07.09.2016

Museum

Einstieg ins Integrierte Schädlingsmanagement


Anatomie, Monitoring und Prävention von Insektenbefall

 

Vorausschauende Befallsvermeidung statt konventioneller Schädlingsbekämpfung – der vorliegende Band ist ein Plädoyer für präventive Maßnahmen, konsequente Sammlungsbeobachtung und letztlich auch Mitarbeiterschutz. Dass das Integrierte Schädlingsmanagement für Kulturgüter dabei Anleihen aus dem mittlerweile etablierten Vorratsschutz der Lebensmittelindustrie zieht, ist dabei nicht verwunderlich. Letztlich haben ja Insekten, Nager und Vögel auch bestimmte organische Bestandteile unseres Kulturerbes „zum Fressen gern“.

Das einleitende Kapitel ist eine Standortbestimmung: Der Leser erfährt hier überblickshaft, welche Schritte für die Etablierung einer IPM-Strategie notwendig sind, wie man Schädlinge vermeidet und einen Befall bewertet. Die Herausgeber sehen im Schädlingsmanagement eine komplexe Querschnittsaufgabe, die gemäß dem Motto „Evolution statt Revolution“ verschiedene Fachrichtungen bzw. Sammlungsmitarbeiter beteiligt.

Der historische Hintergrund, die biologischen Zusammenhänge und die anatomischen Informationen, die im zweiten Kapitel dargestellt werden, sind in ihrer Kürze überaus lesenswert. Dass durch veränderte Umweltbedingungen und durch vermehrtes, auch weltumspannendes Transportaufkommen die Migration von Insekten erleichtert wird, ist allerdings nicht neu und trifft nicht nur auf den Museumsbereich zu. Der Überblick über die am häufigsten in Mitteleuropa vorkommenden Insekten und die Zusammenstellung der befallenen Materialien in tabellarischer Form leitet in eine ausführliche Schädlingsbeschreibung über. In vier Materialkategorien werden die Hauptschädlingsarten beschrieben und fotografisch sowie zeichnerisch dargestellt. Das ist nicht immer appetitlich, aber sehr informativ. Aufschlussreich sind die Abbildungen der Insekten in Originalgröße am Seitenrand, die man beim ersten Blättern tatsächlich übersehen kann, so winzig können die Schadensverursacher sein.

Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Aufspüren und dem Monitoring von Insekten. Die kurzen Abschnitte sind gut lesbar und praxistauglich. Es gibt einen Überblick über Insektenfallen (Klebe-, Pheromon- und Lichtfallen), deren Anwendung als einer der wichtigsten Schritte im Integrierten Schädlingsmanagement gilt, und die richtige Interpretation der Fangergebnisse. Um einen Befall durch holzzerstörende Käferlarven zu identifizieren, deren Entwicklung sich über Jahre hinziehen kann, werden differenzierte Hinweise gegeben und mit vertiefenden Literaturangaben untersetzt. Überhaupt: Das Literaturverzeichnis am Ende des schmalen Bandes ist beeindruckend. Die meisten der Publikationen sind englischsprachig, was sicherlich nicht nur daran liegt, dass der Hauptautor Brite ist. Der britische Entomologe beschäftigt sich schon seit vielen Jahrzehnten mit der von Käfern, Nagern und Vögeln ausgehenden Gefahr für Museen und Sammlungen.

Das ist auch seinen routinierten Ausführungen über die Prävention von Insektenbefall im vierten Kapitel anzumerken. Neben der Zugangserschwernis zum Beispiel durch Abdichtung von Türen und Fenstern, der Regulierung von Temperatur und Feuchte und einer angemessenen Hygiene und Reinigung verdienen an dieser Stelle die Ratschläge für moderne Sammlungsgebäude eine Beachtung: Der Autor plädiert dafür, IPM-Experten in die Bauplanungen zu involvieren, um beispielsweise unzugängliche Hohlräume zu vermeiden, in denen Insekten ungestört überdauern können. Schnell wird deutlich, wie aufwendig ein funktionierendes Schädlingsmanagement ist: Depots und Sammlungsräume sind einem permanenten Monitoring zu unterziehen, gefährdete Materialien sind zu separieren. Mit knappen, wenn auch treffenden Handlungsanweisungen zur Quarantäne schließt das Präventionskapitel. Doch wie können diese richtigen und wichtigen Maßnahmen in kleinen, finanziell nicht annähernd ausreichend bestückten Häusern umgesetzt werden, die sich weder genügend geschulte Mitarbeiter noch abgeschlossene Quarantänebereiche im Depot leisten können?

