Was ist Provenienzforschung? Wie arbeiten Provenienzforscher*innen? Und welche Rolle spielt Provenienzforschung heute in Museen, Universitäten und auf dem Kunstmarkt? Diese Fragen beantworten über 80 Kultureinrichtungen am Internationalen Tag der Provenienzforschung
Veranstaltungen in Bayern
Am 14. April 2021 findet der dritte Internationale Tag der Provenienzforschung statt. Mehr als 80 kulturelle Einrichtungen in Deutschland, Großbritannien, Österreich, der Schweiz und den USA nehmen teil und stellen ihre Arbeit auf dem Gebiet der Provenienzforschung mit Hilfe sozialer Medien und digitaler Präsentationsformen der Öffentlichkeit vor. Initiator des Aktionstages ist der Arbeiterkreis Provenienzforschung e. V., ein internationaler Zusammenschluss von über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dieser Tag ist für den Arbeitskreis von großer Bedeutung, da er nicht nur die gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz dieser Arbeit aufzeigt und einem breiten Publikum Einblicke in Methoden des Forschungsbereichs vermittelt, sondern weil er darüber hinaus auf die prekäre Beschäftigungssituation der Provenienzforscher*innen aufmerksam macht.
In Bayern beteiligen sich unter anderem die Einrichtungen des Forschungsverbundes Provenienzforschung Bayern (FPB). Die Staatlichen Archive Bayerns zeigen am 14. April ab 9:45 Uhr vier Videopräsentationen zu folgenden Themen: Provenienzrecherche am Staatsarchiv München – Bestände, Suchstrategien und Service, Provenienzforschung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv – Bestände, Recherchemöglichkeiten, praktische Beispiele, Überlieferung der Gestapostelle Würzburg im Staatsarchiv Würzburg – Provenienzforschung und Originalerhalt sowie Jüdische Standesregister aus Bayern – Überlieferung, Digitalisierung, Quellenwert.
Das Team der Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (BStGS) spricht ab 13:00 Uhr in einem Live-Stream über die Frage „Provenienz Gurlitt: Was bedeutet das heute für uns?“. Im Bestand der BStGS befinden sich verschiedene Gemälde, die in der NS-Zeit von Hildebrand Gurlitt gehandelt wurden. Einige dieser Werke gehörten einst zum Bestand von Hitlers „Sonderauftrag Linz“ oder waren Teil der nationalsozialistischen Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“. Als Protegé des Propagandaministeriums und Einkäufer im besetzten Frankreich hatte Gurlitt Zugriff auf diese Objekte. Expertinnen und Experten stellen die dichte Korrespondenz um diese Ankäufe vor und rekonstruieren, wer auf welche Weise in diese Ankaufsprozesse verwickelt war. Außerdem wird erläutert, wie die Informationen zu bewerten sind und was für Konsequenzen die Provenienz Gurlitt heute für uns hat.
Provenienzforschung – was ist das und wie geht das?
Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte lädt zu einer digitalen Diskussionsrunde zum Thema „Provenienzforschung – was ist das und wie geht das?“ ab 14:30 Uhr ein. Im Modus eines „meet the expert“ kann man mit Provenienzforscherinnen und -forschern in Bayern ins Gespräch kommen. Was ist eine Objektbiografie? Auf welche Weise wurden Kulturgüter im Nationalsozialismus und in der Kolonialzeit verfolgungsbedingt entzogen? Welche Rolle spielt Provenienzforschung heute in Museen, Universitäten und auf dem Kunstmarkt? Diese und ähnliche Fragen können im Chat des Zoom-Meetings gestellt werden. Stellvertretend für die 23 Mitgliedsinstitutionen des Forschungsverbundes Provenienzforschung Bayern werden eine Reihe von Expertinnen und Experten Rede und Antwort stehen.
