Landkarten und Farben gehören eng zusammen. Doch wer denkt, Farben machten Landkarten ausschließlich schön, irrt: Farben wurden schon lange bewusst und mit System aufgetragen, codieren Landkarten und senden Botschaften
Karten und koloniale Aneignung
Mit der Ausstellung „Farbe trifft Landkarte“ widmet sich das Museum am Rothenbaum vom 27. August 2021 bis zum 30. Januar 2022 der Entschlüsselung dieser Bedeutungen anhand seltener europäischer und ostasiatischer Karten aus dem 15.-20. Jahrhundert. Sie erzählen von kolonialer Aneignung, geographischen Weltsichten und Wissenstransfer. Neben der Symbolik und kulturellen Bedeutung einzelner Farben werden auch ihre materielle Zusammensetzung sowie die Herstellung und der Handel mit Farben thematisiert.
Die Ausstellung präsentiert erste Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojektes, das die Bedeutung von Farben auf europäischen und ostasiatischen Karten entschlüsselt. Sie zeigt eine Auswahl beeindruckender Landkarten aus fünf Jahrhunderten zusammen mit Farbmitteln wie Zinnober, Karmin oder Indigo, die Aufschluss über den Austausch zwischen Ostasien und Europa geben. Die Karten stammen aus zwei Hamburger Sammlungen: Europäische Landkarten aus den Beständen der Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv und ostasiatische Landkarten aus dem MARKK.
Karten bilden geographische Räume verkleinert und vereinfacht ab. Schwarz auf weiß gezeichnet oder gedruckt, verliehen ihnen im Anschluss aufgetragene Farben zusätzliche Informationen. Sie zielten mitunter auf bessere Kontrolle über dargestellte Gebiete ab, indem sie wirtschaftliche Nutzbarkeit darlegten, politische Zugehörigkeit festschrieben, koloniales Eindringen vorbereiteten oder bestimmte Weltsichten präsentierten. Farben verschönerten nicht nur, sie steuerten auch das Lesen von Karten und verstärkten damit ihre Botschaften.
Was Farben uns erzählen
In Europa wie Ostasien wurde ein Großteil der Karten nach festgelegten Systemen koloriert, Farben dienten zudem als „Codes“. So wurden etwa Städte rot dargestellt und „sprechende Farben“ verwendet. Der Gelbe Fluss war auf ostasiatischen Karten häufig gelb und das Rote Meer auf mittelalterlichen Karten aus Europa stets rot koloriert. Verwaltungsinformationen wurden auf ostasiatischen Karten mithilfe geometrischer Symbole dargestellt und zusätzlich farbig „verschlüsselt“. Diese Codes ließen sich durch genaue Analyse und dem Vergleich von Karten entschlüsseln.
Karten und ihre Herstellung
Am Herstellungsprozess von Karten waren verschiedene Personengruppen beteiligt. Um Farben auf Papier zu bringen, war spezielles Knowhow nötig. Koloristen waren geschulte Personen, die ihre Farben und deren Eigenschaften hervorragend kannten – aber auch immer offen für Veränderungen waren. So wurde das 1704 durch Zufall in Preußen entdeckte Berliner Blau schnell in Europa wie auch in Asien auf Karten eingesetzt. Kartenkolorierung stand in enger Beziehung zur Malerei: „Die in Malereihandbüchern empfohlenen Farbmitteln konnten wir tatsächlich auf den Karten nachweisen“, sagt Oliver Hahn, Centre for the Study of Manuscript Cultures und Projektleiter des materialwissenschaftlichen Teilprojekts.
Karten und ihre Provenienz
Karten können nicht nur koloniale Gebietsansprüche ausdrücken. Sie können auch in der Folge kolonialer Übergriffe in Sammlungen gelangt sein. Dies gilt beispielsweise für die ausgestellte Kartenrolle, die nicht nur chinesische Machtansprüche auf Nachbarregionen zeigt, sondern selbst wahrscheinlich während des so genannten „Boxerkriegs“ 1900/1901 aus dem Kaiserpalast in Peking geplündert wurde. Die genaue Provenienz dieser Karte wird zurzeit erforscht.
Die meisten europäischen Karten der Commerzbibliothek und der Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv wurden im 18. und 19. Jahrhundert legal erworben. Dazu gehören die Karten des ehemaligen Hamburger Regierungschefs Johann Klefeker (1698-1775), die 1776 in die Commerzbibliothek gelangten und bis heute im Archiv verwahrt werden. Sie überstanden sogar die Zerstörung der Bibliothek im Jahr 1943 und die große Flut von 1962.
Das Projekt „Kolorierte Landkarten“
Die Projektidee entstand 2018 in Hamburg. Den Projektinitiator:innen Kathrin Enzel (Stiftung Hanseatische Wirtschaftsarchiv), Dr. Susanne Knödel (MARKK), Prof. Dr. Oliver Hahn (Centre for the Study of Manuscript Cultures der Universität Hamburg) und Prof. Dr. Jochen Schlüter (Mineralogisches Museum der Universität Hamburg, CeNak) war schnell klar, dass es sich lohnt, die Kartensammlungen unter dem Aspekt der Farbe einer wissenschaftlichen Neubetrachtung zu unterziehen.
Mit Karten aus Europa und Ostasien wurden zwei Endpunkte des euroasiatischen Kontinents zur Betrachtung ausgewählt. An ausgewählten handkolorierten Karten wurden Farbmittel untersucht und mit schriftlichen Quellen zu Kolorierung und Farbenhandel verglichen. So konnten historische Abfolgen des Farbgebrauchs und europäisch-asiatische Technologietransfers wie auch kulturübergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kolorierungspraxis festgestellt werden.
„Die Ergebnisse unseres Projekts erleichtern künftig die Datierung von Karten, die Entschlüsselung ihrer Botschaften und das Aufdecken späterer Überarbeitungen oder Fälschungen“, erläutert Kathrin Enzel, Koordinatorin des Verbundprojekts. Die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ermöglichte es, die drei Fachwissenschaftler:innen Dr. Diana Lange, Dr. Peter Zietlow und Dr. Benjamin van der Linde für drei Jahre ins Boot zu holen.
„Alle Beteiligten sind sich einig, dass sich die intensive Arbeit an den Karten gelohnt hat. Wir können keine Landkarten mehr ansehen, ohne sofort die Geschichten hinter der Farbgebung zu analysieren, die uns so viel über geographische Informationen hinaus über die Welt erzählen. Ab 27. August sind auch Besucher:innen eingeladen, sich ins Farbenmeer zu stürzen”, so Barbara Plankensteiner, Direktorin des MARKK.