Amerikanischer Wespenkäfer (Reesa vespulae): Fraßreste und abgeworfene Häute. Foto: DBP Entomology, Cookham
Von Erdtermiten verursachter Schaden. Foto: DBP Entomology, Cookham
Teppichkäfer (Anthrenus sp.): abgeworfene Häute und Larven in einem Insektenschaukasten. Foto: DBP Entomology, Cookham
Brotkäfer an Kirchengesangbuch. Foto: DBP Entomology, Cookham

Integriertes Schädlingsmanagement: Praktische Tipps und Methoden zur Schädlingsbekämpfung

Wenn sich allen vorbeugenden Maßnahmen zum Trotz Insekten im Gebäude bzw. im Objekt ansiedeln konnten, kommen eine Reihe von Behandlungsoptionen in Betracht, die im 5. Kapitel dargestellt werden. Neben der mechanischen Entfernung, der Temperaturanpassung (Einfrieren oder Wärmebehandlung), dem Sauerstoffentzug oder der Begasung mittels Kohlendioxid oder Stickstoff gibt dieses Kapitel ausführliche Hinweise zu biologischen Bekämpfungsmethoden und dem Einsatz von Insektiziden. Zwar sind gerade letztere genau die Art von Bekämpfungsmitteln, die das auf Prävention fokussierende Integrierte Schädlingsmanagement eigentlich verhindern will, doch nach Aussage der Autoren ist der „überlegte und umsichtige Einsatz von Pestiziden als Teil einer Kontrollstrategie eine Möglichkeit, einen Insektenbefall in einer Museumsumgebung zu beseitigen.“ An einigen Beispielen werden Insektizide in ihrer Wirkungsweise und ihrem Schädigungspotential für den Menschen dargestellt. Das Kapitel schließt mit Hinweisen auf Objektschäden durch chemische Behandlung und zu Sicherheitsvorkehrungen bei der Pestizidanwendung.

Auf das Schädigungspotenzial von Vögeln und Nagetieren geht Adrian Meyer im vorletzten Kapitel ein. Wie auch bei den Insekten wird bei Ratten, Mäusen und anderen Wirbeltierschädlingen der Nachweis (Monitoring), die Vermeidung (Hygiene und Abdichtung) und die Bekämpfung (Fallen und Gifte) – wenn auch in verkürzter Form – vorgestellt. Auch die in städtischen Umgebungen besonders angepassten Vogelarten (Taube, Sperling, Star) werden in ihrem Schadpotenzial dargestellt. Deren Bekämpfung wird vor allem durch mechanische Freihaltung von möglichen Nist- oder Rastplätzen durch Netze, Drähte und Spikes realisiert. Aber auch die Vergrämung durch chemische Mittel, elektrische Systeme oder den Einsatz von Raubvögeln bis hin zu Eingriffen in die Population sind denkbare und schon längst angewandte Methoden – nicht nur zum Zwecke des Kulturgüterschutzes.

Im 7., dem letzten Kapitel erfährt man, wie eine IPM-Strategie – theoretisch – entwickelt und umgesetzt werden kann. Offenkundig praxiserfahren nennt der Autor Faktoren, die auf eine Umsetzung dieser Strategie Einfluss haben: bestehende Museumspraktiken und die Verwaltung. Die ersten Maßnahmen, zum Beispiel „Ernennen Sie jemanden, der die Schädlingsprävention […] veranlasst“, und die erfolgreiche Umsetzung der IPM-Strategie können natürlich nur Gelingen, wenn Kommunikation zwischen und in Zusammenarbeit von Museumsmitarbeitern gut läuft. Dies setzt voraus, dass sich alle Mitarbeiter des Schädigungspotentials von Insekten, Nagern und Vögeln am Kulturellen Erbe bewusst sind.

Amerikanischer Wespenkäfer (Reesa vespulae): Fraßreste und abgeworfene Häute. Foto: DBP Entomology, Cookham
Von Erdtermiten verursachter Schaden. Foto: DBP Entomology, Cookham
Teppichkäfer (Anthrenus sp.): abgeworfene Häute und Larven in einem Insektenschaukasten. Foto: DBP Entomology, Cookham
Brotkäfer an Kirchengesangbuch. Foto: DBP Entomology, Cookham

Das vorliegende Buch ist für Museumsmitarbeiter geschrieben, die daraus „viele Vorteile bei der täglichen Arbeit“ ziehen sollen. Und tatsächlich – hier liegt eine Einstiegsliteratur vor, anhand derer der Leser einen umfassenden ersten Überblick über das Gefahrenpotential und Möglichkeiten zur Verhinderung und Beseitigung von Schädlingsbefall gewinnt. Die am Ende des Buchs aufgeführten Internetseiten, wie auch die bereits genannte Literaturliste zum Großteil aus dem englischsprachigen Raum, runden das schmale, aber inhaltlich dichte Bändchen ab.

 

Herausgeber: David Pinniger, Bill Landsberger, Adrian Meyer, Pascal Querner

Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und Gebr. Mann Verlag, Berlin, 2016

168 S., 150 meist farbige Abbildungen, 49,90 EUR, ISBN 978-3-7861-2760-4

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