27.02.2017

Projekte

Der Stein der Weisen

 

Ein Gespräch mit dem Chemiker und Restaurator Christian-Heinrich Wunderlich über das Puzzeln, den Stein der Weisen und über das Rezept für Coca Cola anlässlich der Ausstellung „Alchemie“ im Landesmuseum Halle. 

Auslage des Inventars des Alchemiefundes von Wittenberg aus dem 16. Jahrhundert in der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle. Foto: LDA Sachsen-Anhalt/Juraj Lipták
Destillierkolben aus dem Wittenberger Alchemistenfund, 16. Jahrhundert. Foto: LDA Sachsen-Anhalt/Vera Keil
Ein Destillierkolben mit Destillierhelm aus dem Wittenberger Alchemistenfund, 16. Jahrhundert. Foto: LDA Sachsen-Anhalt/Vera Keil
Der König im Kolben stellt die Endphase des „Opus magum", die perfekte Materie – den Stein der Weisen –, dar. Foto: Thüringisches Staatsarchiv Gotha/Juraj Lipták
Kupfer-vergoldete Prunkschale mit einem Bergmann auf einer Erzstufe. Foto: Kunstkammer Georg Laue, München/London

Vor einiger Zeit haben Sie Grabungsfunde aus Wittenberg begutachtet. Woran haben Sie erkannt, dass Sie die Überreste einer Alchemistenwerkstatt vor sich hatten?

Christian-Heinrich Wunderlich: Erst mal gar nicht. Deshalb hätte diesen Fund fast das gleiche Schicksal ereilt, wie viele andere frühneuzeitliche Glasscherbenfunde – er wäre unerforscht ins Depot gewandert.

Und was hat ihn vor einem unerforschten Depotdasein gerettet?

Die Glasscherben wurden in einer Abfallgrube gefunden. Die befand sich unter dem Zwickel eines Treppenaufgangs im ehemaligen Wittenberger Franziskanerkloster, das in der Reformationszeit säkularisiert wurde. Als ich den Scherbenhaufen betrachtete, fiel mir auf, dass an vielen Scherben Substanzen klebten. Da war mein Interesse geweckt.

Was haftete an den Scherben?

Quecksilberverbindungen, Antimon- und Bleiverbindungen. Da dachte ich sofort an Alchemie, denn besonders Antimonverbindungen spielten früher eine große Rolle. Dann habe ich unserer Glasrestauratorin Vera Keil die Scherben gegeben.

Wie groß waren die Scherben?

So in der Größe von zwei Euro-Stücken und etwas größer. Aber es war nicht so einfach, denn man muss sich vorstellen, dass man die Puzzleteile von vielen verschiedenen Puzzeln hat. Die sind vermischt und es fehlen die Vorlagen. Doch langsam entstanden Gefäße und ich konnte für jedes der Gefäße nachweisen, was darin gekocht wurde.

Gold?

Darauf haben wir keinen einzigen Hinweis.

Schade!

Eigentlich nicht, denn es ist viel spannender. Es gab ja zwei große Zweige der Alchemie: der eine war die Metallurgie, der andere geht auf Paracelsus zurück. Während es bei der Metallurgie darum ging, Gold oder den Stein der Weisen zu finden, ging es bei Paracelsus um Arzneimittel. Und darum ging es auch in der Wittenberger Werkstatt. Es kann sogar sehr gut sein, dass schon viel mehr Alchemistenwerkstätten gefunden wurden.

Wie kommen Sie darauf?

Als wir wussten, wie die archäologischen Funde einer Alchemistenwerkstatt aussehen, haben wir in unseren Depotfunden eine weitere, kleine gefunden – mit den gleichen chemischen Anhaftungen. Sie wurde in der Klosterruine der Huysburg ausgegraben und lag als Glasfund seit 2005 in unserem Depot. Deshalb nehme ich an, dass es sie auch in anderen Depots gibt.

Welche Anhaftungen haben Sie an den Glasscherben gefunden?

Quecksilber zum Beispiel und Antimon, ein Metall, dem Blei ähnlich und sehr giftig. 100 Milligramm bringen einen Menschen um. Lange hatte es keine Bedeutung. Doch man hatte damals schon herausgefunden, dass man mit Antimon Gold von anderen Metallen trennen und es damit reinigen kann. Damit war Antimon fast so etwas wie der Stein des Weisen. Das wiederum faszinierte Paracelsus, denn wenn der Stein der Weisen, also Antimon, Gold reinigen kann, muss es doch auch den Menschen reinigen können. Das war die Überlegung.

Sie klingt nach Vergiftung.

In der Tat. Krankheiten des Menschen waren nach damaliger Meinung Verunreinigungen. Was macht man damit? Alles muss raus! Und da kam das Antimon als Reinigungsmittel ins Spiel. Paracelsus hat natürlich kein Antimon verwendet, wie es aus dem Bergwerk kam. Seine Idee war, dass im frisch abgebauten Antimon noch die böse Natur steckt. Man „tötet“ sie, indem man das Antimon verbrennt. Nach der Verbrennung hatte man aus einer schwarzen Masse eine glasartige gelblich-rote Masse gewonnen. Diese Masse kann man gut in Wein lösen und genau das passierte. Antimon wurde in Wein gelöst den Patienten verabreicht. Das war der sogenannte Brechbecher. Ein flüssiges Gift, das als grauenvolles, schmerzerregendes Brechmittel wirkt. Es erzeugt außerdem Durchfall und ist extrem schweißtreibend.

