2020 erhielt das europäische Bauhüttenwesen die begehrte Auszeichnung der UNESCO und findet sich seitdem im Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes. RESTAURO sprach mit Peter Füssenich, dem Dombaumeister der Kölner Bauhütte
Ein Werk von und für Generationen
2020 erhielt das europäische Bauhüttenwesen die begehrte Auszeichnung der UNESCO und findet sich seitdem im Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes. RESTAURO sprach mit Peter Füssenich, dem Dombaumeister der Kölner Bauhütte
„Wir sehen keine Konkurrenz, wir lernen voneinander.“ Peter Füssenich ist Dombaumeister der Kölner Bauhütte und gut vernetzt mit seinen europäischen Kolleg:innen. Gemeinsam mit 17 anderen Werkstätten aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und der Schweiz hatte sich die Kölner Dombauhütte um die Aufnahme in das UNESCO-Register des Immateriellen Kulturerbes beworben. Mit Erfolg: Ende 2020 erhielt das europäische Bauhüttenwesen die begehrte Auszeichnung.
Bis zum 11. Jahrhundert lag die Bautätigkeit in den Händen der Klöster
Die Bauhütten gehen auf das Mittelalter zurück. Bis zum 11. Jahrhundert lag die Bautätigkeit in den Händen der Klöster. Dann taten sich Baumeister, Poliere, Steinmetz- und Maurermeister, Gesellen und Lehrlinge zu fest eingerichteten Werkstätten zusammen. Bauhütten genossen Sonderrechte, hatten eigene Gesetze mit eigener Gerichtsbarkeit und waren frei von den Zwängen der Handwerkszünfte. Im Fokus stand das große Ganze der Architektur: Die Meisterwerke der Gotik wären ohne diese fachübergreifend gebündelte, handwerkliche Expertise undenkbar gewesen.
„Die Bauten selber geben uns immer vor, was zu tun ist“
„Oft gingen die Bauhütten an die Grenzen des damals technisch Möglichen“, erklärt Peter Füssenich. „Sie begannen Unternehmungen, von denen sie wussten, dass es viele Generationen brauchen würde, bis sie Wirklichkeit werden.“ Er selbst steht seit 2016 der Kölner Dombauhütte vor und sieht sich in derselben Traditionslinie. Einst wie heute sei es eine Notwendigkeit, über Generationen hinweg vorauszuplanen, so der Baumeister: „Die Bauten selber geben uns immer vor, was zu tun ist“. Derzeit saniert die Kölner Bauhütte die Strebewerke des Doms. Ein Langzeit-Projekt, das voraussichtlich im Jahr 2070 vollendet sein wird – von Füssenichs Nachfolger:innen im Amt. Etwa 100 Mitarbeiter:innen sind an der Kölner Dombauhütte beschäftigt, davon knapp vierzig Frauen und Männer im Steinbereich: als Hüttenmeister, Steintechniker-, Steinmetze, Versetzsteinmetze und Steinbildhauer sowie als Steinrestauratoren. Hinzu kommen Dachdecker:innen, Elektriker:innen und ein Schmied, der das Privileg innehat, das einzige offene Schmiedefeuer in der Kölner Innenstadt zu hüten.
Mit neuen Technologien: Laserscans haben Maßband und Zollstock abgelöst
Um Restaurierungsmaßnahmen umsichtig und denkmalgerecht anzugehen, greifen die Fachleute der Bauhütte auf einen Schatz historischer Pläne, Tagebücher, Wetteraufzeichnungen, persönlicher Notizen, Fotografien, Gutachten und Rechnungsbücher zurück. Gleichzeitig nutzen sie die neusten Technologien, und stehen auch damit ganz in der Tradition der Bauhütte, in der die Offenheit für Neues tief verankert ist. „Die Bauhütten“, so Füssenich, „waren immer schon Innovationsstätten, die für ihre Belange neue Methoden einsetzen.“ Heute kreisen Drohnen mit hochauflösenden Kameras im Kölner Dom und um ihn herum, um ein digitales Aufmaß zu erstellen. Längst haben Laserscans Maßband und Zollstock abgelöst.
Alljährlich trifft sich die europäische Vereinigung der Dombaumeister, der Münsterbaumeister und Hüttenmeister zum Erfahrungsaustausch. Von diesem, wie Füssenich es nennt, „Netzwerk großen Reichtums“ profitiert jeder Standort. Um etwa den gotischen Hochaltar des Doms fachgerecht mit dem originalen, im Mittelalter verwendeten Stein – dem Drachenfels Trachyts – zu restaurieren, steht Köln im engen Austausch mit der Xantener Dombauhütte. Auch die Werkstätten des Amtes für Denkmalpflege im Rheinland wirken an dem Großprojekt mit: Sie erforschen die bestmögliche Restaurierung im Umgang mit Antragungen, also mit Steinersatzmassen. Zur Problematik der Restaurierungsmörtel steht Köln darüber hinaus im intensiven Austausch mit der Münsterbauhütte in Bern.
