07.10.2022

Denkmalpflege Kulturerbe

Staatsoper Unter den Linden: Im Einklang mit der Geschichte

Staatsoper unter den Linden in Berlin: Zuschauersaal nach der Generalsanierung. Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Landesdenkmalamt Berlin / Wolfgang Bittner
Staatsoper unter den Linden in Berlin: Zuschauersaal nach der Generalsanierung. Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Landesdenkmalamt Berlin / Wolfgang Bittner

Bauplan statt Partitur, Zollstock statt Taktstock – die Restaurierung der Staatsoper Unter den Linden kam über weite Strecken selbst einer Aufführung gleich. Davon erzählt eine im März 2022 erschienene Ausgabe der „Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin“. Acht Jahre dauerten allein die Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen. Eine intensive Phase voller Komplikationen, explodierender Kosten und öffentlicher Debatten. Zur Wiedereröffnung am 7. Dezember 2017 zeigte sich jedoch, wie gut sich die Ansprüche eines modernen Opernbetriebs mit dem Respekt vor dem historischen Baubestand in Einklang bringen lassen. Nicht zuletzt dank einer engen Zusammenarbeit zwischen den Bauverantwortlichen, der Staatsoper und der Denkmalpflege.

Lange schien ein Konsens so aussichtsreich wie die Quadratur eines Kreises. Zu unterschiedlich waren die Interessen: Zum einen war da der berechtigte Wunsch nach Modernisierung. Technisch und vor allem akustisch konnte das traditionsreiche Opernhaus Unter den Linden im internationalen Vergleich nicht mehr mithalten. Generalintendant Daniel Barenboim wurde nicht müde, diesen Mangel zu monieren und zudem die Verlängerung der Nachhallzeit von 1,2 auf 1,6 Sekunden zu fordern. Demgegenüber stand das Anliegen des Denkmalschutzes, die historische Substanz weitgehend zu erhalten bzw. zu rekonstruieren.

Richard Paulick baute die zerstörte Staatsoper 1952–55 im Sinne von Knobelsdorff wieder auf

 

Doch welche historische Substanz? Immerhin blickt die Staatsoper Unter den Linden auf eine lange Geschichte mit zahlreichen Umbauten – bedingt durch Brände, Kriege und veränderte Anforderungen – zurück. König Friedrich II. hatte das Opernhaus 1740 bei seinem Freund, dem Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, in Auftrag gegeben. Dieser versah das einst neopalladianische Langhaus mit verspielten Rokoko-Dekorationen im Innenraum – in einer Bauzeit von nur zwei Jahren. Nach dem Krieg baute Richard Paulick die zerstörte Staatsoper 1952–55 im Sinne von Knobelsdorff wieder auf. An Paulicks Gestaltungskonzept des Ensembles aus Staatsoper, Intendanz und Probenzentrum orientierte sich dann das Architekturbüro HG Merz, das 2009 die Leitung der Sanierung des maroden Gebäudes übernahm.

„Die Staatsoper ist eins der bedeutendsten Bauwerke aus der Wiederaufbauphase der DDR und damit auch eine ganz wichtige Zeugin der Nachkriegsgeschichte“, argumentierte Merz. „Paulick hatte mit seinem Entwurf die Sünden der Kaiserzeit behoben: den Bühnenturm verkleinert und die Fassade wieder auf die klassizistische Ausprägung nach Knobelsdorff zurückgeführt.“  Eine Rückbesinnung auf Paulick sei daher schlüssig. Vorausgegangen waren Jahre der Diskussionen, wie mit dem Opernhaus zu verfahren sei. Bereits 2001 hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Gutachten über den Zustand des Gebäudes beauftragt. Eine veraltete Theatertechnik sowie massive Mängel bei der Gebäude- und Sicherheitstechnik bescheinigte die Untersuchung. Die Staatsoper bat den Architekten Gerhard Spangenberg, ein Konzept für die grundlegende Ertüchtigung des Hauses vorzulegen, das dann aus Kostengründen jedoch ausschied. Spangenbergs Pläne sahen vor, die „Konditorei“ im Keller durch ein Dachrestaurant zu ersetzen. Um die Akustik zu verbessern, sollte ferner der Zuschauerraum komplett entkernt und durch einen modernen Saal mit viertem Rang ersetzt werden.

