20.11.2014

Projekte

Kunststoff

von Heike Schlasse
Prof. Ruth Keller und Dipl.-Rest. Dietmar Linke

Sind Kunststoffe Teil unseres kulturellen Erbes? Brauchen wir generell ein Forschungszentrum für Restaurierung solcher Materialien? Ist eine systematische Ausbildung zum Kunststoffrestaurator notwendig und sind Kunststoffe als Restaurierungsmittel wirklich alternativlos?

Das Symposium „Plastics Heritage“, vom 22. bis 24. Oktober 2014 an der HTW Berlin, bot Restauro die Möglichkeit zu einem Gespräch mit den Organisatoren: Ruth Keller, Professorin für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften an der HTW Berlin, Dr. Dr.h.c. Günter Lattermann, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kunststoffgeschichte (dgkg) und Dozent an der HTW Berlin und Dietmar Linke, Diplomrestaurator und Dozent an der HTW Berlin.

Wie kam es zu der Idee einer gemeinsam von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) und der Deutschen Gesellschaft für Kunststoffgeschichte (dgkg) ausgerichteten Tagung?
Keller: Wir stehen seit vielen Jahren in Kontakt. Zunächst gab es Gespräche zwischen Herrn Linke und Herrn Lattermann bezüglich einer Restaurierung. Mittlerweile lehrt Herr Lattermann unsere angehenden Restauratoren im Bereich der Kunststoffe. Interdisziplinär haben wir bereits 2012 ein „Treffen Kunststoffgeschichte“ am Hochschulstandort Berlin-Oberschöneweide durchgeführt, das Restauratoren, Regionalplaner und sogar Kunsthändler zusammen brachte. Mittlerweile haben wir das DOMA gegründet, ein Dokumentationszentrum „Materialgeschichte“, welches Literatur, Archiv- und Probematerialien zusammenträgt.

Lattermann: Die Fortsetzung der Tagungsreihe „Forum Kunststoffgeschichte“, die bereits 2009 in Köln und 2011 in Bremen stattfand, ist mit ihren 118 Teilnehmern aus zwölf Nationen ein diesjähriger Kulminationspunkt unserer langen Zusammenarbeit.

Seit über 100 Jahren sind Kunststoffe – veredelte Naturstoffe und synthetische Polymere – bestimmend in unserem Lebensalltag. Ganz selbstverständlich reden wir auf dieser Tagung von „Plastics Heritage“, also vom Kulturgut Kunststoff. Das war im musealen Bereich nicht immer so, wie wir ja auch in den Vorträgen hören konnten. Wann gab es denn ein Umdenken, Plastik als Kulturgut wahrzunehmen?
Lattermann: Der Ausdruck „Plastics Heritage“ entstand während der Vorbereitung des Symposiums. Meiner Meinung nach hat das Umdenken gerade erst angefangen und es ist noch lange nicht Allgemeingut, Kunststoffe als Material für Kulturgut anzusehen. Nicht nur in manchen Museen, auch in der Öffentlichkeit herrscht darüber eher noch Verwunderung.

Museen, die dezidiert Objekte aus Kunststoff im Sammlungsbereich haben, stehen vor dem Problem, dass Ihre Objekte altern und dafür spezielle restauratorische Kenntnisse erforderlich sind. Wie bewerten Sie die Ausbildung von Restauratoren in diesem Spezialgebiet?
Linke: Ich gehe davon aus, dass in Deutschland erst Mitte der 1990er Jahre systematisch damit begonnen wurde. Mittlerweile sind Kunststoffe ein etablierter Bestandteil der Lehre, zum Beispiel an den Hochschulen in Berlin und Köln, auch wenn es noch keine Spezialisierung in einem Fachgebiet Kunststoffrestaurierung gibt.

Ist damit Deutschland in der Ausbildung von Restauratoren für moderne Materialien ein Vorreiter?
Linke: Ich denke, dass speziell in Großbritannien und Dänemark sehr früh auf diesem Gebiet gearbeitet wurde. Doch auch dort ist dies nur ein Bestandteil weiter gefasster Studiengänge und kein separater Studiengang. Mir ist keine Spezialisierung zur Ausbildung von Kunststoffrestauratoren bekannt.

Lattermann: Gerade in Italien und den Niederlanden werden oftmals mehrtägige Kurse angeboten, wo theoretisches und praktisches Wissen in diesem Bereich vermittelt wird.