Im Haus der Kunst erfährt man in einem Live-Online-Seminar ab 17:00 Uhr mehr über „Die Künstlerkartei des ‚Hauses der Deutschen Kunst‘“. Die Künstlerkartei wurde 2004 bei der wissenschaftlichen Erschließung der Archivbestände des Haus der Kunst entdeckt. Sie gehört zu den zentralen Dokumenten der „Großen Deutschen Kunstausstellungen“. Über 9.000 Künstlerinnen und Künstler reichten Arbeiten zu den insgesamt acht Schauen im „Haus der Deutschen Kunst“ ein, die als wichtigste Werk- und Verkaufsschauen deutscher Kunst galten. Ab 1938 wurde jede Bewerbung in der Künstlerkartei registriert. Im Rahmen eines Kurzvortrages wird zunächst die Künstlerkartei, deren Hintergründe und Funktion erläutert. Außerdem werden verschiedene Recherchemöglichkeiten vorgestellt und diskutiert, welche Erkenntnisse dieses Dokument für eine öffentliche Auseinandersetzung mit NS-Kunst liefern kann. Das Seminar richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Publizistinnen und Publizisten, Studierende und historisch Interessierte, die ihr quellenkundliches Wissen über die Kunst und den Kunstbetrieb im Nationalsozialismus erweitern wollen. Durch das Live-Format haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jederzeit die Möglichkeit, Fragen – zum Beispiel über einzelne Kunstschaffende – zu stellen.
Erbensuche, Zeitzeugen, Erinnerung an die Opfer
Das Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München informiert ab 18:30 Uhr in Kooperation mit dem Bayerischen Nationalmuseum in englischer Sprache über „Die NS-Silberabgabe von 1939: Erbensuche, Zeitzeugen, Erinnerung an die Opfer“. Seit 2019 sucht das Bayerische Nationalmuseum nach Erben von 112 Silberobjekten, die im Frühjahr 1939 im Rahmen einer NS-Zwangsmaßnahme 64 jüdischen Familien abgepresst wurden. Die Mehrzahl der Besitzer*innen wurde später ein Opfer der Shoa. Zu 42 Familien konnte inzwischen ein Kontakt hergestellt werden, erste Objekte wurden restituiert. Am Internationalen Tag der Provenienzforschung macht das Bayerische Nationalmuseum auf dieses Projekt und seine diversen Unterstützer*innen aufmerksam. Vor allem aber sollen Vertreter*innen der betroffenen Familien zu Wort kommen. Darunter sind eine Urenkelin und ein Enkel, die noch lebendige Erinnerungen an die einstigen Besitzer*innen und das München der 1930er-Jahre haben. Vertreter*innen einer anderen Familie lesen aus Briefen von 1941/42 vor, die unmittelbar vor den Deportationen geschrieben wurden. Für eine weitere Familie wird ein Rabbiner aus New York ein Gebet für die Opfer singen. Familien von Israel bis Kalifornien werden zugeschaltet sein. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung soll später auf der Webseite des Museums verfügbar sein.
Kulturminister Bernd Sibler betont mit Blick auf den Wert der Forschungsarbeit: „Der Tag der Provenienzforschung führt uns allen die bedeutsame Arbeit der Provenienzforscherinnen und -forscher im In- und Ausland vor Augen. Unsere Museen im Freistaat engagieren sich in dieser Sache mit Nachdruck: In detektivischer Kleinarbeit decken sie die Geschichte von Sammlungsobjekten auf, fügen die einzelnen Puzzleteile zusammen und klären so Besitz- und Herkunftsverhältnisse. Sie finden rechtmäßige Eigentümer*innen und machen so die Welt ein Stück gerechter. Dafür möchte ich am Tag der Provenienzforschung einmal Danke sagen. Ihre Arbeit ist nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch eine kulturpolitische Aufgabe.“
Nähere Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen sowie zu den Teilnahmelinks finden Sie hier.
Weitere Angebote zum Internationalen Tag der Provenienzforschung
Informationen zu allen Aktionen und Veranstaltungen am Internationalen Tag der Provenienzforschung der über 80 teilnehmenden Kulturinstitutionen aus Deutschland, Großbritannien, Österreich, der Schweiz und den USA finden Sie hier.