22.10.2019

Ausstellungen

Transformationsprozesse

Ausschnitt) in der Julia Stoschek Collection Berlin. Diese Architektur aus Badezimmerarmaturen ist ein Biotop für Dutzende sich verpuppender Seidenraupen. Der Transformationsprozess wird in Echtzeit auf die Galeriewände projiziert. Foto: Installationsansicht: „Another Echo“
Ausschnitt) in der Julia Stoschek Collection Berlin. Diese Architektur aus Badezimmerarmaturen ist ein Biotop für Dutzende sich verpuppender Seidenraupen. Der Transformationsprozess wird in Echtzeit auf die Galeriewände projiziert. Foto: Installationsansicht: „Another Echo“

In WangShuis erster Einzelausstellung in Europa präsentiert die Julia Stoschek Collection an ihrem Berliner Standort drei Bewegtbild-Installationen. Sie sind zwischen 2016 und 2019 entstanden und untersuchen Transformationsprozesse (bis 15. Dezember 2019)

Mit einer Drohne nähert sich WangShuis Kamera in der Videoinstellation „From its Mouth Came a River of High-End Residential Appliances“ einem gigantischen Wohnkomplex in Hongkong. Inmitten der Häuserfronten klaffen riesige Löcher, die sogenannten Drachentore. Diese ermöglichen es den Shen-Drachen – so sagt der chinesische Volksmund –, ungestört ihren Weg von den Bergen zum Südchinesischen Meer zu fliegen und sich dort zu laben. Obgleich sie einen immensen Verzicht auf potentiellen vermietbaren Wohnraum darstellen, halten sich die meisten Bauherren an die Tradition der Tore für den freien Drachenflug.

Dem mythologischen Shen-Drachen wird die Fähigkeit nachgesagt, Größe und Farbe zu verändern und sich im Himmel und auf der Erde zu bewegen. Ein Wesen, das auch die in New York lebende Künstlerpersönlichkeit WangShui in ihren Bann gezogen hat. Drei der Bewegtbilder-Installationen, die in der Berliner Julia Stoschek Collection zu sehen sind, nehmen Bezug auf den Shen-Drachen und dessen Fähigkeit der Transformation. Auch WangShui selber versteht sich als eine Identität im Übergang, für die Kategorien wie Geschlecht, sexuelle Identität, Herkunft oder Hautfarbe keine Bedeutung haben.

Geschickt spielt WangShui mit den Klischees der westlichen Welt sowie deren Affinität zur Chinoiserie wie etwa Seidenstoffen oder -tapeten. Wohl auch nicht zufällig gerät der Künstlername mittels Eselbrücke schnell zu „Feng Shui“, der daoistischen Harmonielehre.

Geradezu Feng Shui-mäßig ausgewogen leben die Seidenraupen in der Installation „Gardens of Perfect Exposure“. Ihr terrariumähnliches Gebilde, das an die Diaramen des neunzehnten Jahrhunderts erinnert, teilen sie mit diversen Gegenständen wie Badarmaturen und Dachreparturgewebe, aber auch baumelnden Ohrgehängen, laminierten Haaren und Glastropfen.

Aufgrund der perfekten Lichtverhältnisse und idealen Temperaturen fühlen sich die Seidenraupen wohl in ihrem künstlichen Ambiente: Die Maden hüllen sich in einen bis zu 900 Meter langen Faden ein, spinnen einen Kokon. Zweimal täglich erhalten sie rehydrierte Maulbeerblätter. Als Schmetterling werden die Raupen sich allerdings dennoch nicht entpuppen: Es handelt sich um eine kurzlebige Züchtung, die lediglich als Tierfutter dient. Das Ende der Ausstellung am 15. Dezember erleben die Eier und Maden der ersten Stunde, die ständig durch neue ersetzt werden, demnach nicht mehr.

Drei Kameras erfassen den Transformationsprozess vom Ei über die Made bis hin zur Raupe und projizieren ihn in Echtzeit auf die Galeriewände. Auf einer vierten Galeriewand sieht der Besucher – hin und her gerissen zwischen dem materiellen Objekt und dessen medialer Spiegelung als Life Screens – eine Dokumentation des Prozessbeginns. Eine Restauratorin habe darüber hinaus im Vorfeld alle Parameter der Installation sorgfältig dokumentiert, erklärt Lisa Long, die Kuratorin der Ausstellung. In einem Manual zusammengefasst, bilden die Informationen dann die Basis für mögliche spätere Präsentationen.

Der Titel „Gardens of Perfect Exposure“ lehnt sich an den im 18. Jahrhundert entstandene Namen der kaiserlichen Gärten in Peking an, die als Meisterwerk chinesischer Architektur und Gartenbaukunst galten. Britische und französische Truppen zerstörten die „Gardens of Perfect Brightness“ während des Zweiten Opium Krieges. Jedes Detail in den Gärten war geplant: Horizontales und Vertikales, Weiches und Raues sowie lange und kurze Blicke wechselten einander kontrastreich ab, damit das Qi, die positive Energie, ungestört fließen konnte. Ziel der Gartenarchitekten war die Schaffung eines idealen Universums. „Sowohl der Seidenraupen-Garten WangShuis als auch der königliche Palast spiegeln ein Paradox der Sichtbarkeit“ stellt Lisa Long den Bezug her: „Es ist die kalkulierte Spannung zwischen Gewalt und Heiligtum“.

WangShui ist Teil des einjährigen Programms „Horizontal Vertigo“. Die Berliner Schau läuft bis 15. Dezember

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