Keller: Leider wird die Kunststoffrestaurierung meines Wissens bisher noch nicht als wirklich eigenständiger Teil der Restaurierung gelehrt. Das große Gebiet der Kunststoffrestaurierung wird man damit nicht systematisch erfassen können, das ist eine Langzeitaufgabe.

Wann haben Restauratoren Kunststoffe als Werkstoff für die Restaurierung wahrgenommen? Sind synthetische Polymere in der Restaurierung alternativlos?
Linke: Ja, das sehe ich so. Kunststoffe wurden als Restaurierungsmaterial schon seit den 1960er Jahren verwendet. Damals wurden natürlich auch viele Fehler gemacht. Wie vieles im Bereich der Restaurierung ist auch der Umgang mit den synthetischen Polymeren ein Lernprozess. Freilich nutzen wir auch natürliche Polymere in der Restaurierung, zum Beispiel als Klebstoffe oder Ergänzungsmassen, doch die synthetischen Polymere sind in bestimmten Anwendungen nicht wegzudenken.

Es gibt tausendfache Materialkompositionen im Polymerbereich. Variable Additivzusammensetzungen können die Eigenschaften eines Materials komplett verändern. Immer mehr neu designte Kunststoffe kommen auf den Markt. Wie wichtig ist die systematische Forschung in diesem Bereich und wie abhängig sind Restauratoren von der Industrie?
Keller: Die Hersteller der von uns häufig verwendeten Acrylharze rufen ja nicht gleich bei uns an, wenn sie in der Produktion etwas verändern. Wir berufen uns bei unserer Materialwahl teilweise auf Publikationen aus den 1980er und 1990er Jahren. Es bräuchte dringend eine Institution, die solche Untersuchungen vornimmt. Das Canadian Conservation Institute ist ein gutes Beispiel für internationale Forschung, aber auch das private Getty in Kalifornien. Die Forschungslabore der Staatlichen Museen/Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind dafür schon personell gar nicht ausgelegt. Deutschland sollte diesbezüglich mit gutem Beispiel vorangehen, da die Kunststoffindustrie hier sehr bedeutend war und ist.

Lattermann: Zusammen mit den USA ist Deutschland das Geburtsland der Polymerwissenschaft. Das Konzept der Makromoleküle wurde durch Staudinger erfunden. Doch eine Zusammenarbeit mit der Industrie sehe ich kritisch, denn bei der Zusammensetzung der Polymere oder den verschiedenen Additiven geht es ja um Betriebsgeheimnisse. Die wird niemand freiwillig preisgeben können. Ein solches Forschungsinstitut ist aber fundamental wichtig und kann in Zusammenarbeit mit der Polymerchemie, also auch mit universitären Einrichtungen erfolgen.

Linke: Der Forschungsbedarf im Bereich der Kunststoffe für die Restaurierung ist enorm. Es wäre eine sinnvolle Lösung, hier ein zentrales Forschungsinstitut zu etablieren. Aber natürlich nicht nur für den Bereich der modernen Materialien, sondern auch für alle anderen Restaurierungssparten. Das ist bedauerlicherweise durch die Kulturhoheit der Länder bis heute nicht zustande gekommen und schadet dem Restaurierungsstandort Deutschland langfristig gesehen. Kurzfristige Forschungsprojekte von zwei Jahren helfen in Einzelfällen zur Klärung von bestimmten Fragestellungen, sie sind aber keine Alternative zur grundsätzlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die notwendig ist.

Eine abschließende Frage: Werden Biopolymere in der Zukunft eine Rolle in der Restaurierung spielen?
Lattermann: Moderne Biopolymere sind zweifelsohne auf dem Vormarsch, aber die Entwicklung hat gerade erst begonnen. Aber nicht alles, was bisher aus synthetischen Polymeren und Kompositen hergestellt wurde, wird künftig durch Biopolymere abgedeckt werden können. Aber aus Gründen der Ressourcenschonung und des Umweltschutzes werden Biopolymere zweifellos in der Zukunft verstärkt zur Anwendung kommen. Dann wird zwangsläufig auch das Problem der Konservierung und Restaurierung moderner Biopolymere auftreten, so wie es jetzt schon für halb- und vollsynthetische Polymere der Fall ist. Aber das ist noch nicht akut, wiewohl Objekte aus historischen, natürlichen Polymeren bzw. Biopolymeren als älteste Materialklasse überhaupt längst zu unserem erhaltenswerten Kulturerbe gehören.

Das Interview führte Heike Schlasse.

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