Große Teile seiner Assoziationen sind auf Zetteln oder losen Papieren überliefert. Leibniz selbst hatte die Manuskripte zerschnitten, um sie später thematisch zu ordnen. Dazu verwendete er ein spezielles Schränkchen mit Schubladen, das nicht mehr erhalten ist. Die sogenannten Leibniz-Schnipsel werden aktuell in einem gemeinsamen Projekt vom Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK), der MusterFabrik Berlin, der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek und der Ausgabe Leibniz Edition (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) wiederhergestellt. Das Vorhaben umfasst zunächst die Digitalisierung von Fragmenten der Schriftstücksammlung „Mathematica“, insgesamt knapp 10.000 Blatt. Bis März 2017 sollen die einzelnen Teile rekonstruiert sein. Michael Kempe von der Leibniz-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen beim Leibniz-Archiv der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover leitet das Projekt. „Bisher wurden die Blattfragmente und deren Zugehörigkeit im Wesentlichen manuell vorgenommen im Rahmen der bibliothekarischen Erschließung und der historisch-kritischen Edition“, erklärt der Experte. „Vereinfacht gesagt geht es um digitales Puzzeln, um die Zusammenführung von Textfragmenten in den mathematischen Schriften von Leibniz mit Hilfe eines interaktiven Assistenzsystem zur Erreichung einer besseren zeitlichen und inhaltlichen Zuordnung der Handschriften.“
Der ursprüngliche Zustand soll wieder hergestellt werden
Michael Kempe interessiert vor allem, wie Leibniz gedacht hat und wann er sich mit bestimmen Themen auseinandergesetzt hat. Die Ergüsse des Gelehrten sollen also wieder in eine chronologische Reihe gebracht werden. „Das Spannende dabei ist, dass wir dabei eine Software verwenden und adaptieren, die vom Fraunhofer IPK entwickelt wurde, um die sogenannten Stasi-Akten zu rekonstruieren.“ Ein eigens für das Projekt gebauter Spezialscanner des Berliner Software-Unternehmens MusterFabrik erstellt in Hannover ein pixelfreie Digitalisate, die Form, Farbe und auch Wasserzeichen der Fragmente ohne Verzerrungen wiedergeben. Anschließend werden die einzelnen Puzzle-Teile klassifiziert, mithilfe digitaler Bildverarbeitung und Mustererkennung wieder zusammengesetzt und als aufbereitete Rekonstruktionsvorschläge den Bibliothekaren und Editoren vorgelegt. „Die Pointe des Projektes ist gewissermaßen eine Leibnizsche Selbstanwendung“, freut sich Michael Kempe. „Wir versuchen, mithilfe von Leibniz’ eigener Erfindung, der Binärrechnung 0 und 1, der daraus heute entwickelten Computersprache, die Genese dieser Erfindung nachzuzeichnen.“ Gefördert wird das Projekt von der Klaus Tschira Stiftung, Heidelberg.