19.08.2016

Museum

Von wegen oberflächlich


Der Blick auf die Oberfläche

 

Unter dem Titel „Schicht um Schicht, Bedeutung und Ästhetik der Oberfläche“ lud die Fachgruppe Gemälde im VDR zu einer interdisziplinären Tagung vom 9. bis 11. Juni 2016 nach Kassel in die Orangerie in der Fuldaaue ein.  

 

Gleich zu Beginn schärfte Anne Harmssen den Blick für das Pro und Contra: Kann man in guter restauratorischer Tradition das Imperfekte akzeptieren, hier vertreten durch ein wiederverklebtes Bruchstück in einer monochromen Fläche? Oder muss die Ästhetik einer makellosen Oberfläche von der Künstlerin wiederhergestellt werden?

 

Ebenso widersprüchlich liegt der Fall bei den bewitterten Lackanstrichen von „The Keep“, einer Holzhütte aus ausrangierten Tür- und Wandpaneelen. Helena Ernst hat eine Keilkonstruktionen ausgetüftelt, um hochstehende Schollen zu stabilisieren. Gleichzeitig sollen Besucher durch kleine Spicklöcher ins Innere der Hütte gucken. Aber dürfen diese Oberflächen – wie in ihrem Vorleben – auch als Kunstwerk noch „abgenutzt“ werden? Künstlerische und kuratorische Ziele unterlaufen hier die Regel „Nicht anfassen“.

Einblick in die Forschung zur allgemeinen Wahrnehmung von Kunst und Ästhetik gab Helmut Leder. In unterschiedlichen Modellen verdeutlicht er, wie die visuellen Merkmale des Kunstwerks zu einer unmittelbaren Repräsentation im Gehirn verarbeitet werden. Im Gedächtnis verknüpft entstehen Vorstellungen von Stil und Inhalt. Sie sind unweigerlich Teil jeder ästhetischen Erfahrung.

Mit dem Studium der oft subtilen Fragilität moderner Oberflächen hat sich auch das Empfinden für Authentizität geschärft. Anhand von Beispielen wie der „Reißlacktechnik“ von Picabia diskutierte Nathalie Bäschlin die Wertschätzung des Authentischen und das Prinzip des restauratorischen Minimaleingriffs. Das Fragile wird so nicht primär als Materialschwäche, sondern als Kennzeichen für den authentischen Erhaltungszustand verstanden.

 

Am Beispiel der Oberflächen von Skulpturen der letzten 150 Jahre zeigte Dietmar Rübel wie die Wertschätzung des authentischen Abdrucks der Künstlerhand – etwa bei Rodin und Rosso – im Lauf des 20. Jahrhunderts von einer Faszination für anonyme, maschinell erzeugte Oberflächen abgelöst wird. Was verschweigen und/oder erzählen diese Arbeits- und Prozessspuren und wie fließen sie ein in das Konzept von Kunst?

Eine ästhetische Neuerung war auch Rembrandts gespachtelter und borkenartiger Farbauftrag im 17. Jahrhundert, wie Jonathan Bikker berichtete. Neben der Leidener Feinmalerei und der freien Malweise eines Franz Hals fand der Zeitgenosse Arnold Houbraken für die Rembrandtsche Malweise – nicht ohne Spott – den neuen Begriff der „rohen“ Malerei.

Auch die glänzend weiße Oberfläche des Porzellans führte im 18. Jahrhundert zu neuartigen Raumgestaltungen und Möbelfassungen nach „Porcellain-Arth“ wie Felix Muhle erläuterte. Glätte und weißer Glanz sind hier die Ideale der Oberfläche, deren Reinigung – als wässrig gebundener Stuck – schwierig ist.

 

Die Erwartungen des Kunstmarktes können ebenso zu Veränderungen auf der Oberfläche führen, wie Franziska Bolz an den ehemals farbenfrohen Oberflächen von Tingatinga-Gemälden aus Tansania aufzeigte. Braune, an gealterte Firnisse erinnernde Überzüge erhöhen heute die Attraktivität der international gehandelten Werke und werden so zu einem Stilmerkmal, das den Malern ermöglicht, von ihrer Arbeit zu leben – eine aus sozialwissenschaftlicher Perspektive sinnvolle Strategie.

Neue Methoden und Begriffe

Mehrere Vorträge galten dem Versuch mit präziser Terminologie und neuen Untersuchungsmethoden mehr methodische Stringenz in die reizvoll subjektiven Gedankengänge der Restauratoren zu bringen.

