In der Henri-Cosquer-Grotte – 37 Meter unter dem Meeresspiegel – finden sich 30.000 Jahre alte und vom Klimawandel bedrohte Wandmalereien. Ein französisches Museumsprojekt arbeitet nun gemeinsam mit Expert*innen an einer Rekonstruktion der Höhle. Die Eröffnung ist für Juni 2022 geplant
Originalgetreuer Nachbau der Henri-Cosquer-Grotte
Die Henri-Cosquer-Grotte südöstlich von Marseille gilt weltweit als die einzig bekannte Unterwasserhöhle mit Felsmalerei. 1985 entdeckte der französische Berufstaucher Henri Cosquer die Höhle, die aufgrund ihrer Unterwasserlage nur schwer zu erforschen war. Der Höhleneingang liegt 37 Meter unter dem Meeresspiegel. Die 30.000 Jahre alten und vom Klimawandel bedrohten Wandmalereien können daher nur von Taucher*innen erreicht werden. Doch das soll sich ändern: Ein französisches Museumsprojekt arbeitet nun gemeinsam mit Expert*innen an einer Rekonstruktion der Höhle. Die Eröffnung ist für Juni 2022 geplant.
Eine 800 Kilo schwere Stahltür schützt die Grotte in der Calanque de la Triperie, hinter der sich über 500 Zeichen und Malereien aus dem Paläolithikum verbergen. Heute stellen der Anstieg des Meeresspiegels und die durch den Menschen verursachte Verunreinigung des Meerwassers die Größte Gefahr dar. Die Grotte samt ihrer Felsmalerei ist vom Untergang bedroht. Zur Zeit der Cro-Magnon-Menschen lag die Höhle 120 Meter über dem Meeresspiegel und die heutige Küste rund 15 Kilometer vom Höhleneingang entfernt auf dem Land. Aktuell liegen aufgrund der globalen Erderwärmung drei Viertel der Höhle unter Wasser.
Mit der Rekonstruktion der Henri-Cosquer-Grotte ist das Atelier Arc&Os beauftragt, das bereits die Grotten von Lascaux und Chauvet nachbaute. „Zu sehen, wie aus einem Block Styropor nach und nach eine Höhlenwand entsteht, ist absolut magisch, als steckte sie bereits im Material.“, erzählt Alain Dalis, Mitarbeiter des Ateliers, begeistert. Die Rekonstruktion sei eine Kunst für sich und hochfiligrane Arbeit. „Sobald die Wandteile fertig sind, projizieren wir Bilder darauf, um die ganzen Feinheiten der Höhlenwand nachzubilden“, ergänzt Dalis.
Zusammen mit seinen Mitarbeiter*innen bildet er die Felsmalerei millimetergetreu nach. Gearbeitet wird auf Felsimitationen aus Stahl und Acrylharz, die auf einem 3D-Modell basieren – ähnlich wie bei Chauvet und der berühmten Höhle von Lascaux in der Dordogne im Südwesten Frankreichs. Um die gewünschte Textur zu erhalten, wird eine Mischung verschiedener Harze verwendet. Die Wandmalereien werden dann nach digitalisierten Aufnahmen reproduziert.
Wissenschaftliche Untersuchungen und Bestandsaufnahmen
Niemand aus dem Rekonstruktions-Team durfte die Henri-Cosquer-Grotte besichtigen, da der Zugang extrem gefährlich ist. Als im Jahr 1991 drei Männer bei dem Versuch, durch den engen, 175 Meter langen Tunnel zu der Unterwasserhöhle zu gelangen, ums Leben kamen, musste der Entdecker Henri Cosquer die Höhle den Behörden melden. Der Archäologe Jean Courtin war der erste, der nach der Entdeckung die Höhle begutachten konnte. Taucher der französischen Marine begleiteten ihn. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jean Clottes veröffentlichte er im Jahr 1994 eine erste Bestandsaufnahme unter dem Titel „La grotte Cosquer“. 2005 erschien in Zusammenarbeit mit dem Archäologen, Taucher und Fotografen Luc Vanrell die Publikation „Cosquer redecouvert“. Darüber hinaus konnten die beiden Archäologen Courtin und Clottes mit Hilfe der Radiocarbonmethode nachweisen, dass die Felsbilder bis zu 27.000 Jahre alt sind. Diese wissenschaftlichen Untersuchungen und Bestandsaufnahmen dienen dem Team des Ateliers Arc&Os nun für die Rekonstruktion der Cosquer-Grotte.
Villa Méditerranée
Der Nachbau soll nach der Fertigstellung in die Villa Méditerranée in Marseille einziehen. Das Ausstellungsgebäude steht neben dem Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers und wurde vom italienischen Architekten Stefano Boeri entworfen und 2013 eingeweiht. Knapp die Hälfte des rund 70 Millionen teuren Gebäudes liegt unter Wasser. Ursprünglich sollte das Prestigeprojekt der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur als Kulturzentrum dienen. Seit 2018 ist es geschlossen. Für die Transformation sind 20 Millionen Euro eingeplant.