Über Eifer, Einsatz und Ehrgeiz
Für Diplom-Restaurator Dr. Paul-Bernhard Eipper ist Beharrung Stillstand. Der Leiter des Referats Restaurierung am Universal Museum Joanneum in Graz sinniert über Konkurrenz, Neid und Angst
Es gibt bekanntlich vieles in der Konservierung und Restaurierung, auch vieles was da nicht hingehört. Und so möchte ich mir zum Beispiel den Neid vornehmen. Denn er kommt ubiquitär, in allen Fakultäten, allzu üppig vor. Er ist so nutzlos wie ein Kropf, doch alle Welt scheint ihm zu frönen. Irgendwie ist ihm nicht beizukommen, und so frage ich mich, wo kommt er eigentlich her, dieser unnütze Reflex und wo sitzt er: Im Rückenmark? Im Kleinhirn? So schnell wie er ausgelöst wird, lässt er sich aller Wahrscheinlichkeit nicht im Großhirn lokalisieren. Vielleicht ist es gar ein Virus, ein tückischer Parasit? Warum gibt es kein Mittel gegen ihn, warum tut niemand etwas gegen ihn, wo doch alle unter seinen Folgen zu leiden haben? Warum fällt es so schwer sich am Fortschritt mitzufreuen und dafür dankbar zu sein und ihn zu unterstützen? Neid ist keine Basis für einen konstruktiven Dialog, Neid generiert keine Fortentwicklung.
Die Künder des Neuen wecken uns, stören das behagliche, ruhige Sein, sie schrecken auf. Warum tun sie das? Etwas mehr Eifer und Einsatz für die Sache wird schnell als Ehrgeiz wahrgenommen – und dieser ist negativ beleumundet. Wenn einer höhere Maßstäbe ansetzt, drängt das andere zwangsweise zu einem höheren Einsatz: Man wird genötigt, seine Komfortzone zu verlassen, worin man sich doch so schön eingerichtet hat. Manchen scheint es, dass die Ehrgeizigen sie kleiner erscheinen lassen und überstrahlen wollen: Womöglich wollen diese zeigen, dass andere weniger können, weniger auf dem aktuellen Wissensstand sind, weniger wichtig sind. Diese verbrämen ihre Wichtigtuerei hinter der Vermittlung von neuen Erkenntnissen und wollen, dass sie unterstützt werden und man Ihnen applaudiert. Und das soll nicht geschehen. Doch halt: Warum bremst uns niemand in dieser Spirale? Warum sind wir eigentlich so geworden wie wir sind? Und wo haben wir das gelernt?
Elan und Emotion, zuviel Energie und Einsatz löst Misstrauen aus. Man reagiert, wie bei einem penetranten Verkäufer: Man mag es nicht, lehnt das Angebot ab. Streber sind verdächtig. Deshalb werden sie bei uns eher gehemmt als gefördert. Nicht jeder Mensch lässt sich begeistern und unter Zugzwang möchte man sich auch nicht bringen lassen. Aber wenn wir nicht für unsere Arbeit brennen, kommt auch keine Freude an unserem Tun auf. Wenn wir uns aber selbst aus freien Stücken entschieden haben, etwas nicht zu tun, sollten wir andere, die etwas anderes oder mehr tun als wir selber, nicht dafür tadeln.
Warum manche Dinge länger brauchen
Was ich sagen möchte: Wir alle befinden uns in Entwicklung, es muss vorwärts gehen, wir brauchen Impulse und wir müssen mitgehen. Das landestypische, selbstreferenzielle Modell hat ausgedient. Beharrung ist Stillstand. In anderen Fakultäten – wie beispielsweise in der Medizin – wäre es undenkbar, seinen Wissensstand nicht aktuell zu halten und sich nicht – auch außerhalb der Arbeitszeit – fortzubilden. Warum aber mögen wir nichts Neues? Wir haben doch auch das Leben in Lehmhütten und das sich ums Feuer scharen hinterfragt. Es ist schon eigenartig: Selbst wenn sich alle einig sind, dass etwas geändert werden muss: Es geschieht dann in der Regel zunächst nicht. Besteht Einigkeit, denkt man bei uns: Vorsicht, da muss etwas dahinterstecken! Deshalb geschieht dann nichts, und alles bleibt wie es war. Wenn jemand etwas will oder durchsetzen möchte, glaubt man, dass er eigentlich etwas anderes will, oder aus anderen Gründen handelt, als er sagt. Deshalb werden notwendigen Vorhaben keine Unterstützung zuteil und folglich brauchen manche Dinge länger als anderswo.
Jammern allein reicht nicht
Erst hinterher, wenn man merkt, dass die Behinderer und Verhinderer 20 oder 30 Jahre vertan haben, ist der Jammer groß. Und schon hat man wieder Grund genug zum Klagen, was natürlich so nutzlos, wie überflüssig und wenig positiv ist – aber letztlich leider auch zu unserer gesellschaftlichen Konvention gehört. Wenn wir aber so weiter machen, wundert es niemanden, dass bei uns vieles länger braucht als anders wo. Nein, wir können uns unseren Trotz nicht leisten. Mit gemeinsamen Jammern über die Zustände kann man sich zwar auf fragwürdige Art verbünden, aber Aufgaben löst man so nicht. Direktes benennen und ansprechen, muss aber nicht zwangsweise den eigenen Handlungsspielraum einschränken, sondern ist die Basis zur Mobilisierung um neue Ansätze zu entwickeln.
