26.10.2023

Ausstellungen Kulturerbe Museum

Sonderschau in Mainz: Die älteste deutsche Kartause: 700 Jahre Kartäuserkloster Mainz

Das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum Mainz zeigt mit seiner Sonderschau über die Kartause St. Michael am Rhein Zeugnisse einer untergegangenen Epoche. Hier Schwester Johanna in ihrer Werkstatt in Kloster Engelthal (Altenstadt/Wetterau) bei den Vorarbeiten für die Ausstellung. Foto: Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz
Das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum Mainz zeigt mit seiner Sonderschau über die Kartause St. Michael am Rhein Zeugnisse einer untergegangenen Epoche. Hier Schwester Johanna in ihrer Werkstatt in Kloster Engelthal (Altenstadt/Wetterau) bei den Vorarbeiten für die Ausstellung. Foto: Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz

Das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum Mainz zeigt mit seiner Sonderschau über die Kartause St. Michael am Rhein Zeugnisse einer untergegangenen Epoche. Das Kloster hatte sich zum Sehnsuchtsziel der Rheinreisenden entwickelt, bis das imposante Gebäude Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen wurde (bis 10. März 2024)

Heute ist die Rede von der „Zeitenwende“ stets in aller Munde. Beschäftigt man sich nur ein bisschen mit der Geschichte, hat man schnell den Eindruck, dass fast alle Generationen „Zeitenwenden“ miterlebt haben. Das vermittelt auch die aktuelle Sonderausstellung im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum in Mainz mit rund 80 Exponaten. Anlässlich des 700jährigen Jubiläums wird „Die Kartause von Mainz“ gewürdigt. Anhand der Geschichte dieser ältesten Kartause Deutschlands taucht der Besucher in eine weitgehend untergegangene Welt ein. Doch deren erhaltene Kunstwerke beeindrucken bis heute. Besonders erstaunlich, dass selbst die Kartäuser – ihr Orden vertrat die strengsten Regeln zum asketischen Leben mit weitgehender Schweigepflicht – zum Lobe Gottes prächtige Kunstwerke von hoher Qualität in Auftrag gegeben haben.

Matthäus Merian der Ältere (1593–1650), Ansicht der Mainzer Kartause mit Blick auf die Festung Gustavsburg, Kupferstich in: Topographia Hassiae, Frankfurt 1646, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz (Foto: Marcel Schawe)
Matthäus Merian der Ältere (1593–1650), Ansicht der Mainzer Kartause mit Blick auf die Festung Gustavsburg, Kupferstich in: Topographia Hassiae, Frankfurt 1646, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe)
Hl. Bruno, Holz mit erneuerter Farbfassung, Mainz, wohl 3. Viertel 18. Jh., Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz (Foto: Marcel Schawe)
Hl. Bruno, Holz mit erneuerter Farbfassung, Mainz, wohl 3. Viertel 18. Jh., Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe)
Karyatide aus dem Chorgestühl der Mainzer Kartause, 1723/26, Dom zu Trier, Westchor (Foto: Rita Heyen)
Karyatide aus dem Chorgestühl der Mainzer Kartause, 1723/26, Dom zu Trier, Westchor. Foto: Rita Heyen)
Georg Joseph Melbert (1717–1786), Die Heilung des Kranken am Teich Bathesda, Gemälde aus dem Kreuzgang der Mainzer Kartause, um 1750/53, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe)
Georg Joseph Melbert (1717–1786), Die Heilung des Kranken am Teich Bathesda, Gemälde aus dem Kreuzgang der Mainzer Kartause, um 1750/53, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz.Foto: Marcel Schawe)

Der heilige Bruno steht am Beginn der Ausstellung bereit, um die Besucher hinein zu geleiten

Im Jahr 1084 zog Bruno von Köln in die Nähe von Grenoble, wo er mit sechs Gleichgesinnten eine Einsiedelei errichtete. Jeder lebte in einer eigenen Zelle für sich, dem Gebet, dem Studium und der Hände Arbeit verpflichtet. Nur dreimal täglichen fanden sie zum Stundengebet zusammen. Der heilige Bruno mit Buch und Totenkopf – wohl eine Mainzer Sandsteinfigur aus der Hochblüte der Kartause in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – steht am Beginn der Ausstellung bereit, um die Besucher hinein zu geleiten. Alsbald lebten auch Nonnen nach den strengen Regeln der Kartäuser. 1170 vom Papst anerkannt, breiteten sich die Kartäuserklöster europaweit aus: Mit der ersten Blütezeit im 14. Jahrhundert nicht mehr nur in der Abgeschiedenheit, sondern auch in Städten wie Köln (1334), London (1370) oder Nürnberg (1380). Ob durch verheerende Kriege, die Reformation, oder die Französische Revolution – auch die Kartäuser blieben vor Verwüstung und Untergang nicht verschont. Erstaunlich, dass das einzige noch bestehende Kartäuser-Kloster Deutschlands, die Kartause Marienau bei Bad Wurzach, erst 1964 gegründet worden ist!

