24.10.2014

Museum

Grüfte retten!

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Gruftarchäolgie? Noch eine Archäologie im Rahmen einer sich immer weiter differenzierenden und spezialisierenden Disziplin?

Noch googlet sich Gruftarchäologie nur schwer, und einen Wikipedia-Artikel gibt es auch nicht. Vermutlich tauchte der Begriff erstmals 2011 auf der „Transmortale“ genannten Tagung auf, die gemeinsam von der Universität Hamburg und dem Museum für Sepulkralkultur in Kassel veranstaltet wurde. Die Protagonisten, die das Thema vorgestellt hatten, sind dieselben, die jetzt auch für das anzuzeigende Buch verantwortlich sind. Sie arbeiten teilweise schon viel länger unter der Erde, dokumentieren Grüfte, kämpfen mit Pilz- und Schimmelbefall und oft genug nicht nur mit den natürlichen Erscheinungen von Vergänglichkeit, sondern auch mit den Folgen falscher Maßnahmen in der Vergangenheit oder sogar mit purem Vandalismus. Und was kann man tun, wenn sich in der Gruft verbogene Särge übereinander stapeln? Wohin mit den oftmals mumifizierten sterblichen Überresten, ihren Kleidungsstücken und Grabbeigaben? Was kann wie, mit welchem Aufwand und mit welchem Ergebnis gerettet, restauriert und vielleicht einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Wobei sich das Autorenkollektiv ganz dezidiert auch mit ethischen Fragestellungen konfrontiert weiß. Was darf man mit diesen Leibern tun, die vor geraumer Zeit hier zur letzten und ewigen Ruhe gebettet worden sind? Und sie lassen es beileibe nicht mit der Pietät bewenden, sondern beleuchten auch die juristischen Hintergründe, wenn es um das Eigentum an den Leichnamen oder den Grabbeigaben geht.

Das Thema hat mit Sicherheit Zukunft, denn es werden zunehmend Grüfte (wieder) entdeckt, weil auch das Bewusstsein der Pfarrer, der Friedhofsverwalter, der Schloss- und Mausoleumsbesitzer wächst. Vor allem seit der Reformationszeit stieg in gehobenen Gesellschaftsschichten das Bedürfnis nach solchen exklusiven Bestattungsorten. Grüfte finden sich unter fast jeder Kirche, die ehedem einen adligen Patron besaß, der sich dort seine Familiengrablege einrichtete. Und noch im 18. und 19. Jahrhundert unterkellerten Gemeinden ihre Kirchen, um Raum zu schaffen für gebührenträchtige Großgrüfte. Und was wird aus ihnen, wenn sie wieder hergerichtet sind – falls das Geld dazu vorhanden war? All diesen Fragen widmet sich das interdisziplinär ausgerichtete Autorenkollektiv mit der Bandbreite vom Archäologen über den Historiker und Juristen bis zur Textilrestauratorin und schlägt Lösungen vor, die aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen.

Obwohl sich die Reihe „Friedhofskultur heute“ des Frankfurter Fachhochschulverlages primär an Fachleute im Friedhofswesen wendet, dürfen auch Denkmalpfleger, Kunsthistoriker und Restauratoren dieses Buch mit Gewinn zur Hand nehmen, falls sie es irgendwann einmal mit der sepulkralen Unterwelt zu tun haben. Und das wird immer häufiger der Fall sein. Vor allem die geschilderten Fallbeispiele liefern Anregungen, wie unterschiedlich Vorgehensweise und Ergebnisse sein können. Es ist kein Leitfaden, nach dem Grüfte generell bearbeitet werden sollen, vielmehr dokumentiert er: Jede Gruft ist anders. Dabei wird man nicht vom Umfang des Buches erschlagen, sondern es bleibt erfreulich kompakt und im Preis moderat. Wer sich über Gruftarchäologie informieren will, kommt an diesem Buch nicht vorbei – es gibt derzeit aber auch nur dieses.

Preuß, Dirk et alii (Hrsg.): Grüfte retten! Ein Leitfaden zum pietätvollen Umgang mit historischen Grüften (Schriftenreihe Friedhofskultur heute, Bd. 5), Frankfurt/M 2014. ISBN 978-3-943787-29-0, 156 Seiten, 16 Seiten Farbfotos, € 18.

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