31.03.2021

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Im Wettlauf gegen die Zeit

mit denen danach ein dreidimensionales Modell des Schiffes erstellt wird. Foto: Thomas Van Damme
mit denen danach ein dreidimensionales Modell des Schiffes erstellt wird. Foto: Thomas Van Damme

Die erfolgreiche Rekonstruktion eines Schiffswracks von 1188: Archäolog*innen haben ihre Forschungsergebnisse zum Fund eines mittelalterlichen Schiffswracks vor vier Jahren im Wismarer Hafen bekanntgegeben. Demnach ist das Schiff mit mehr als 800 Jahren viel älter als vermutet

mit denen danach ein dreidimensionales Modell des Schiffes erstellt wird. Foto: Thomas Van Damme
Experte Massimiliano Ditta dokumentiert die Schiffsplanke mit Scanner und Laptop. Unzählige Bildaufnahmen entstehen, mit denen danach ein dreidimensionales Modell des Schiffes erstellt wird. Foto: Thomas Van Damme

Es war der dritte sensationelle Fund, den Unterwasserarchäolog*innen während der Erweiterung des Seehafens Wismar in Mecklenburg-Vorpommern machten. Nachdem im April 2016 bereits zwei über 700 Jahre alte Schiffswracks entdeckt wurden, stießen die Expert*innen Ende 2017 auf ein drittes großes Schiff. Es ruhte am Boden der Wismarer Bucht drei Meter unter der Wasseroberfläche: Ein robuster Lastensegler mit 24 Metern Länge und vier Metern Breite, fast vollkommen erhalten dank der anaeroben Bedingungen in leicht saurem Wasser, geschützt vor Bakterien, Fäulnis und Holzwürmern. Die sorgfältige Dokumentation des Wracks offenbarte, dass es sich bei dem Schiff um einen Nachfahren der Wikingerschiffe handelt.

Der Meeresarchäologe und Bergungsleiter Dr. Jens Auer (Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern) beschreibt das „große Schiff von Wismar“ als mittelalterliche Schiffbaukunst vom Feinsten: „Dieses schwere Frachtschiff nordischen Baustils wurde mit großer Sorgfalt konstruiert und war immens strapazierfähig. Es wurde mit überlappenden Kiefernplanken in Klinkerbauweise gezimmert und hat wunderschöne Kurven. Da es in einer recht friedlichen Zeit im Einsatz war, beförderte es vermutlich Frachtgut wie Holz, Steine oder schwere Ladungen Bier.“ Eichen und Kiefern waren für den Bau des großen Frachtschiffs notwendig. Sie wurden vermutlich zwischen 1184 und 1190 in Westschweden geschlagen.

Doch schon wenige Jahre später trat das stabile Handelsschiff seine letzte Fahrt an die südliche Ostseeküste an und versank in der Wismarbucht. Bei dem Wrack handelt es sich um den „bislang besterhaltenen und vollständigsten Fund eines Schiffstyps“, erklärt Auer. „Er kennzeichnet die Übergangsphase von wikingerzeitlichen Bautraditionen zum nordischen Klinkerschiffbau des Mittelalters.“ Auer zufolge fällt die Bau- und Nutzungsphase des Handelsschiffs damit in eine Zeit, in der der dänische Seehandel unter der Herrschaft von Knut VI. und Valdemar II. florierte.

Dass das Wrack an der südlichen Ostseeküste gefunden wurde, ist wenig überraschend, denn diese war damals Teil des dänischen Herrschaftsbereichs. „Interessant sind jedoch die Rückschlüsse, die sich für die Geschichte der Stadt Wismar ergeben. Offensichtlich gab es mit dem 1209 erwähnten „portus Wissemer“ bereits vor der Stadtgründung einen Hafen, der wichtig genug war, um von einem großen skandinavischen Handelsschiff angelaufen zu werden“, führt Auer weiter aus.

Doch wie sollte man verfahren, um diesen Schatz zu erhalten? Schon die Bergung war ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Wintereinbruch stand kurz bevor. Und wie konnten nach der Bergung die 228 einzelnen Teile des Seglers rasch genug kartiert werden, um das nun Sauerstoff und Trockenheit ausgesetzte Gut vor dem Zerfall zu schützen? Mit einem herkömmlichen 3D-Scanverfahren wie dem taktilen 3D-Scanner FaroArm hätte man über ein Jahr gebraucht, um die Feinheiten der Bauweise und den Erhaltungszustand zu dokumentieren. Experte Auer wusste, dass man schneller zum Ziel kommen musste.

Er stellte ein Team mit den besten verfügbaren Spezialist*innen für Unterwasserarchäologie, Photogrammetrie und 3D-Aufnahmen zusammen: Thomas Van Damme, Massimiliano Ditta, Marie Couwenberg und Benjamin Halkier. Während einer früheren Tätigkeit im Bereich Schiffswrackkonservierung hatte Auer bereits den 3D-Scanner Artec Eva kennengelernt: einen leichten handgeführten 3D-Farbscanner, der auf Strukturlicht-Technologie basiert und erlaubt, berührungslos zu scannen. Als Auer den Scanner an nassen Schiffsplanken testete und sah, wie schnell und detailgetreu der Scanner das ganze Spektrum der Holzstruktur erfasste, stand sein Entschluss sofort fest. Sie würden den Streiflichtscanner Artec Eva einsetzen.

Und der Erfolg gab ihm recht: „Sieben Planken am Tag, inklusive Reinigung, Scannen, Annotation, Beschreibung und Fotografie. So hat unser vierköpfiges Team in 33 Tagen alle 228 Holzkomponenten dokumentiert“, verdeutlicht Massimiliano Ditta. Und Van Damme fügt hinzu: „Artec Eva hat den großen Vorteil, dass er im Vergleich zur Photogrammetrie um einiges nutzerfreundlicher ist. Selbst Leute, die kaum Erfahrung mit 3D-Scans haben, hätten diese Dokumentation durchführen können. Es hat richtig Spaß gemacht, das Holz mit diesem Gerät zu scannen, weil es sehr leicht zu handhaben ist. Zuvor hätten wir von jedem Stück über 300 Nahaufnahmen aus den unterschiedlichsten, unbequemsten Winkeln machen müssen.“

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nachdem die Planken von allen vier Seiten gescannt und im Anschluss in farbige Polygonnetze umgewandelt wurden, gibt es nun perfekte digitale Nachbildungen der Bohlen. Zudem wurden sämtliche Merkmale der Holzplanken vollständig erfasst. Mithilfe der Anwendung Rhino 5 für 3D-Modellierung wurden die Details auf exakt den Ebenen gespeichert, wo sie sich auf dem Holz befinden. Van Damme erläutere dazu: „Die Anmerkungen enthielten Einzelheiten zu jedem Schnitt und jedem Axthieb, sämtlichen Nagellöchern, den kleinsten Kratzern sowie zur Holzmaserung. Es wurde vermerkt, welche Werkzeuge jeweils zum Einsatz kamen und welche Nägel benutzt wurden, ob Eisen- oder Holznägel. Wir haben auch geprüft, ob es Hinweise auf Reparaturen gab und von welchem Teil des Baums ein Holzstück stammte.“

Lesen Sie weiter in der RESTAURO 2/2020.

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