Das Landesdenkmalamt und der -rat verlangten eine Bestandsdokumentation sowie die Darstellung der Bau- und Nutzungsgeschichte

 

Erst 2008 wurde ein beschränkter Wettbewerb im Rahmen eines beschleunigten Verhandlungsverfahrens ausgeschrieben, aus denen der Architekt Klaus Roth als Sieger hervorging. Doch dessen Vorschlag hätte zum Verlust des charakteristischen Innenraums geführt: „Die Staatsoper soll saniert, nicht demoliert werden“, protestierte der Politiker Wolfgang Thierse und stieß damit auf ein breites Echo in der Öffentlichkeit. Das Landesdenkmalamt und der -rat lehnten den Entwurf ab und verlangten eine Bestandsdokumentation sowie die Darstellung der Bau- und Nutzungsgeschichte. Schließlich kam es 2009 zu einer öffentlichen Ausschreibung. Ausdrückliches Ziel war es, die akustische Situation und Sichtverhältnisse im Zuschauerraum deutlich zu verbessern und dabei eine denkmalgerechte Lösung zu finden. Das hieß im Klartext, dass der Saal vergrößert werden sollte, ohne das die Rokoko-Ästhetik verloren ging – zwei im Grunde widerstreitende Anforderungen.

Rot markiert sind die Bereiche mit strikten denkmalpflegerischen Vorgaben zur historischen Gestaltung. Das Bühnenhaus durfte verändert werden. Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Landesdenkmalamt Berlin / Wolfgang Bittner
Rot markiert sind die Bereiche mit strikten denkmalpflegerischen Vorgaben zur historischen Gestaltung. Das Bühnenhaus durfte verändert werden. Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Landesdenkmalamt Berlin / Wolfgang Bittner

Das Stuttgarter Büro HG Merz gewann den Wettbewerb und legte drei Vorschläge vor: eine Lösung ohne Veränderung des Raumvolumens, eine mit Anhebung der Decke und eine mit neuer Decke. Dabei setzte sich die moderate Modernisierungsvariante durch. Aufgrund der übergeordneten kulturpolitischen Interessen zeigten Landesdenkmalamt und -rat sich kompromissbereit. Allerdings stellten sie die Bedingung, dass die Decke original zu erhalten und an erhöhter Position neu einzubauen sei.

Bestandsreste zeigten, dass die Fassade ursprünglich rötlich verputzt war

 

Nachdem 2011 das Denkmalvorhaben denkmalrechtlich genehmigt wurde, verliefen die weiteren Planungen von HG Merz in enger Abstimmung mit dem denkmalpflegerischem Kontaktarchitekten Volker Hübner und dem Gebietsreferenten im Landesdenkmalamt, Norbert Heuler. Mit der denkmalpflegerischen Fachbauleitung wurde das Büro ProDenkmal beauftragt. In einem ersten Schritt wurde der Bestand der Staatsoper erfasst, bewertet und dokumentiert. Welche Planungsintention ist welcher Umbauphase zuzuordnen? Befand sich im Café ursprünglich ein Steinboden? Waren die Stoffbespannungen noch die Originale, die zu Zeiten Paulicks angebracht wurden? Aus welcher Phase stammten die Farbschichten? So zeigten Bestandsreste, dass die Fassade ursprünglich rötlich verputzt war. Als großes Glück erwies sich der zufällige Fund eines Stückes Originaldamast, mit dem die Wand im Zuschauerraum 1954 bespannt worden war – die Bespannung konnte somit in einem speziellem Webverfahren nachgefertigt werden. Der Eichenparkett im Café war in den 1980er-Jahren durch einen Boden aus bulgarischem Marmor ersetzt worden.

Schematische Planungszeichnung für das neue Dachtragewerk.Mit einer neuen Kon-struktion aus Bogenträgern ließ sich das Raumvolumen vergrößern. Foto Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Büro HG Merz
Schematische Planungszeichnung für das neue Dachtragewerk.Mit einer neuen Kon-struktion aus Bogenträgern ließ sich das Raumvolumen vergrößern. Foto: Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Büro HG Merz

Ein Raumbuch bündelte alle diese komplexen Informationen. Die zeitliche Zuordnung war um so wichtiger, da vor allem zu DDR-Zeiten zahlreiche Änderungen vorgenommen worden waren, die nun systematisch in eine Bauphasenkartierung eingetragen wurden. Bei der Restaurierung stellten sich dann folgende Fragen: War dem Schauwert der Vorrang zu geben oder dem Substanzwert? Sollten Altersspuren erhalten bleiben? 

