29.12.2022

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„Audioarchiv Kunst“: Ein Oral History Projekt aus dem Rheinland

Das „Audioarchiv Kunst“ von Sabine Oelze (links) und Marion Ritter ist seit vier Jahren online. Foto: privat
Das „Audioarchiv Kunst“ von Sabine Oelze (links) und Marion Ritter ist seit vier Jahren online. Foto: privat

Köln und Düsseldorf agierten im Kunstbereich in den 1960ern auf Augenhöhe mit New York. Wie war das möglich? Die Kunsthistorikerinnen und Journalistinnen Sabine Oelze und Marion Ritter haben 50 Jahre später Zeitzeugen getroffen und erzählen lassen. Ihr „Audioarchiv Kunst“ ist seit vier Jahren online. Ein Interview über Interviews – und die Zukunft des Oral History Projekts

RESTAURO: Wie ist die Idee des „Audioarchiv Kunst“ entstanden?

Sabine Oelze: Die Idee zum „Audioarchiv Kunst“ entstand bei einem Besuch im Atelier des Malers Gotthard Graubner, der quasi ungefragt über die 1960er Jahre, diese für ihn überaus wichtigen Anfangsjahre in Düsseldorf erzählte. Es tauchten viele Namen auf, die heute kaum noch bekannt sind. Das hat uns neugierig gemacht und auf die Idee gebracht, möglichst viele dieser Personen zu treffen, bevor ihre Sichtweisen verloren gehen. Methodisch sind wir auf der Basis der Oral History vorgegangen, dem Versuch also, Geschichte möglichst lebendig anhand von Zeitzeugenerinnerungen aufzuzeichnen.

RESTAURO: Oral History ist in der Kunstgeschichte bislang eher die Ausnahme. Hat diese Form gut funktioniert? Wie groß war die Bereitschaft? War gezieltes Nachfragen nötig?

Marion Ritter: In der Vielzahl der Gespräche, die wir geführt haben, entstand für uns ein sehr breites und lebendiges Bild der Kunstszene im Rheinland von Ende der 1950er bis zum Beginn der 1990er-Jahre. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beteiligen sich mit großer Bereitschaft, viele von ihnen sind froh, dass wir ihre Erinnerungen aufzeichnen, um sie kostenfrei und unkompliziert einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anders als bei Interviews vor einer Kamera sind Audiointerviews sehr viel unmittelbarer und auch einfacher zu führen. Betagtere Menschen haben oft doch eine Scheu, vor einer Kamera zu sitzen, in ein Mikrophon zu sprechen, das dank heutiger Technik nur noch sehr klein ist, macht ihnen dagegen wenig aus. Da Hören insgesamt eine Renaissance erlebt, passen unsere Audiofiles sehr gut in die Zeit und lassen sich als Podcast abonnieren. Auf der Seite audioarchivkunst.de lassen sich aber zusätzlich noch Verbindungen der Zeitzeugen untereinander recherchieren. Wenn etwa Rudolf Zwirner über Kasper König spricht, dann kann man im File von Kasper König auch nachhören, was er über seine Zeit als Lehrling bei Zwirner erzählt. Manchmal fallen die Erinnerungen auch unterschiedlich aus. Da merkt man dann, dass Geschichte von Menschen gemacht wird. Von allen, Künstlern, Sammlern, Galeristen, Kritikern …

Audioarchiv Kunst: Gotthard Graubner, fotografiert von Lothar Wolleh. Foto: Wikimedia Commons / / Lothar Wolleh
„Audioarchiv Kunst“: Gotthard Graubner, fotografiert von Lothar Wolleh. Foto: Wikimedia Commons / /Lothar Wolleh
Audioarchiv Kunst: Rissa, Das Geheimnis, 1966, Öl/Leinen, 100 x 120 cm, 1966. Foto: Wikimedia Commons / de Caesius
„Audioarchiv Kunst“: Mary Bauermeister vor Kristall-Objekt (2012). Foto: Wikimedia Commons / de Caesius
Audioarchiv Kunst: Rissa, Das Geheimnis, 1966, Öl/Leinen, 100 x 120 cm, 1966. Foto: Wikimdia Commons / Jan Schüler
„Audioarchiv Kunst“: Rissa, Das Geheimnis, 1966, Öl/Leinen, 100 x 120 cm, 1966. Foto: Wikimdia Commons / Jan Schüler

RESTAURO: Und natürlich auch von Frauen. Wie groß ist deren Anteil am „Audioarchiv Kunst“?

Sabine Oelze: Der Anteil ist leider viel zu gering. Einige Frauen fühlen sich nicht kompetent genug, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Andere wiederum tun das mit großer Bereitschaft. Rissa zum Beispiel, Künstlerin und Ehefrau des 2017 verstorbenen Informel-Künstlers K.O. Goetz, die in die gleiche Klasse an der Kunstakademie in Düsseldorf ging wie Richter und Polke. Oder Ulrike Rosenbach! Die schildern sehr ausführlich, wie sehr sie kämpfen mussten, weil sie von der offiziellen Riege nicht ernst genommen wurden. Wir sind sehr froh, dass wir auch die inzwischen verstorbene Künstlerin Erinna König oder auch die Ehefrau des Foto-Doyens L.Fritz Gruber, Renate Gruber, sprechen konnten, die im Oktober diesen Jahres verstorben ist. Auf diese Weise existieren über das offizielle Erinnern hinaus noch ihre Stimmen und so etwas wie ihr persönliches Gedächtnis bleibt erhalten.

RESTAURO: Wieso konzentriert sich das „Audioarchiv Kunst“ auf das Rheinland?

Marion Ritter: Wir haben uns zu Beginn unserer Arbeit gefragt, warum sich gerade hier schon ab Ende der 1950er und Anfang der 1960er-Jahren die internationale Szene tummelte. Warum lebten hier so viele herausragende Künstler? Warum fand in Köln die erste Kunstmesse der Welt statt? Warum siedelten sich hier so viele Galerien an? Die Gespräche, die wir geführt haben, zeigen eindrücklich, dass es eine Reihe von Menschen gab, die eine Sogwirkung auf die gesamte Kunstszene hatte. Joseph Beuys etwa war so ein Taktgeber, der viele Künstlerinnen und Künstler ins Rheinland zog. Im Atelier von Mary Bauermeister traf die internationale avantgardistische Musik auf hiesige Künstler und prägte die Szene nachhaltig. Ein kunstbegeisterter Kölner Kulturdezernent wie Kurt Hackenberg ebnete den Weg für die Ansiedlung von Galerien und für den Kunstmarkt, die spätere Art Cologne. Es sind in erster Linie viele persönliche Faktoren gewesen, die die Entwicklungen beeinflusst haben.

Das Interview führte Alexandra Wach.

Lesen Sie mehr über die private Initiative „Audioarchiv Kunst“ in der RESTAURO 8/ 2022.

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