Anatomie, Monitoring und Prävention von Insektenbefall
Vorausschauende Befallsvermeidung statt konventioneller Schädlingsbekämpfung – der vorliegende Band ist ein Plädoyer für präventive Maßnahmen, konsequente Sammlungsbeobachtung und letztlich auch Mitarbeiterschutz. Dass das Integrierte Schädlingsmanagement für Kulturgüter dabei Anleihen aus dem mittlerweile etablierten Vorratsschutz der Lebensmittelindustrie zieht, ist dabei nicht verwunderlich. Letztlich haben ja Insekten, Nager und Vögel auch bestimmte organische Bestandteile unseres Kulturerbes „zum Fressen gern“.
Das einleitende Kapitel ist eine Standortbestimmung: Der Leser erfährt hier überblickshaft, welche Schritte für die Etablierung einer IPM-Strategie notwendig sind, wie man Schädlinge vermeidet und einen Befall bewertet. Die Herausgeber sehen im Schädlingsmanagement eine komplexe Querschnittsaufgabe, die gemäß dem Motto „Evolution statt Revolution“ verschiedene Fachrichtungen bzw. Sammlungsmitarbeiter beteiligt.
Der historische Hintergrund, die biologischen Zusammenhänge und die anatomischen Informationen, die im zweiten Kapitel dargestellt werden, sind in ihrer Kürze überaus lesenswert. Dass durch veränderte Umweltbedingungen und durch vermehrtes, auch weltumspannendes Transportaufkommen die Migration von Insekten erleichtert wird, ist allerdings nicht neu und trifft nicht nur auf den Museumsbereich zu. Der Überblick über die am häufigsten in Mitteleuropa vorkommenden Insekten und die Zusammenstellung der befallenen Materialien in tabellarischer Form leitet in eine ausführliche Schädlingsbeschreibung über. In vier Materialkategorien werden die Hauptschädlingsarten beschrieben und fotografisch sowie zeichnerisch dargestellt. Das ist nicht immer appetitlich, aber sehr informativ. Aufschlussreich sind die Abbildungen der Insekten in Originalgröße am Seitenrand, die man beim ersten Blättern tatsächlich übersehen kann, so winzig können die Schadensverursacher sein.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Aufspüren und dem Monitoring von Insekten. Die kurzen Abschnitte sind gut lesbar und praxistauglich. Es gibt einen Überblick über Insektenfallen (Klebe-, Pheromon- und Lichtfallen), deren Anwendung als einer der wichtigsten Schritte im Integrierten Schädlingsmanagement gilt, und die richtige Interpretation der Fangergebnisse. Um einen Befall durch holzzerstörende Käferlarven zu identifizieren, deren Entwicklung sich über Jahre hinziehen kann, werden differenzierte Hinweise gegeben und mit vertiefenden Literaturangaben untersetzt. Überhaupt: Das Literaturverzeichnis am Ende des schmalen Bandes ist beeindruckend. Die meisten der Publikationen sind englischsprachig, was sicherlich nicht nur daran liegt, dass der Hauptautor Brite ist. Der britische Entomologe beschäftigt sich schon seit vielen Jahrzehnten mit der von Käfern, Nagern und Vögeln ausgehenden Gefahr für Museen und Sammlungen.
Das ist auch seinen routinierten Ausführungen über die Prävention von Insektenbefall im vierten Kapitel anzumerken. Neben der Zugangserschwernis zum Beispiel durch Abdichtung von Türen und Fenstern, der Regulierung von Temperatur und Feuchte und einer angemessenen Hygiene und Reinigung verdienen an dieser Stelle die Ratschläge für moderne Sammlungsgebäude eine Beachtung: Der Autor plädiert dafür, IPM-Experten in die Bauplanungen zu involvieren, um beispielsweise unzugängliche Hohlräume zu vermeiden, in denen Insekten ungestört überdauern können. Schnell wird deutlich, wie aufwendig ein funktionierendes Schädlingsmanagement ist: Depots und Sammlungsräume sind einem permanenten Monitoring zu unterziehen, gefährdete Materialien sind zu separieren. Mit knappen, wenn auch treffenden Handlungsanweisungen zur Quarantäne schließt das Präventionskapitel. Doch wie können diese richtigen und wichtigen Maßnahmen in kleinen, finanziell nicht annähernd ausreichend bestückten Häusern umgesetzt werden, die sich weder genügend geschulte Mitarbeiter noch abgeschlossene Quarantänebereiche im Depot leisten können?