Umfangreiche Maßnahmen nahm das Restaurator-Team an der Decke vor, die aus Hartfaserplatten mit aufgeleimter Stoffbespannung konstruiert war

 

Etwa im Apollo-Saal, für dessen Innenausstattung Richard Paulick sich von Schlosses Sanssouci hatte inspirieren lassen. Dessen Ausstattung war zwar qualitativ wertig, wies aber auch zahlreiche Schäden auf. Besonders umfangreiche Maßnahmen nahmen die Restauratoren an der Decke vor, die aus Hartfaserplatten mit aufgeleimter Stoffbespannung konstruiert war. Da die 1986 aufgetragene Piatherm Dämmschüttung aus Harnstoffformaldehyd-Harz noch zwanzig Jahre später unangenehm roch, wurde sie durch eine exakt nachgebildete Rabitzkonstruktion ersetzt, die jedoch mit verbesserten akustischen Eigenschaften ausgestattet ist. Sämtliche Applikationen sowie das Rankenwerk und die Voluten wurden wieder eingefügt. Lediglich die Vergoldungen mussten an wenigen Stellen ergänzt werden. Auch die marmornen Saalwände mussten abgenommen und poliert werden, da eine Behandlung mit falschen Pflegemitteln ihnen zugesetzt hatte. Die Fenster befanden sich in einem derart maroden Zustand, dass sie durch neue Fenster mit verbessertem Schall- und Wärmeschutz verbessert ersetzt wurden, die den Vorgängern jedoch identisch nachgebildet waren.

Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen, Beiträge
zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin, 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart) 

Schematische Planungszeichnung für das neue Dachtragewerk.Mit einer neuen Kon-struktion aus Bogenträgern ließ sich das Raumvolumen vergrößern. Foto Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Büro HG Merz
Schematische Planungszeichnung für das neue Dachtragewerk.Mit einer neuen Kon-struktion aus Bogenträgern ließ sich das Raumvolumen vergrößern. Foto: Publikation „Staatsoper Unter den Linden. Erhalten – Restaurieren – Weiterbauen“, Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Landesdenkmalamt Berlin 2022 (Anton H. Konrad Verlag, Stuttgart): Büro HG Merz

Um maximalen Substanzerhalt bemühte sich das Restaurationsteam bei dem ovalen Intarsienboden aus seltenem farbigen Marmorgestein. Obwohl er meist mit einem Teppich im selben Muster abgedeckt war, wies er Abplatzungen, Kratzspuren und Ölflecken auf. Nach und nach wurde der Apollosaal so aufbereitet. Grundlegende Eingriffe waren hingegen im Zuschauerraum nötig. So musste die Zone, die durch die Anhebung der Decke neu entstand, gestaltet werden. Ebenfalls herausfordernd waren die barrierefreie sowie die sicherheitstechnische Erschließung. Bereits Paulick hatte 1951 gefordert: „Die aus bühnentechnischen Gründen unvermeidlichen Zutaten müssen sich dem Geiste Knobelsdorffs anpassen“. 

Auszeichnung durch den Deutschen Werkbund

 

Eine Forderung, die sein Nachfolger beherzigte. Um die Akustik zu verbessern, war es nötig, das Raumvolumen von 6.500 auf 9.500 Kubikmeter zu erhöhen. Dies gelang durch den Einbau eines schlankeren Dachtragwerks sowie der sogenannten Nachhallgalerie, einer schalldurchlässigen gitterartigen Struktur, die dezent – Merz griff das Rautenmotiv der Stuckdecke auf – den Übergang zum dritten Rang überbrückte. Der Deutsche Werkbund zeichnete Merz dafür 2017 mit dem Materialpreis aus. „Man muss furchtbar diplomatisch sein“, fasste der Architekt die Arbeiten an der Staatsoper in einem Interview zusammen. „Ich will es mal so beschreiben: Wir stehen auf den Schultern zweier Riesen – Paulick auf den Schultern von Knobelsdorff und wir auf den seinigen –, da ist es schwer, nicht abzustürzen, aber der Blick ist umso weiter“. 

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