dass ein Blatt mit einer so bedeutenden und gelungenen Figurenstudie für einen spontan und eilig notierten Landschaftseindruck verwendet wurde“, vermutet Sonnabend.

Das Blatt ist Teil der großen Ausstellung „Watteau. Der Zeichner“ im Frankfurter Städel Museum, die gemeinsam mit dem Teylers Museum in Haarlem entstand und anschließend dort gezeigt wird. Dass der Besucher beide Seiten des Blattes bewundern kann, ist Ruth Schmutzler, Leiterin der Restaurierung Zeichnung, Grafik, Fotografie am Städel Museum, zu verdanken. Schmutzler kann das Blatt fast schwebend zeigen, denn es ist in eine Maske aus zwei Lagen kaschiertem Japanpapier (16g/m2) mit einem hauchdünnen Blatt nur sechs Gramm schweren Japanpapiers montiert. Die Technik sei natürlich nicht neu, verlange aber vom Restaurator viel Erfahrung, Geschick und Zeit, sagt Schmutzler. Da die Ränder des Zeichenblattes nicht überall gleichmäßig sind, scheint zwischen Passepartout und Zeichnung an einigen Stellen sogar ein wenig Licht durch – wenn man ganz genau hinsieht. „Jedes Abweichen von geraden Schnitt kann man mit dem Japanpapier nicht nachvollziehen“, sagt Schmutzler, die das hauchdünne Papier auf der Rückseite nur sehr schmal die Ränder der Zeichnung überlappen lässt. So bleiben beide Seiten gleich attraktiv für den Betrachter.

Ungeplant gezeichnet

Papierarbeiten werden nicht oft freistehend im Raum präsentiert. Die Frankfurter Watteau-Ausstellung zeigt gleich drei und dokumentiert so auch die Zeichenlust des Künstlers, der heute eher als Maler und Vertreter eines frivolen Rokoko bekannt ist. Beides sei nicht ganz richtig, sagt Martin Sonnabend. Denn die Zeitgenossen schätzten Watteau auch als Zeichner sehr. Der Sammler und Unternehmer Jean de Jullienne gab nach Watteaus Tod einen Band Radierungen nach Watteau-Zeichnungen und einen Band Reproduktionsgrafiken nach Gemälden heraus – ein Exemplar ist in der Ausstellung zu sehen. Auch wenn Jullienne mit Watteau-Werken handelte, so waren diese Bände nicht nur Werbung, sondern sprechen vor allem von der Bewunderung für die Zeichenkunst Watteaus, der keine akademische Ausbildung hatte und wohl auch deshalb seine Zeichnungen frei und spontan anfertigte. Nach der akademischen Lehre hatte das Zeichnen dagegen festgelegte Aufgaben. „Ideen- und Entwurfsskizzen, Kompositions- und Figurenstudien, schließlich genaue Vorzeichnungen, das alles, falls nötig, in unterschiedlichen Techniken, diente zur kontrollierten Vorbereitung eines Gemäldes oder einer Skulptur. (…) Watteau, der keine Ausbildung durch die Akademie erfahren hatte, wenn er auch über die dort gelehrte Vorgehensweise Bescheid gewusst haben muss, ging mit der Zeichnung ganz anders um“, schreibt Martin Sonnabend in seinem Katalogessay. Während nach der Lehre verschiedene Zeichentechniken mit verschiedenen Zeichenmaterialien probiert werden sollten, zeichnete Watteau vor allem mit Rötel. Zusätzlich nutzte er schwarze und weiße Kreiden für seine spontanen, manchmal mit großer Geschwindigkeit und gern nach sich bewegenden Modellen angefertigten Skizzen. „Hatte er eine gelungene Studie einmal im Skizzenbuch, so nahm er an ihr in der Regel keine oder höchstens geringe Veränderungen mehr vor“, so Sonnabend. Bis eine Studie als Vorbild für ein Motiv in einem Gemälde benutzt wurde, konnte es Jahre dauern. Sonnabends Fazit: „Im Gegensatz zur akademischen Regel entstanden Watteaus Zeichnungen also ungeplant, nicht mit Blick auf eine gemalte Ausführung.“

Dass sie auch deshalb eine besondere Qualität haben, zeigt die Frankfurter Ausstellung auf überzeugende Weise.

Städel Museum, Frankfurt, bis 15. Januar

Teylers Museum, Haarlem, 1. Februar bis 15. Mai

Katalog: „Watteau. Der Zeichner“, Hirmer Verlag, 45 Euro

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