Das Feuer in der Bibliothek ist in den Abendstunden ausgebrochen. Wie haben Sie auf die Nachricht vom Brand reagiert?
Knoche: Nach der Alarmierung um ca. 20:25 Uhr bin ich sofort hierher geeilt – noch in der Hoffnung, es handele sich um einen Fehlalarm – und traf etwa zeitgleich mit der Feuerwehr ein, als Rauchschwaden schon aus dem Dachstuhl stiegen.
Weber: Bei meiner Ankunft – ich kam aus Erfurt – hatte das Feuer schon das Dach der Bibliothek durchbrochen. Es gab eine Arbeitsteilung, so hat Dr. Knoche bereits die Bergung im Gebäude selbst – also oberirdisch – koordiniert, während ich mich um die Verpackung der Bücher im Tiefmagazin gekümmert habe.
Wie beurteilen Sie zehn Jahre danach den damaligen Ablauf?
Knoche: Alles was nach 20:30 Uhr passiert ist, ist eigentlich gut gelaufen. Von der Alarmierung über die Integration der Notfallhelfer in den Bergungsprozess bis hin zu der großen Unterstützung, die wir in der Brandnacht und in den vielen Tagen danach erhalten haben.
Der Zuspruch der Weimarer Bevölkerung ist vermutlich bis heute sehr groß?
Knoche: Als Fürstenbibliothek stand sie den Menschen vielleicht nicht unbedingt nahe. Seit dem Brand wird die Bibliothek allmählich zu einer Bürgerbibliothek, wo jeder mit Recht seinen Anteil an deren Erhaltung und Wiederaufbau empfindet, und stolz drauf ist, dass dieses Haus wieder da steht und funktioniert.
Was war die Brandursache?
Knoche: Das Bundeskriminalamt hat einen Kabelbrand als wahrscheinlichste Ursache für das Feuer ausgemacht, ausgelöst von 50 Jahre alten Installationen. Eigentlich hätte der Betrieb des Hauses schon länger eingestellt werden müssen. Doch unter dem Nutzer- und Besucheransturm – gerade nach dem Kulturstadtjahr Weimar 1999 – hätte eine Schließung zu einem gewaltigen Aufstand geführt.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Zukunft?
Knoche: Die erste Sorge aller Verantwortlichen von Gebäuden, in denen Kultur aufbewahrt wird, muss der Intaktheit des Gebäudes selbst gelten.
Weber: Nach unserer Erfahrung sind Meldeeinrichtungen allein unzureichend. Die mehr als 20 Brandmelder auf der zweiten Galerie der Bibliothek, in der das Feuer ausgebrochen ist, lösten zu spät aus, weil dem Feuer ein Schwelbrand vorausging. Im Zuge der Sanierungsplanung bereits vor dem Brand war klar, dass eine aktive Brandlöschanlage installiert werden muss. Das ist in einem Bibliotheksmuseum mit Rokokosaal schwierig, aber es ist gelungen. Heute sind sowohl die öffentlichen Bibliotheksräume als auch das Tiefmagazin mit Sprinkler- und Sprühnebelanlagen ausgestattet.
Wie kann ein ausreichender Katastrophenschutz gewährleistet werden?
Knoche: Der sicherste Schutz vor solchen Katastrophen ist, dass die technischen Vorkehrungen auf dem neuesten Stand sind. Die zweite Ebene ist der organisatorische Notfallschutz. Man kann Notfallverbände gründen, die eigenen Mitarbeiter schulen, eine Schwachstellenanalyse vornehmen und für jedes Problem Katastrophenszenarien durchspielen.
Wie wichtig sind geschulte Mitarbeiter für die Schadensprävention?
Knoche: Vor allem brauchen Kultureinrichtungen Mitarbeiter, die sich hundertprozentig mit ihrer Aufgabe identifizieren. Das ist ein Problem bei Fremdfirmen, die mit der Überwachung beauftragt werden.
Weber: Die Bibliothek ist Teil des Weimarer Notfallverbundes. Ein 14-köpfiges Team unseres Hauses hat besonders gute Kenntnisse vom Gebäude und von den Beständen. Das Bibliotheksteam unternimmt Kontrollgänge, überprüft die Notfallboxen oder die Klassifizierung der Bestandskategorien. Wir haben für unsere wertvollsten Bestände immer genügend Transportmaterial vorrätig, so könnte zum Beispiel unser Handschriftenmagazin umgehend geräumt werden. Der Notfallverbund führt auch Probeübungen durch, so haben wir letztens nasse Bücher verpackt und den Umgang mit Feuerlöschern geübt. In Einrichtungen des Notfallverbundes werden auch schon mal Evakuierungen an originalen Teilbeständen erprobt, um etwa eine Hochwassersituation zu simulieren.
