Ein Restauratoren-Team, Archäologen und Grabungstechniker des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege haben im Allgäu ein rund 1300 Jahre altes Kindergrab mit einer neuartigen Methode geborgen: Es wurde mit dem umliegenden Erdreich eingefroren – und aus dem Boden gehoben
Das 1300 Jahre alte Kindergrab ist außergewöhnlich gut erhalten
Jede Ausgrabung führt normalerweise unweigerlich zur Zerstörung eines Grabungs-Befundes, weshalb eine exakte Dokumentation des Fundplatzes absolut notwendig ist. Es gibt allerdings darüber hinaus noch eine andere Möglichkeit, die Fundumstände selbst festzuhalten: Bei der Bergung eines frühmittelalterlichen Kindergrabes in Tussenhausen (Unterallgäu) wurde unlängst das Grab mit einem Eispanzer überzogen, um es als Ganzes aus dem Boden zu heben. Dazu wurde der Grabinhalt mit Wasser benetzt und mit Flüssig-Stickstoff auf minus 196 Grad Celsius schockgefrostet. Denkmalpfleger entwickelten die Methode, um die ungewöhnlich gut erhaltene Bestattung des bewaffneten Jungen mit Hund vor Beschädigung zu schützen. Ein Restauratoren-Team, Archäologen und Grabungstechniker des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege haben die neue Methode entwickelt. So konnten sie das außergewöhnlich gut erhaltene Kindergrab aus dem 7. Jahrhundert im Ganzen aus dem Boden heben und schonend ins Labor transportieren.
Die als Block freigelegte, mit seitlichen Holzplatten geschützte Bestattung wird mit Flüssig-Stickstoff Lage für Lage vereist. Das dem Jungen ins Grab gelegte Schwert, vor allem aber der beigegebene, mit Goldbeschlägen verzierte Waffengurt und der reiche Schmuck lassen darauf schließen, dass das Kind einer wohlhabenden und elitären Gesellschaftsschicht angehörte. Besonders aber ist an diesem Grab noch etwas Anderes: Die Funde blieben fast 1300 Jahre nahezu unverändert darin liegen, weil die Steindecke und -wände der Grabkammer offensichtlich so dicht abgeschlossen haben, dass anders als üblich keine Sedimente in den Sarg gedrungen sind. Dadurch befinden sich die Funde in einem für ein Grab aus dieser Zeitspanne hervorragenden Zustand. Sogar zahlreiche Stoff- und Lederreste sind erhalten – von der Schwertscheide, dem Waffengurt, aber auch von der Kleidung und vielleicht dem Leichentuch. „Für uns ist diese Bestattung ein Glücksfall, vor allem, weil so viele Stoffreste erhalten sind. Sie versprechen hochinteressante Einblicke in die frühmittelalterliche Modewelt. Unsere intensiven Forschungen in den letzten Jahren lassen erahnen, welche Bedeutung hochwertige Textilien und verziertes Leder für die Darstellung des Status im Frühmittelalter hatten. Von den nun geborgenen Funden erwarten wir uns neue Erkenntnisse zu den damals verwendeten Textilien und ihre Trageweise“, sagt Generalkonservator Prof. Dipl.-Ing. Mathias Pfeil, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege. Allerdings stellte gerade die Tatsache, dass die Bestattung sedimentfrei war, die Denkmalpfleger vor eine große Herausforderung. Denn ohne die stabilisierenden Ablagerungen aus dem Erdreich drohten die Funde beim Bergen und beim Transport auf dem Ziegelboden der Grabkammer zu verrutschen oder beschädigt zu werden. Aus diesem Grund wurden sie eingefroren und dann mit Hilfe einer Platte, die unter den Sargboden geschoben wurde, wie auf einem Tablett von einem Kran aus dem Erdreich gezogen.
14 Stunden dauerte die Bergung
Für Flüssigstickstoff hatte man sich entschieden, weil dieser mit seiner Temperatur von -196 °C dafür sorgt, dass der aufgebrachte Wasserfilm sofort ohne Ausdehnungseffekte aushärtet. Auf diese Weise bilden sich keine strukturzerstörenden großen Eiskristalle. Insgesamt 14 Stunden dauerte die Bergung – von 3 Uhr morgens bis 17 Uhr. Die Bestattung befindet sich nun im Block im Labor der Restaurierungswerkstätten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in Bamberg, wo sie vorerst in einer Kühlkammer untergebracht ist und dann genauer untersucht und konserviert werden soll. Hierzu wird das Eis kontrolliert abgeschmolzen. Ein genauer Zeitpunkt dafür steht noch nicht fest. Auffällig sind auch die Spuren eines quadratischen, etwa acht Meter breiten Gebäudes, die Archäologen im Boden gefunden hatten. Der Bau stammt aus römischer Zeit und wurde einige Jahrhunderte später als herausgehobener Bestattungsplatz für das Kind hergerichtet. Nicht ungewöhnlich für Bestattungen dieser Zeit ist das Nebeneinander von Objekten mit christlicher Symbolik und dem Festhalten an Grabbeigaben. So fand man in dem Kindergrab etwa Goldblattkreuze.
Goldblattkreuze, Silber, Sporen und ein Bronzebecken als Grabbeigaben
Als weitere Beigaben wurden dem Kind Armreifen aus Silber, Sporen und ein Bronzebecken in die Grabkammer gelegt. Sein genaues Alter kann erst nach weiterführenden Untersuchungen festgestellt werden. Da es noch Milchzähne hatte, gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass es zum Todeszeitpunkt kaum älter als zehn Jahre gewesen sein dürfte. Der Hund wurde dem Kind zu Füßen gelegt. Einwirkungen von Gewalt konnten an den tierischen Überresten bislang nicht nachgewiesen werden. Auch zur Todesursache des Kindes lässt sich bislang nichts sagen. Die Grabungen fanden im Zuge der Erschließung eines neuen Baugebiets im Ortsteil Mattsies statt. Da an dieser Stelle bereits Bodendenkmäler vermutet worden waren, wurde das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege frühzeitig hinzugezogen. Die Gemeinde hatte die Bergung des 1300 alten Kindergrabes mit Fahrzeugen und Personal vom kommunalen Bauhof tatkräftig unterstützt.
Wie das frühmittelalterliches Kindergrab erstmals mit Schockfrost-Technik geborgen wurde, sehen Sie hier im Video.
Ein weiterer Sensationsfund: 2014 stießen Archäologen in Oberding (Landkreis Erding) auf einen Depotfund von knapp 800 frühbronzezeitlichen Spangenbarren. Nach aufwendigen Restaurierungsarbeiten und naturwissenschaftlichen Analysen präsentierten Wissenschaftler 2017 den Sensationsfund. Lesen Sie mehr hier.
Lesetipp: Mehr über die erfolgreiche Zusammenarbeit von Restauratoren und Archäologen am Römisch-Germanische Zentralmuseum (RGZM) lesen Sie in der Ausgabe 7/2019.