Das Museum Tinguely in Basel und das Centre Pompidou-Metz präsentieren zeitgleich zwei der Künstlerin Rebecca Horn gewidmete Ausstellungen, die die Bedeutung des Moments der Verwandlung in Rebecca Horns Werk als gemeinsamen Ausgangspunkt nehmen und sich ergänzen. Parallel dazu zeigt die Tate Modern (London) eine Schau mit Skulpturen und Filmen Rebecca Horns aus der eigenen Sammlung. Im Sommer 2019 bieten damit also gleich drei Institutionen Einblicke in das Schaffen einer Künstlerin, die zu den aussergewöhnlichsten ihrer Generation gehört: Viermal nahm Rebecca Horn an der documenta in Kassel teil und erhielt 1993 eine Retrospektive im New Yorker New Guggenheim.
Die Ausstellung „Körperphantasien“ (bis 22. September) in Basel, kuratiert von Dr. Sandra Beate Reimann, kombiniert ihre frühen performative Arbeiten mit späteren kinetischen Skulpturen; Transformationsprozesse von Körper und Maschine stehen im Mittelpunkt. Damit teilt sich Rebecca Horn mit dem Schweizer Jean Tinguely eine ganz besondere Vorliebe: Beide Künstler schaffen Skulpturen aus Maschinen – Objekte mit sich tatsächlich bewegenden Teilen. Persönlich kennen- und schätzen gelernt haben sollen sich die beiden Ausnahme-Talente in den 1980er Jahren im Kunsthaus Zürich, wo sie beide Ausstellungen hatten.
1944 wurde Rebecca Horn in Michelstadt (Odenwald geboren). Die Tochter eines Textilfabrikanten sollte eigentlich Volkswirtschaft studieren, um das elterliche Unternehmen zu übernehmen. Nach kurzer Zeit brach Rebecca Horn jedoch das Studium ab und schrieb sich stattdessen 1963 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ein. Vier Jahre später beginnt sie, Skulpturen aus Polyester und Fiberglas zu gestalten: Abgüsse einzelner Teile eines Korpus, Arme und Beine. Da sie jedoch keine Schutzmaske trägt, atmet sie die giftigen Dämpfe ein und erleidet eine schwere Lungenvergiftung. Ein langer Krankenhaus- und Sanatoriumsaufenthalt folgt. Die Isolation empfindet sie als unerträglich. Sie setzt sich intensiv mit ihrem eigenen Körper auseinander und entwirft in dieser Zeit erste Skizzen für Körperskulpturen, die als Ergänzungen bzw. Verlängerungen nicht nur des eigenen Körpers fungieren. „Die Extensionen entwickelt sie, um sich auf die Motorik, auf die Wahrnehmung, auf die Sinnesempfindung des Körpers zu konzentrieren“, erklärt Kuratorin Dr. Sandra Beate Reimann. Als die Künstlerin wieder das Studium aufnimmt, verwendet sie leichte Materialien wie Baumwolle, Bandagen und Federn. Nie mehr wird sie mit Polyester arbeiten – und besitzt bis heute keine dieser frühen Werke.
Federn tauchen in Rebecca Horns Werk bis heute immer wieder auf. Diese heftet sie sich wie Flügel an ihre Schultern. Damit ertastet sie Räume. In Basel ist dazu Rebecca Horns legendäre Performance aus den 1970er-Jahren in einem Video zu sehen. Dass Bewegung in den Arbeiten der Künstlerin eine grosse Rolle spielt, betont Dr. Sandra Beate Reimann: „Rebecca Horn choreographiert die Bewegung von Menschen und Maschinen“. So mischte die Künstlerin 1991 in der Maschine „Les Amants“ (1991) schwarze Tinte über programmierte Pistolen gestisch-abstrakt auf die weiße Wand spritzen. Eine Maschinen-Skulptur (1981) bewegt weisse Pfauenfedern in einem langsamem Rhythmus. Hier schlägt der Pfau sein Rad. Das Spreizen des Pfauenrades ist ebenfalls ein häufiges Motiv bei Rebecca Horn; Speere können allerdings auch die weichen Federn ersetzen. In einer späteren Version von 2010 („Zen der Eule“, Foto) entfachen sich die nach unten gerichteten Eulenfedern ebenso zu einem wunderschönen Rad. Das Öffnen und Schliessen, Formen des Versteckens und Enthüllens, sind häufige Bewegungsmuster, die die Künstlerin in ihren Skulpturen und Installationen entwickelt. 1972 wurde Rebecca Horn erstmals zur documenta in Kassel eingeladen: Mit 28 Jahren war sie damals die jüngste Künstlerin. Seitdem hat Rebecca Horn ein international vielbeachtetes Werk geschaffen.
Ein Video zu „Zen der Eule“ sehen Sie hier.