Georg Joseph Melbert (1717–1786), Die Versuchung Jesu, Gemälde aus dem Kreuzgang der Mainzer Kartause, um 1750/53, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz (Foto: Marcel Schawe)
Georg Joseph Melbert (1717–1786), Die Versuchung Jesu, Gemälde aus dem Kreuzgang der Mainzer Kartause, um 1750/53, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe)
Franz Ignaz Berdolt (um 1669–1762), Kelch aus dem Kirchenschatz der Mainzer Kartause, vergoldetes Silber und Edelsteine, Augsburg, um 1715/16, Pfarrkirche St. Nikolaus, Kalteneber (Heilbad Heiligenstadt/Eichsfeld) (Foto: Hildegard Lütkenhaus)
Anton Woensam (vor 1500–1541), Hl. Bruno, Holzschnitt, um 1516, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz
Franz Ignaz Berdolt (um 1669–1762), Kelch aus dem Kirchenschatz der Mainzer Kartause, vergoldetes Silber und Edelsteine, Augsburg, um 1715/16, Pfarrkirche St. Nikolaus, Kalteneber (Heilbad Heiligenstadt/Eichsfeld) (Foto: Hildegard Lütkenhaus)
Franz Ignaz Berdolt (um 1669–1762), Kelch aus dem Kirchenschatz der Mainzer Kartause, vergoldetes Silber und Edelsteine, Augsburg, um 1715/16, Pfarrkirche St. Nikolaus, Kalteneber (Heilbad Heiligenstadt/Eichsfeld). Foto: Hildegard Lütkenhaus
Theologische Sammelhandschrift aus der Bibliothek der Mainzer Kartause, Heidelberg und Mainz, Mitte 14. Jh. bis Mitte 15. Jh., Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz (Foto: Marcel Schawe)
Theologische Sammelhandschrift aus der Bibliothek der Mainzer Kartause, Heidelberg und Mainz, Mitte 14. Jh. bis Mitte 15. Jh., Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz. Foto: Marcel Schawe)

Weithin berühmt das Chorgestühl, das dem Hamburger Johann Justus Schacht nebst 21 Schreinergesellen zu verdanken ist

Die Mainzer Kartause geht auf den Erzbischof Peter von Aspelt zurück, der den Mönchen einen Platz zum Klosterbau im Rheingau übergab. Diese Schenkungsurkunde, eine Handschrift auf Pergament, datiert 21. Mai 1320, ist neben der Zustimmung des Domkapitels zur Verlegung des Klosters nach Mainz, im Original zu sehen. Zahlreiche Reproduktionen veranschaulichen die großartige Buchkunst jener Zeit. Die Gebete zum Seelenheil der Stifter bildeten damals ein einträgliches Geschäftsmodell der Klöster. 1323 – Gedenkjahr zur aktuellen Schau – zogen die Kartäuser vor die Tore der Stadt, 1326 wurde die Kartause Mainz als Mitglied des Ordens anerkannt, 1360 ihre Klosterkirche geweiht. Zahlreiche Tochtergründungen folgten. Dieser ersten Blüte setzte 1552 ein Klosterbrand das Ende. Ansichten mit der Mainzer Kartause von Matthäus Merian oder Franz von Kesselstatt zeigen die historische Lage. Wie man sich die Zellen der Kartäuser vorzustellen hat, wird anhand einer Reproduktion der Kartause von La Valsainte vom Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich: schmale Bettstatt, eigene Gebetsnische. Der Kontrast dieser privaten spartanischen Lebensform zu den prunkvoll ausgestatteten Kirchenräumen der Mainzer Kartause, die unter Prior Michael Welcken in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Lob Gottes in barocker Pracht erblühte, könnte größer nicht sein. Weithin berühmt das Chorgestühl, das dem Hamburger Johann Justus Schacht nebst 21 Schreinergesellen zu verdanken ist. Es ist zumindest anhand von Teilen im Original (nebst Abbildungen) zu bestaunen: Die kostbar mit edlen Hölzern, Bein, Zinn, Fassung und Vergoldung verzierten Nussbaum-Schränke, um 1723/26, sind als Leihgabe aus dem Museum am Dom Trier als kunsthandwerkliche Highlights zu bewundern. Bei den ebenso berühmten Marmor-Alabaster-Altären des Maximilian von Welsch von 1714 muss man mit Reproduktionen vorliebnehmen, ebenso bei jenen Altären, die als Gemeinschaftswerke des Kunstschreiners Franz Anton Hermann und des Bildhauers Burkhard Zamels um 1741/42 entstanden sind. Doch geben die perfekten Reproduktionen einen lebhaften Eindruck der außergewöhnlichen Ausstattung.