Für den Nachwuchs: Die Kölner Bauhütte bildet selbst aus
Stein ist der wichtigste Werkstoff für den Dom – rund fünfzig verschiedene Gesteine wurden im Lauf der Zeit an der Kathedrale verbaut. 2019 zeichnete der Berufsverbande Deutscher Geowissenschaftler e. V. (BDG) die Kölner Dombauhütte mit dem Preis „Stein im Brett“ aus. Die Auszeichnung geht an Institutionen und Personen, die sich in besonderer Weise um die Geowissenschaften verdient gemacht haben – ohne selbst auf diesem Gebiet tätig zu sein. Anders als vielen Handwerkbetrieben fehlt es der Kölner Bauhütte bisher nicht an Nachwuchs. „Für uns ist aber auch ganz wichtig, dass wir den Nachwuchs selbst generieren“, sagt Füssenich. Weil wir so spezielle Handwerkstechniken benötigen, müssen wir diese über die Ausbildung an die nächste Generation weitergeben.“ Indem die Kölner Bauhütte Steinmetze, Schlosser:innen, Schmiede und Schreiner:innen ausbildet, garantiert sie, dass diese alten Techniken nicht aussterben. Im Prinzip der Bauhütte, die es übrigens nicht nur im kirchlichen Bereich gibt, – auch Profanbauten wie der Dresdner Zwinger und das Berliner Humboldtforum unterhalten eigene Werkstätten – sieht Füssenich eine Chance für die Architektur der Zukunft. Die Bauhütten seien ja schon immer Vorbilder für die Organisation des Bauens gewesen. Auch in der Bauhaus-Bewegung hätten sich Künstler, Architekten und Handwerker zusammengeschlossen: „Man sieht ja: Daraus ist Großartiges entstanden.“
Die Bauhütte: Ein Modell für die Zukunft
Das Kulturerbe der Bauhütte ist ein für allemal in Stein gemeißelt. Dabei lebt und entwickelt sich diese weiter. Interdisziplinäre Kooperation war immer schon progressiv. Für die Zukunft kann der Dombaumeister sich vorstellen, dass man weitere Disziplinen zusammenführt: „Heute sind es vielleicht die Biologen, die uns zeigen können, wie ökologisch orientiert man zukünftiges Bauen aufstellen kann.“ In kleinerem Zusammenhang geschehe das bereits: „In die Richtung darf man weiterdenken und das Prinzip der Bauhütten auf solche Dinge ausweiten.“ Bleibt die Frage nach der Wette mit dem Teufel und, ob Peter Füssenich sie heute annehmen würde. Meister Gerhard, Kölns erster Dombaumeister, so erzählt die Legende, ist eine Wette mit dem Teufel eingegangen, der diesen um sein „stolzes, heiliges Werk“ beneidete, den Kölner Dom, der heute zum Weltkulturerbe zählt. Eher würde er „einen Bach von Trier nach Cöln erschaffen als Herr Gerhard seinen Bau vollenden“, wettete der Teufel. Er war tatsächlich schneller, und der Kölner Dom sollte nie fertiggestellt werden. „Wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter“, zitiert Füssenich ein Kölner Sprichwort. „Dafür wollen wir in der Dombauhütte nicht verantwortlich sein.“ So werden die Arbeiten am Dom wohl immer weitergehen. Bis mindestens 2070 sind wir erstmal sicher.
Dombaumeister Peter Füssenich
Peter Füssenich wurde am 19. Januar 1971 in Bonn geboren. Von 1993 bis 2001 studierte er an der Fachhochschule Köln (heute Technische Hochschule) Architektur. Zwischen 2002 und 2004 absolvierte er ebendort ein berufsbegleitendes Aufbaustudium am Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege. Dem Kölner Dom ist er bereits seit Langem eng verbunden. Auch seine Abschlussarbeit schrieb er über ein Dom-Thema: die sogenannte Ziegelplombe im nordwestlichen Pfeiler des Nordturmes. Seit dem 1. November 2005 arbeitete Füssenich als Baureferent in der Hauptabteilung Seelsorgebereiche, Abteilung Region Nord, des Kölner Generalvikariates. Hier war er für die bauliche Beratung von Kirchengemeinden zuständig und führte die kirchliche Bauaufsicht. Ferner war er Referent der Kunstkommission in Fragen der liturgischen Umgestaltung von Kirchenräumen. 2012 wurde er zum Nachfolger des im April desselben Jahres plötzlich verstorbenen stellvertretenden Dombaumeisters Bernd Billecke bestellt.Als Fachbauleiter betreute er seither einen Großteil der Restaurierungsarbeiten am Kölner Dom und war für die Baulichkeiten der Dombauhütte und des Domkapitels zuständig. 2014 übernahm er zudem kommissarisch die Aufgaben des Dombaumeisters und war seither für die Betriebsleitung, Planung und Haushaltsplanung verantwortlich. Am 19. Januar 2016 wurde Füssenich zum neuen Dombaumeister ernannt. Das Domkapitel folgte damit der Empfehlung der beauftragten Findungskommission. Er ist damit der 19. namentlich bekannte Dombaumeister von Köln und steht in einer langen Reihe von Baumeistern der Kölner Kathedrale, die mit der Grundsteinlegung im Jahr 1248 mit Meister Gerhard einsetzt.
Welche Voraussetzungen man als Dombaumeister braucht, erfahren Sie hier in einem Video mit Dombaumeister Peter Füssenich. Schauen Sie hinein!