Doch bereits in den Theorien zur Gemäldeoberfläche existiert ein Widerspruch zwischen der kunsttechnologischen Aussage, dass ein Firnis eine ästhetische Funktion hat, und der in der Restaurierungstheorie verbreiteten Aussage, dass er eine Schutzfunktion besitzt, meinte Dietmar Wohl. Beides kann vor allem für die Moderne Kunst nicht gleichzeitig gelten. Hier hat die Konservierung der Gemäldeoberfläche, ihr Glanz und ihre Feinstruktur, also ihre Ästhetik Vorrang.

 

Der Vortrag von Sybille Schmitt unterstreicht die Wichtigkeit einer präzisen Terminologie für die Benennung von Oberflächenschäden. In Analogie zur Geomorphologie stellt sie Begriffe vor, mit denen auch gestörte Schichtungen von Farbe und Firnis exakt bezeichnet werden können. Denn geologische Strukturen weisen morphologische Ähnlichkeiten zu Malschichten auf.

Wichtige Erkenntnisse bei der Analyse von unter der Oberfläche verborgenen Strukturen kann die thermische Schichtprüfung mittels Wärmestrahlung erbringen, berichtet Cornelius Palmbach. Die Thermographie könnte in Zukunft eine präzise Lokalisierung und Quantifizierung verborgener Strukturen sowie die Verteilung von Festigungsmitteln sichtbar machen.

Die Möglichkeiten eines 3-D-Verfahrens zur Rekonstruktion und Visualisierung von fragmentarischen Farbfassungen und Formelementen erläutert Theresa Bräunig am Beispiel eines spätmittelalterlichen Kruzifixes. Anhand von 3-D Modellen konnten farbige Fassungen rekonstruiert und die Bedeutung der Farbgestaltung auch für Museumsbesucher anschaulich gemacht werden.

Die Königsdisziplin: Firnisabnahme

Thomas Krämer berichtete von einer vertrackten Restaurierungsproblematik an einem Gemälde mit borkenartigen Firnisdeformationen, einem leicht löslichen, originalen Zwischenfirnis und empfindlichen Malschichten. Erst die Verwendung von Mastixpulver ermöglichte das schichtweise Abtragen einer oberen Firnisschicht, freilich um den Preis einer künstlichen Nivellierung der Oberfläche.

Ein weiteres, neues Hilfsmittel zur Dünnung von Firnissen stellte Stefanie Lorenz vor: Sie berichtete von dem graduellen, feinen Abreiben bzw. Abschleifen eines alten Firnisschicht mit Hilfe eines handelsüblichen Fleckenradierschwamms.

Wie schwierig die Abnahme von Überzügen werden kann, veranschaulichte Sabine Formánek am Beispiel einer Tischplatte mit Umdruckdekor. Das kleinteilige Dekor war durch verbräunte Überzüge und Überarbeitungen kaum mehr lesbar. Nach unbefriedigenden Versuchen mit unterschiedlichen Gelen wurde der Überzug schließlich mechanisch mit dem Skalpell abgetragen.

Den Wandel eines Restaurierungskonzeptes von einer im Vorfeld festgelegten Firnisabnahme hin zu einer teilweisen Abnahme beschrieb Andreas Hoppmann am Beispiel eines Triptychon von B. Bruyn d. Ä. Genaue Untersuchungsergebnisse und ein allgemeines Unwohlsein bei dem Gedanken an Firnisabnahmen führten zu einem alternativen Konzept: Dem Erhalt eines unteren Harzfirnis, der alte Lasurretuschen gut harmonisiert und es erlaubt, den „Charme“ des Triptychon zu erhalten. Dies wurde möglich, weil der obere Ölfirnis mit einer Pufferlösung ph9 abgelöst werden konnte – ein seltener Glücksfall.

Hoppmann nutzte auch die Gunst der Stunde, um Hans Brammer für seine langjährigen Forschungen sowie Vorträge und Publikationen zur „obersten Schicht“ zu danken. In den langen Jahren als leitender Restaurator und Ausbilder an der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel trug Hans Brammer dazu bei, dass Restauratoren heute in einem alten Firnis auch – so Hoppmann – ein „Element der Schönheit und Authentizität “ erkennen können. Er thematisierte damit die ganz eigene Ästhetik der gealterten Oberfläche von Firnis- und Malschichten für Restauratoren.

Dank

Mit der Orangerie in der Fuldaaue und ihrem weitläufigen Vorplatz stellte die Museumslandschaft Hessen Kassel einen besonderen Tagungsort zur Verfügung und übernahm die Kosten für Faltblatt und Programmheft. Das Team aus Kassler Restauratoren sorgte für den reibungslosen Ablauf der Tagung und das Gelingen des Abends.

 

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