24.04.2017

Branchen-News

Restaurierung einer wertvollen Seidentunika aus dem 5. Jahrhundert

 

Die beiden Textilexpertinnen Sabine Schrenk und Ulrike Reichert legten mit Hilfe ihres Teams aus Restauratoren und Kunsttransporteuren eine Seidentunika in der Mailänder Basilika Sant’Ambrogio frei. Das kostbare, als Reliquie des Hl. Ambrosius verehrte Gewebe lagerte lange Zeit unter einer 80 Kilogramm schweren Glasplatte, die als schützende Abdeckung diente. Im Anschluss folgte die Konservierung des historischen Kirchenschatzes und somit die Erhaltung für die Nachwelt. Das Projekt wird von der Bonner Gielen-Leyendecker-Stiftung gefördert.

Auf der Glasplatte, die über der wertvollen Tunika liegt, werden Sauggriffe befestigt. Damit lässt sich die alte Rahmung anheben. © Foto: Jochen Schaal-Reichert
Die Transporteure packen die Glasplatten mit der wertvollen Seiden-Reliquie zwischen zwei Holzplatten, damit sie beim Tragen nicht zerbrechen. © Foto: Sabine Schrenk
Die Restauratorin Ulrike Reichert löst mit einem flachen Stab vorsichtig die Seidentunika von der Glasplatte. © Foto: Sabine Schrenk
Die Kunsttransporteure heben mit den Sauggriffen die Glasscheibe an und tragen die schwere Platte zur Seite. Nun ist die wertvolle Seidentunika frei zugänglich für die anstehenden Konservierungsarbeiten. © Foto: Sabine Schrenk
Das Team hat die Herausforderungen gemeistert: Prof. Dr. Sabine Schrenk (zweite von rechts) von der Universität Bonn lädt alle Beteiligten zu einer Erfrischung ein. © Foto: Ulrike Reichert

Ungünstige Lagerbedingungen für das empfindliche Seidengewebe

Reliquien üben seit jeher eine Faszination auf Gläubige und Pilger aus – schließlich handelt es sich hierbei um Hinterlassenschaften aus dem Leben heiliggesprochener Personen, nicht selten sogar um ihre Gebeine selbst. Der Reliquienkult, und damit die Anbetung anthropogener oder materieller Überreste von Heiligen, nimmt bereits in frühchristlicher Zeit seinen Anfang. Dazu zählen auch rund dreißig Textilstücke, die dem Hl. Ambrosius zugesprochen werden. Sie lagern, zusammen mit seinen Gebeinen, in der nach ihm benannten Mailänder Basilika Sant’Ambrogio. Der Stadtpatron und einstige Bischof von Mailand lebte im vierten Jahrhundert.

Doch nun ist Eile geboten, denn eine aus konservatorische Sicht ungünstige Lagerungsweise beschleunigt den Verfall der etwa 1500 Jahre alten Gewebereste. Im Rahmen eines mittlerweile seit fünf Jahren laufenden Restaurierungsprojekts werden die wertvollen Stücke nun unter der Leitung von Frau Professor Sabine Schrenk, Abteilung für Christliche Archäologie der Uni Bonn, und der Kölner Textilrestauratorin Ulrike Reichert sukzessive dokumentiert und konserviert. Finanziell gefördert wird das Vorhaben durch die Gielen-Leyendecker-Stiftung.

Was die Arbeiten erschwert: Die Textilreliquien dürfen die Basilika keinesfalls verlassen. Und die Zeitspannen vor Ort sind kurz. Gefragt ist folglich eine möglichst ergiebige Methode zum Sammeln und Dokumentieren von Informationen. Dies geschieht, indem die Restauratoren die Vorder- und Rückseiten der Gewänder auf mehrlagigen Folien zeichnen und darin sämtliche Auffälligkeiten wie Nähfäden und Reparaturen markieren. „Unter den Seidengewändern, die als Reliquien des Heiligen verehrt werden, befindet sich auch eine traumhafte schöne Tunika“, berichtet Professor Sabine Schrenk. Angesichts der Größe und des Alters der kostbaren Textilie eigentlich ein Glücksfall. Doch zunächst sind einige Anstrengungen zu unternehmen. Denn als Schutzmaßnahme vor schädlicher Außeneinwirkung wurde das empfindliche Gewebe vor mehreren Jahren mit einer 80 Kilogramm schweren Glasplatte abgedeckt. „Allerdings warf darunter das Seidentextil Wellen, das große Gewicht der Glasplatte schadet deshalb den viele Jahrhunderte alten Fasern.“ erklärt Sabine Schrenk.

Ein risikoreiches Unterfangen

Doch die Scheibe einfach anzuheben war ausgeschlossen, schließlich könnten Textilfasern daran haften bleiben und reißen oder die Platte zerbrechen und Splitter das Gewebe beschädigen. Dazu kam, dass die mit ca. 170 mal 280 Zentimeter stattliche Seidentunika in einem Schubladenschrank auf der Empore von Sant’Ambrogio verwahrt wurde. Dieser Raum war jedoch für die Konservierungsarbeiten ungeeignet.

Dank ihrer Erfahrung mit der Konservierung anderer Textilstücke aus Sant’Ambrogio hatten sich Sabine Schrenk und Ulrike Reichert jedoch schon seit Längerem mit dieser Herausforderung auseinandergesetzt. So entwickelten die beiden Textilexpertinnen zusammen mit den Verantwortlichen von Sant’Ambrogio, Abate Erminio de Scalzi und Monsignore Biaggio Pizzi, sowie mit den Denkmalschützern von Diözese und Stadt, Dr. Carlo Capponi und Dr. Antonella Ranaldi, einen Plan. Es blieb nur der Transport des Objekts samt Glasplatte in einen Arbeitsraum. Eine risikoreiche aber notwendige Unternehmung.

Unterstützung gab es durch das Kunsttransportunternehmen Apice aus Mailand. Die Transporteure um Fabiano Panzironi schoben die Glasscheibe inkl. Textilie senkrecht zwischen zwei große Holzplatten durch schmalste und verwinkelte Gänge ins Archiv der Basilika, das für einen Monat als provisorisch eingerichtete Werkstatt umfunktioniert wurde. Alles ging nur quälend langsam vonstatten. „Dieser Transport war höchst riskant“, berichtet die Restauratorin Ulrike Reichert. An manchen Stellen mussten die Kunsttransporteure in Millimeterschritten vorgehen, damit die Passage endlich gelang. Doch die Geduld und Erfahrung des Teams zahlen sich aus.

Nun ist der Weg frei für die konservatorische Arbeit

In der Werkstatt angekommen wuchteten sechs Kunstspediteure das Glas-Seidentunika-Holz-Konstrukt auf einen großen Tisch. Während die Kunsttransporteure die Glasscheibe mit Sauggriffen ganz leicht anhoben, löste Ulrike Reichert mit einem flachen Stab ganz vorsichtig die Seidentunika von der Glasscheibe. „Diese Arbeiten zogen sich länger hin – für die Helfer war es ein Kraftakt, die schwere Scheibe die ganze Zeit in der Schwebe zu halten“, erklärt Sabine Schrenk. Doch die Seidenfasern bleiben unversehrt! Und plötzlich geht es dann ganz schnell: Die Transporteure heben die Glasscheibe mit den Sauggriffen bis etwa zehn Zentimeter über die Tunika an, tragen sie dann zur Seite und legen sie auf dem Tisch ab. Nun ist das wertvolle Gewebe frei zugänglich für die Konservierung. Die feinen Seidenfasern werden aufwendig gereinigt und die kostbare Tunika anschließend mit einer leichten Kunststoffscheibe gegen Umwelteinwirkungen geschützt. „Der Erfolg zeigt, dass es richtig war, das Wagnis einzugehen“, führt Sabine Schrenk weiter aus. „Das großartige Team hat gemeinsam diese Herausforderung gemeistert“.

Bislang konnte insgesamt rund die Hälfte der Mailänder Textilreliquien dokumentiert und restauriert werden. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, welche weiteren Details und Entdeckungen den Gewebestücken allgemein und der Seidentunika im Speziellen noch zu entlocken sind. Denn fest steht, dass noch viele Fragen offen sind und sich erst noch zeigen wird inwiefern sie überhaupt zu beantworten sind. Unbestritten ist jedoch die Begeisterung und Leidenschaft der beiden Forscherinnen für die Seidentextilien, die auch ganz ohne Heiligenbezug eine große Faszination ausstrahlen.

Noch mehr Eindrücke aus Mailand sehen Sie in unserem eingestellten Video:

http://youtube.com/unibonntv

Scroll to Top