Hähner: Es ist wichtig, die Gebäude regelmäßig auf Brandsicherheit und auf andere Mängel hin zu kontrollieren. Die zu kontrollierenden Parameter und die Kontrollintervalle sind festzulegen, gerade bei älteren Gebäuden. Präventive Maßnahmen sollten Kernaufgaben der Bestandserhaltung sein und in das Alltagsgeschehen der Bibliotheken implementiert werden. Meine bereits 2006 veröffentlichte Untersuchung „Schadensprävention im Bibliotheksalltag“ zeigt jedoch, dass jede Bibliothek anders mit diesem Thema umgeht. Im Zuge einer geplanten Neuauflage des Buches wollen wir dazu nochmals differenziertere Empfehlungen geben.
Die Ausstellung „Restaurieren nach dem Brand“ ist eine Gemeinschaftsarbeit zwischen der Bibliothek und der Hochschule in Hildesheim. Wie kam es dazu?
Knoche: Die Quelle der Kooperation liegt im wissenschaftlichen Projektbeirat der Brandfolgenprojekte in Weimar, der sich mindestens einmal im Jahr zusammenfindet. In diesem Gremium sind die besten Praktiker aus der Restaurierungsszene und die interessantesten Partner aus den Hochschulen für Restaurierungswissenschaft vertreten, auch über Deutschland hinaus.
Hähner: Zwischen der Bibliothek und der HAWK besteht seit 2007 eine Partnerschaft und sie bot vielen Studierenden Möglichkeiten für Praktika und Material für Abschlussarbeiten. Wir haben gemeinsame Projektwochen durchgeführt, Methoden zur Konservierung und Restaurierung von brandgeschädigten Gewebeeinbänden entwickelt und im Zuge der Ausstellungsvorbereitung mit Studierenden die Darstellung restauratorischer Sachverhalte diskutiert. Im Rahmen unserer Kooperation entstand die umfangreiche Publikation, zu der auch Abschlussarbeiten von Studierenden beigetragen haben. Darüber hinaus gab es aber auch umfassende neue restaurierungswissenschaftliche Untersuchungen, um die zehn Jahre interdisziplinärer Weimarer Entwicklungsarbeit in der Mengenerhaltung zu erfassen, und es wurden neue didaktische Grundlagen zur nachvollziehbaren Beschreibung und Abbildung der Restaurierungsmethoden erarbeitet.
Was unterscheidet die Mengenrestaurierung von der des Einzelbandes?
Hähner: Restaurierung wird oftmals als sehr individuelle, freie Tätigkeit erfahren, aber im Zusammenhang mit Mengenschäden müssen die zuvor festgelegten Ziele erreicht werden. Die Arbeitsstandards für die gebildeten Schadensgruppen müssen klar definiert und reproduzierbar werden – anders als bei einem individuellen Einzelobjekt. Wir erklären zum Beispiel die Entstehung der Methoden im Kapitel „Konservieren und Restaurieren“ der Publikation. Darin werden Ausgangssituation, Untersuchungsergebnisse, Entwicklung von Restaurierungsmaterialien und -schritten detailliert dargestellt. Diese methodische Herangehensweise ist nicht nur für die Lehre wichtig, sondern kann von anderen Bibliotheken aufgegriffen und auf die eigenen Bestände übertragen werden.
Als Brandfolgenmanager vergeben Sie auch Restaurierungsarbeiten, die in ganz Europa ausgeführt werden. Welches Fazit ziehen Sie aus den letzten zehn Jahren?
Weber: Neben der Kooperation mit Hochschulen, bei der es uns um einen Wissenstransfer von der Praxis in die Lehre und zurück geht, vergeben wir Aufträge an externe Werkstätten. Diese Aufträge werden bundesweit ausgeschrieben und damit auch europaweit zur Kenntnis genommen. So kommen auch Restauratoren aus Estland, Ungarn oder Spanien in die Auswahl. Wir führen ein strenges Verfahren durch, dem nicht nur der Preis, sondern auch andere Qualitätskriterien zugrunde liegen. So ist die Auftragsvergabe immer an eine Proberestaurierung gekoppelt, nach der wir auch einige Werkstätten mangels Kompetenz ausschließen mussten. Unser Wettbewerb ist hart, aber objektivierbar und hat Überprüfungen standgehalten. Für uns ist das ein gutes Verfahren, verantwortungsvoll und wirtschaftlich mit den Steuer- und Spendenmitteln umzugehen.
Das Interview führte Heike Schlasse.
–>
Die Petition für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts kann hier online unterzeichnet werden.
Am 19. November 2014 findet das 250. RestaurierungsKolloquium statt zum Thema: Die Rettung der Anna Amalia Bibliothek.
Mehr zur Ausstellung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek erfahren Sie in der RESTAURO 7/2014.