Werden Museumsführungen durch künstliche Intelligenzen oder selbstlernende Algorithmen abgelöst? Und ersetzen intuitiv nutzbare Technologien oder interaktive Medienumgebungen die Museumspädagoginnen und -pädagogen? Ein Interview mit Laura Heeg, stellvertretende Leiterin der Abteilung „Bildung – Vermittlung, Kunstpädagogik“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über das Format der Digitorials und zukunftsweisende Ansätze für die Arbeit von Kultureinrichtungen
Besonders traditionell ausgerichtete Museen klagen über sinkende Besucherzahlen. Während vor Jahrzehnten Kunstvermittlung noch gleichgesetzt wurde mit „Führungen anbieten“, haben sich die Gewohnheiten potenzieller Besucher und Besucherinnen verändert. Neugier auf Kunst wecken – wie funktioniert das heute? Wie wandelt sich gerade das Verständnis der Kunstvermittlung und welche Perspektiven sind zukunftsfähig? Wird sie in den kommenden Jahren durch digitale Programme überflüssig? Werden Museumsführungen durch künstliche Intelligenzen oder selbstlernende Algorithmen abgelöst? Ersetzen intuitiv nutzbare Technologien oder interaktive Medienumgebungen die Museumspädagoginnen und -pädagogen? RESTAURO sprach mit Laura Heeg, stellvertretende Leiterin der Abteilung Bildung, Vermittlung, Kunstpädagogik in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über das Format der Digitorials und zukunftsweisende Ansätze für die Arbeit von Kultureinrichtungen.
RESTAURO: Was sind die Gründe dafür, dass die Schirn die Digitorials anbietet? Wie lange gibt es sie?
Laura Heeg: Das Format Digitorial® wurde 2014 in der Schirn zur Ausstellung „Helene Schjerfbeck“ entwickelt, unter dem Gesichtspunkt, dass wir, als Kunsthalle ohne eigene Sammlung, dennoch nachhaltige digitale Vermittlungsangebote für unser Publikum bereitstellen wollten. Da gerade bei online konsumierten Medien die Aufmerksamkeitsspanne schnell nachlässt, sollte das Format interaktiv und multimedial sein und natürlich auch responsiv, damit für verschiedene Gerätetypen und Zugangssituationen ideal nutzbar. Gleichzeitig musste es im Zugang einfach zu finden sein, einem möglichst breiten Publikum zur Verfügung stehen und niedrigschwellig wie auch intuitiv bedienbar sein – trotzdem natürlich wissenschaftlich fundiert in den Inhalten. Von Anfang an waren die Digitorials – nach dem ersten folgten weitere in Städel Museum und Liebieghaus Skulpturensammlung, den vom selben Direktor geleiteten Häusern – auf Deutsch und Englisch kostenfrei über Ländergrenzen hinweg im Web abrufbar.
RESTAURO: Welche Funktion haben die Digitorials?
Laura Heeg: Wenn man den individuellen Besuch einer Ausstellung als Visitor-Journey denkt, die die Vor- wie auch Nachbereitungsphase des Besuchs einbezieht, dann setzt das Digitorial genau hier an. Es hat eine andere Funktion als die Kunstvermittlung vor Ort, vor dem Original. Es dient zur inhaltlichen Vorbereitung auf den Besuch oder zur Vertiefung des Gesehenen und Erlebten im Anschluss. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, das kulturelle Umfeld der jeweils in der Ausstellung gezeigten Kunst breiter in die Erzählung einzubinden als es die Wand- und Saaltexte zu leisten vermögen. Wie auch bei all unseren anderen digitalen Formaten soll es nicht den Ausstellungbesuch und die Begegnung mit dem originalen Kunstwerk ersetzen. Damit aber die Inhalte der jeweiligen Digitorials auch wirklich zu den Ausstellungen, deren Themen, dem kuratorischen Konzept passen, werden sie immer inhouse konzipiert und verfasst. Das nächste Digitorial entsteht gerade zur Ausstellung „Kunst für Keinen, 1933–1945“ und wird ab dem 4. März 2022 unter www.Schirn.de/digitorial abrufbar sein.
RESTAURO: Wie werden die Digitorials genutzt?
Laura Heeg: Das innovative Storytelling und die verschiedenen medialen Komponenten bedienen in ein- und demselben Medium unterschiedliche Bedürfnisse des Publikums. Das beginnt beispielsweise schon bei den Textebenen: Wer mit wenig Zeit und Geduld nur die Überschriften und vielleicht noch die Text-Anleser überfliegt, erhält trotzdem in Kombination mit dem hochauflösenden Bildmaterial einen Eindruck von der Ausstellung. Im Idealfall wird die Person neugierig und steigt tiefer in die Inhalte ein. Wer es genauer wissen möchte, klappt vielleicht auch noch die im Stil eher lexikalisch gehaltenen verborgenen Textebenen auf. Wer hingegen nicht gerne lesen möchte, hält sich vielleicht eher bei den Ton- oder Filminhalten auf, oder entdeckt durch gezielt eingesetzte Zoom-Effekte Bilddetails, die ihm/ihr in der Ausstellung vor Ort nicht aufgefallen wären. Durch die Einteilung in unterschiedliche, individuell anzusteuernde Kapitel kann man sogar gezielt die Themen durchlesen, die einen am meisten interessieren. Viele User lesen aber auch einfach das gesamte Digitorial in mehreren Etappen.
Lesen Sie weiter in der RESTAURO 2/2022.
Laura Heeg studierte Kunstgeschichte sowie Allgemeine & Vergleichende Literaturwissenschaft in Mainz und Bologna. Bereits während des Studiums arbeitete sie freiberuflich als Kunstvermittlerin für verschiedene Kulturinstitutionen. Nach ihrem wissenschaftlichen Volontariat am Historischen Museum der Pfalz Speyer wurde sie 2011 Mitarbeiterin der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Dort ist sie seit 2015 stellvertretende Leiterin der Abteilung „Bildung – Vermittlung – Kunstpädagogik“.
Tipp: Lange Zeit waren Frauen in der Kunstgeschichte nur als Muse auf der Leinwand zu sehen. Wann und warum sich das geändert hat erklärt das SCHIRN MAGAZIN: