26.02.2020

Branchen-News Museum

Sehen mit den Händen

Bremen / Peter Schwartz
Bremen / Peter Schwartz

Um Blinden und Sehbehinderten Bilder zugänglicher zu machen, bietet das Paula Modersohn-Becker Museum ab jetzt ein 3D-Modell -eines Selbstaktes der Künstlerin an


Inklusion im Museum: Für Blinde und Sehbehinderte bietet das  Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen jetzt ein 3D-Modell eines Selbstaktes der Künstlerin an. Foto: Museen Böttcherstraße, Bremen / Peter Schwartz
Inklusion im Museum: Für Blinde und Sehbehinderte bietet das Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen jetzt ein 3D-Modell eines Selbstaktes der Künstlerin an. Foto: Museen Böttcherstraße, Bremen / Peter Schwartz

 

Es ist eines der wichtigsten Werke der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts auf dem Weg in die klassische Moderne: Paula Modersohn Beckers „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“, gemalt im für die Künstlerin typischen, formal reduzierten, im Ausdruck aber zugleich sehr expressiven Stil. Das Gemälde ist das erste Bild, auf dem sich eine Frau selbst als Akt darstellt und entstand im Februar 1906, an einem Scheideweg in der Biographie der Künstlerin: Gerade hatte sie ihren Mann und die Künstlerkolonie Worpswede verlassen und war nach Paris gegangen. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, blickt sie den Betrachter fragend an. Ihre Hände hat sie schützend um den vorgewölbten Bauch gelegt, wie eine Schwangere. Allerdings: Zu diesem Zeitpunkt ist Paula Modersohn-Becker nicht schwanger. Warum sich die Künstlerin dennoch so darstellte, gibt der Kunstgeschichte Rätsel auf, bis heute.

Dieses Rätsel waren einer der Gründe, warum das heute im Bremer Paula Modersohn-Becker-Museum befindliche Bild für ein ganz besonderes Projekt ausgewählt wurde: Anlässlich der Ausstellung „Ich bin Ich“ mit Selbstbildnissen der Künstlerin wurde das Gemälde als Relief in Eichenholz gefräst, um es auch sehbehinderten und blinden Besuchern näher bringen zu können.

„Wir standen vor der Fragestellung: Wie können wir Selbstbildnisse für einen Personenkreis erfahrbar machen, dem das eigene Spiegelbild nicht präsent ist“, erinnert sich Anne Beel, im Museum für die Kunstvermittlung zuständig, an die Anfänge der Idee. Üblicherweise wird bei Angeboten für Sehbehinderte mit Requisiten gearbeitet, die auch im Bild dargestellt sind, und die betastet werden können. Oder mit Düften, die die gezeigten Objekte verströmen. Auf dem „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ trägt Paula Moderson-Becker eine Bernsteinkette. Aber die allein hilft beim Erfassen des Gehalts dieses Bildes kaum weiter. 

Relativ schnell war die Idee geboren, deshalb das ganze Gemälde mittels 3D-Druckverfahren ertastbar zu machen. Doch was zunächst relativ einfach umsetzbar schien, entpuppte sich als komplexes Problem. „Das war für uns eine genauso große Herausforderung wie für den Produktdesigner, den wir hinzugezogen haben“, berichtet der Direktor des Museums, Dr. Frank Schmidt. Dieser erarbeitet zunächst in mehrwöchiger Arbeit ein Modell – per Hand. Denn tatsächlich birgt das Hinzuentwickeln einer dritten Dimension zu einem zweidimensionalen Kunstwerk viele Hürden. Zum einen muss entschieden werden: Welche Details machen auch in einer räumlichen Umsetzung Sinn? Und welche verwirren – was beispielsweise für die Punkte des Hintergrunds galt. Dann muss die Körperhaltung definiert werden, und zwar so, dass sie der Haltung auf dem Gemälde entspricht, aber auch im Dreidimensionalen ihre anatomische Richtigkeit hat. 

Allein dieses ständige Abgleichen und Überprüfen nahm mehrere Tage in Anspruch. Das fertige Modell musste dann digitalisiert und in eine Vorlage für eine automatische Fräse umgearbeitet werden. Zwei Tage brauchte das Gerät, um bei dem dafür vorgesehenen Eichenholzblock an den entsprechenden Stellen Schicht für Schicht abzutragen, bis eine Relief-Replik des Gemäldes im Verhältnis 1:2 entstanden war. Diese wurde dann noch geschliffen und geölt, um zu verhindern, dass sich das 3D-Bildnis beim Betasten rau anfühlt oder sich gar Splitter lösen. Ohne die Unterstützung der Waldemar-Koch-Stiftung wäre das aufwendige Projekt nicht zu finanzieren gewesen.

Umso gespannter war das Museumsteam auf die Reaktionen der ersten blinden und sehbehinderten Besucher. Diese waren völlig begeistert – durch das Relief war es ihnen möglich, die komplette Körperhaltung, sogar die Neigung des Kopfes zu erfassen. „Das waren für uns Aha-Momente – wir waren überglücklich“, erinnert sich Anne Beel. Die Aufmerksamkeit, die die dreidimensionale Version des Selbstbildnisses auf sich zog, war auch unter nicht-sehbehinderten Museumsbesuchern so groß, dass das Relief, anders als ursprünglich geplant, nun ebenfalls ausgestellt wird, allerdings in einer Vitrine. Wirklich zu betasten wird es auch weiterhin nur im Rahmen von Spezialführungen sein. „Das Relief ,funktioniert‘ nur im Rahmen einer Führung wirklich gut, bei der auch Hintergrundwissen vermittelt wird, so dass die Teilnehmer ein bisschen wissen, was sie erspüren, wenn sie sich damit beschäftigen“, erklärt Beel. 

Schon der Aufwand, der hinter der Erstellung des Reliefs steht, hält Direktor Frank Schmidt auch davon ab, weitere Teile seiner Sammlung in 3D-Modelle umzusetzen. „Längst nicht jedes Bild eignet sich dafür – es darf, wie wir vom Blinden- und Sehbehindertenverein erfahren haben, nicht zu detailreich sein, sonst kann es beim Tasten nicht mehr als Ganzes erfasst werden.“ 

Lesen Sie weiter in der Ausgabe 2/2020 (Titelthema: Kulturguterhaltung), www.restauro.de/shop.

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