Vom einstmals überwältigenden Kirchenschatz sind zwei einzig erhaltene Objekte: ein Kelch und eine Monstranz aus der damaligen Goldschmiedemetropole Augsburg

Vom einstmals überwältigenden Kirchenschatz, sind dessen originales Verzeichnis 96 Nummern beinhaltete, sind die zwei einzig erhaltenen Objekte, ein Kelch und eine Monstranz aus der damaligen Goldschmiedemetropole Augsburg, ausgestellt. Franz Ignaz Berdolt ist der Schöpfer der um 1716 in vergoldetem Silber, mit Edelsteinen und Email verzierten Leihgaben. Die über 90 Preziosen wurden 1781, wie so viele andere Klosterschätze, veräußert. Die in völliger Abgeschiedenheit lebenden Kartäuser hatten keinen Postulator in Rom, der sich für die Selig- oder Heiligsprechung eines Ordensmitglieds beim Papst starkmachen konnte. Selbst Bruno wurde von Rom nicht offiziell kanonisiert, seine Verehrung jedoch 1622 für die ganze katholische Kirche anerkannt. Dass Kartäusermönche wegen ihres Glaubens verfolgt oder getötet wurden, belegt ein monumentales Gemälde aus der Mitte des 17. Jahrhunderts mit einer dramatischen Martyriumsszene der Kartäuser in London. Die Kartäuser galten als der mittelalterliche Bücherorden schlechthin. Kein Wunder, dass beim strikten Schweigegebot dem Kopieren von Handschriften eine wichtige Rolle zukam. Unter den Originalen verdient der erste in Mainz 1466/70 auf Pergament verfasste Bibliothekskatalog der Kartause besondere Beachtung. Da bei den Kartäusern Handarbeiten zum Aufgabenbereich gehörten, waren Buchbinder, Uhrmacher, Schreiner oder Maler unter ihnen.


Schwester Johanna restaurierte für das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum Mainz das Gemälde „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä.

Nebenbei sei erwähnt, dass Schwester Johanna für das Museum auch das in mehreren Fassungen bekannte, um 1550 in Öl auf Holz ausgeführte Gemälde „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä. restauriert hat, ebenso wie eine „Heilige Barbara“ des Joseph Ignaz Appiani in Öl auf Leinwand, um1758, oder einen mehrteiligen Hochaltar aus dem 17./18. Jahrhundert aus Sankt Emmeran in Mainz. Zu den von ihr restaurierten Holz-Skulpturen gehören ein „Pestkreuz“ aus dem14. Jahrhundert, vier Figuren eines Schreinaltars um 1519, ein Gnadenstuhl um 1470/80, oder die „Appenheimer Pietà“ um 1350. Auch mit der Restaurierung von Steinarbeiten ist sie bestens vertraut: So bearbeitete sie in Kooperation mit der Restaurierungswerkstatt Matthias Steyer (Dipl.-Rest; Niedernhausen) die großformatige sechsfigurige Kreuzigungsgruppe vom Mainzer Friedhof St. Ignaz oder die Gewölbefigur aus der Mitte des 14. Jahrhunderts aus St. Emmeran in Mainz. Darüber hinaus hat sie den barocken Hochaltar in „Ihrem“ Kloster Engelthal restauriert, ebenso wie weitere Arbeiten für so berühmte Klöster wie Maria Laach oder Münsterschwarzach und private Auftraggeber.

Lesen Sie weiter in der RESTAURO 1/2024 – die Spezialausgabe zum Thema Art Handling.

 

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