Im Zuge des Stadtplanungsprogramms Neues Frankfurt wurden mehrere Siedlungen errichtet. Sie sollen Teil des Weltkulturerbes der UNESCO werden
Die Stadt Frankfurt am Main bewirbt sich mit den Ernst-May-Siedlungen aus den 1920er Jahren um die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe. Das „Neue Bauen“ war ja eine außerordentlich vielseitige Bewegung, die keineswegs auf den Bauhausstil reduziert werden darf. So schuf zum Beispiel Ernst May ab 1925 das „Neue Frankfurt“ mit klarer Formgebung und sensibler Einbindung in die Natur im Bereich der Architektur und darüber hinaus mit schlichten, funktionalen Möbeln, und zwar ohne dabei die Formensprache des Bauhauses zu kopieren.
Das May-Haus in der Frankfurter Römerstadt ist das einzig vollständig und denkmalgerecht wiederhergestellte Wohnhaus im Stil des Neuen Frankfurt aus der Zeit des Architekten und Stadtplaners Ernst May. Die Elemente im Inneren des „Mayhauses“ wie Türklinken, Wasserhähne etc. wurden vor knapp 100 Jahren bewusst modern gestaltet und wirken heute noch zeitgemäß. Das trifft auch auf die legendäre, zukunftsweisende „Frankfurter Küche“ zu.
Mit dem Programm des „Neuen Frankfurt“ schuf May in den Jahren 1925 bis 1930 gemeinsam mit seinem Stab von Architekten und Designern über 10.000 Wohnungen, umgeben von großzügigen Grünflächen, die bis heute ein wertvoller Teil des Frankfurter Grüngürtels sind. Der Grafiker Hans Leistikow hatte für die Römerstadt eigens ein Farbkonzept entwickelt. Typisch sind zum Beispiel eine rote Fassade und blaue Fenster.
Dieses sogenannte Trabantensystem mit möglichst eigenständigen Siedlungen am Stadtrand und grünen Freizeitflächen macht die Bauten des Neuen Frankfurt auch international zu einer Besonderheit – und soll nun als Weltkulturerbe der Unesco anerkannt werden. Nach einem erfolglosen Versuch vor einigen Jahren sei jetzt von der hessischen Landesdenkmalbehörde der Anstoß gekommen, es noch einmal zu versuchen, berichtet Philipp Sturm. Gemeinsam mit Christina Treutlein kümmert er sich als Geschäftsführer der Ernst-May-Gesellschaft um dessen architektonisches Erbe.
Zu den Details im Inneren der Häuser haben Sturm und Treutlein gerade einen Bildband mit dem Titel „Mayhaus – Das Musterhaus des Neuen Frankfurt“ im Verlag avedition mit aktuellen Fotografien und historischen Plänen herausgegeben. Bei den Fotografien von HfG-Absolvent Simon Keckeisen wird deutlich, wie farbenfroh diese Häuser ursprünglich gestaltet waren.
Die bauhistorische Einordnung besorgt Christina Treutlein. „Dass wir heute denken, das Neue Bauen sei Schwarz-Weiß gewesen, liegt daran, dass es von damals fast nur Schwarz-Weiß-Fotos gibt“, sagt Treutlein. „Dabei waren das Neue Frankfurt und das Neue Bauen eine sehr bunte Zeit.“ Neben gebrochenem Weiß waren die Fassaden der Siedlung Römerstadt auch in Ocker- und Rottönen gestrichen, Türen und Fenster in leuchtendem Blau. In diesen Originalfarben werden in der Römerstadt gerade die Reihenhäuser der Straße „Im Burgfeld“ saniert. Metalltüren und Plastikfenster, die bei früheren Sanierungen eingebaut worden waren, werden wieder durch blaue Holzfenster und -türen ersetzt und man ist bemüht, wenn möglich, die Einrichtung des Erstbezugs zu rekonstruieren.
„Wir wünschen uns eine Außenwirkung wie in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts“, erklärt Sturm. Das größte Problem dabei sieht er aber in den vielen Autos, die heute in der Siedlung parken und den Blick auf die Häuserzeilen verstellen. Auch die Plastik-Mülltonnen störten an vielen Stellen den Gesamteindruck. „Denn die Siedlungen stehen ja vor allem städtebaulich unter Denkmalschutz, also in ihrer gesamten Anlage.“ Ein Aspekt, den heutzutage leider viele Denkmalpfleger*innen auszublenden pflegen, die ihre vorbildlich restaurierten Baudenkmäler anschließend von Autos zuparken lassen (müssen) und so den schlichten und eleganten Gesamteindruck wieder zunichtemachen. Gleiches gilt auch für die unsensible Platzierung von Parkautomaten direkt vor Baudenkmälern.
Jetzt bringt die Ernst-May-Gesellschaft zusammen mit dem Kultur- und dem Planungsdezernat der Stadt die UNESCO-Bewerbung voran. Einer von zwei Plätzen auf der hessischen Vorschlagsliste könne für das Neue Frankfurt reserviert werden, signalisierte das Land. Ein großer Schritt sei das, meint Sturm. Der Verein baut bei der Bewerbung auf den Rat von Experten und Expertinnen aus aller Welt.
Eine besondere Rolle dabei spielt die Frankfurter Partnerstadt Tel Aviv, deren reichhaltiges Erbe an Bauhaus-Architektur – „Weiße Stadt“ genannt – schon seit 2003 zum Weltkulturerbe gehört. „Von Tel Aviv können wir lernen, wie man die Bedürfnisse von Bewohnern und Denkmalschutz unter einen Hut bekommt“, sagt Christina Treutlein, „und dass man für das Projekt Weltkulturerbe einen langen Atem braucht.“ Geschäftsführer Sturm wünscht sich für dieses Projekt einen „gesamtstädtischen Geist wie bei einer Olympiabewerbung“. Dazu gehöre allerdings auch die nötige politische Unterstützung.