Das „Leben-und-leben-Lassen“ – ein im Prinzip anarchisches Modell – gilt in diesem Zusammenhang hauptsächlich für einen selbst: Man nickt nach außen Bestehendes und Überholtes ab und lebt in seinem privaten Bereich so wie man es selbst will. Hier duldet man kein dareinreden. Im Bequemen erschöpft sich somit jeder revolutionäre Einsatz. Unsere spezifische Geschichte und Erziehung wirkt in uns allen nach. Veränderung ist per se schlecht beleumundet. Ein rückständiges Klima aber behindert das freie Denken, das dem Traditionsverliebten per se suspekt ist. Da der Argwohn bremst, importiert man mitunter zwar den nötigen technischen Fortschritt, aber nicht eine entwicklungsfreudige Haltung. Manchmal reist man im Windschatten anderer mit, aus mangelnder eigener Kraft, Dinge im bestehenden System selbst zu verändern. Unglücklicherweise geht dieses Verhalten zumeist einher mit mangelnder Dankbarkeit und einer Hemmung, sich auch im Anlassfall zu entschuldigen – da darin meist ein Schuldeingeständnis gesehen wird. Wieso sind viele so diskussionsunwillig und auch bisweilen so humorlos geworden sind? Müssen wir immer Recht haben? Bedeutet es Machtverlust, wenn man sich nicht durchsetzt?
Fortschritt bringen Kollegen, die sich mitteilen, vortragen und publizieren
Wenn wir etwas selbst nicht tun wollen oder können und es andere für uns tun, dann sollten wir dankbar dafür sein und sie nicht bremsen, sondern froh sie unterstützen. Es darf nicht unser Ziel sein, notwendige Maßnahmen deshalb nicht zu unterstützen, weil andere dann eventuell Beifall bekommen könnten und man nicht selber.
Mit etwas Elan haben wir in unserem System alle die Möglichkeit uns fortzubilden, Lehre, Praktikum, Studium, Doktorat, Habilitation. Wenn wir aufgrund unserer praktischen Erfahrungen zu Einstellungen kommen, aufgrund unseres Wissens zu Überzeugungen gelangen, Verfahren nicht nur anwenden sondern auch entwickeln, ist das gut. Wir tragen ja unseren Kopf nicht nur zum Haare schneiden herum oder nur weil wir damit eine Position bekleiden. Warum sind aber die, die sich bewusst dazu entschieden haben das nicht zu tun, die also nicht ihre Erfahrungen mitteilen, nicht einfach froh, dass es andere tun?
Richtig: Nicht selten steckt der Neid dahinter. Der ganz normale menschliche Neid. Der eine hat etwas, kann etwas, tut etwas, was ich nicht kann, nicht will oder einfach zu bequem dazu bin. Zum Beifall kann einen keiner zwingen und zum Dankesagen auch nicht. Wer sich hervor tut, der hat es anscheinend nötig sich zu profilieren, der ist ein Karrierist, ein Profilneurotiker, eine Rampensau. Warum aber sollte es nicht einfach einmal um die Sache gehen?
Wie entsteht Weiterentwicklung?
Leider ginge ohne jene Kollegen die sich mitteilen, vortragen und publizieren – auch in der Restaurierung – nichts vorwärts. Wir würden wie in alten Zeiten unsere Geheimrezepte pflegen und höchstens uns vertrauten Kolleginnen etwas weitergeben. Wenn wir das, was wir in Praktika und Studien gelernt haben, alles geglaubt und beibehalten hätten, hätte sich vieles nicht weiterentwickelt und wäre auf dem damaligen Erkenntnisstand stehen geblieben. Wären wir traditionsverliebt, bliebe vieles wie es ist. Wenn jemand also aufgrund von selbst nachvollzogenen Einsichten plötzlich etwas anders macht, als er es früher tat, liegt darin kein Schuldeingeständnis, dass er früher etwas falsch gemacht hat, nein, er hat sich aufgrund seiner Gedanken und Erfahrungen weiterentwickelt. Es ist dies auch kein Vorwurf an die, die bisher festgehalten haben am Tradierten, auch wenn es von diesen gerne so gesehen wird. Wir alle entwickeln uns in unserem Leben weiter – zumindest sollten wir das tun, vor allem bei all unseren Möglichkeiten.
Ich möchte uns alle also bitten, die innere Bremse immer dann zu nutzen, wenn wir ihn aufkommen spüren, den Neid. Lassen Sie uns unser Kleinhirn überlisten und austricksen. Es ist der unnützeste Reflex den wir haben, er macht uns klein und eng, er behindert uns in unserer Großzügigkeit, in unserem Strömen wollen, in unserem Willen zum Guten, in unserer Freude am Bewahren von Kulturgut: Wir brauchen ihn nicht – in keiner sich mit der Erhaltung von Kunst beschäftigenden Fakultät – und in der Restaurierung zuletzt. Wir sind nicht im Wettbewerb: Wir wollen uns in konstruktivem Dialog offen austauschen.