Haben Sie etwas über den Betreiber des Wittenberger Alchemistenlabor herausfinden können?

Nein. Die Werkstatt stammt etwa aus der Zeit 1580–1600. Friedrich dem Weisen und seinem Nachfolger, Kurfürst August von Sachsen und seiner Frau Anna von Dänemark gehörte die Liegenschaft, aber wahrscheinlich haben sie selbst dort nicht operiert. Beide waren stark alchemistisch und pharmazeutisch interessiert. Ich vermute aber einen Zusammenhang, denn es war sehr kostspielig, ein solches Labor aufzubauen. Glaskolben und auch die Metalle waren teuer. Und es wurde viel von allem dort verarbeitet. Es war ein „pharmazeutisches Kombinat“.

Ein Großbetrieb?

Ja. Wir haben mehrere Hinweise auf die Produktion von Vitriolöl, das aus Schwefelsäure hergestellt wird, gefunden. Deshalb bin ich sicher, dass in unserer Werkstatt wöchentlich mehrere Liter dieser Flüssigkeit produziert wurden. Das war zu viel für den Eigenbedarf und deshalb gehe ich davon aus, dass die Werkstatt mit ihren Produkten handelte. Paracelsus verwendete Vitriolöl, übrigens zur Heilung von Wahnsinn.

Wahnsinn! Ein schwefelsäurehaltiges Medikament?

Ja, so schlecht hat das wahrscheinlich gar nicht geschmeckt. Die Mischung war vor allem sauer. Ob es geholfen hat? Aber im Prinzip ist die Verwendung von Schwefelsäure nicht ungewöhnlich in der Pharmazie. Bei Valerius Cordus, der auch einmal in Wittenberg war, gibt es zum Beispiel ein Rezept aus Süßholzsirup mit Muskatöl und ein paar Tropfen Schwefelsäure. Das ist Coca-Cola-Konzentrat, auch wenn heute in Coca-Cola Phosphorsäure verwendet wird. Und der Coca-Cola-Erfinder war Apotheker, er kommt also auch aus der pharmazeutischen Richtung.

Alchemisten waren immer auf der Suche nach dem Stein der Weisen? Haben Sie einen gefunden?

Ja.

Wirklich! Wo?

Der, den wir in der Ausstellung zeigen, kommt aus dem Besitz der Fürsten zu Stolberg-Wernigerode.

Und wie sieht er aus, der Stein der Weisen?

In dem Säckchen, das die Fürsten von dem Alchemisten Esaias Stumpfeldt kauften, waren einige rote Linsen, durchscheinend und glasartig. Das entspricht genau der Vorstellung, wie der Stein aussehen muss. Eine durfte ich auf ihre Bestandteile untersuchen und habe Arsensulfid, Quecksilbersulfid und Antimonsulfid gefunden. Ich kann also nun den Stein der Weisen herstellen.

Toll! Hatten Sie zuvor schon Kontakt mit alchemistischen Ideen? Sie sind ja nicht nur Restaurator sondern auch Chemiker.

Nein, eigentlich kaum. Es war bislang nicht mein Spezialgebiet. Aber seit ich mich damit beschäftige, habe ich viel gelernt. Vor allem kamen mir die Klischees abhanden. Ich dachte bei Alchemie an eine Geheimwissenschaft in Verbindung mit märchenhaft mystischer Zauberei. Das stimmt alles nicht.

Nicht?

Nein, denn die Alchemie ist der lückenlose Vorgänger der Chemie. Es war lange die einzige anerkannte Naturphilosophie, die sich mit dem Verhalten der Stoffe beschäftigte. Sicher, viele Sachen wusste man noch nicht und stellte so seine Theorien auf, von denen wir heute wissen, dass sie falsch waren. Aber es war wie heute: auch heute stellen wir Theorien auf und versuchen sie zu beweisen.

Wie die Theorie, dass man Gold machen kann.

Ja, damals beobachtete man und kam zu dem Schluss, wenn man mit roten Safranfäden eine ganze Schüssel Reis gelb/golden färben kann, dann muss das mit anderem Material auch gehen. Also musste der Stein der Weisen rot sein. Aber davon abgesehen, haben die Alchemisten auf der Suche nach Gold viele andere Sachen entdeckt – den Phosphor, das Rubinglas, das Porzellan. Deshalb erzählen wir in der Ausstellung nicht eine Geschichte über alchemistische Spinner, sondern die Geschichte einer Naturwissenschaft. Beginnend in der Antike und endend in der Gegenwart. Denn auch eine Anlage wie das CERN in der Schweiz verdeutlicht alchemistische Sehnsucht.

Sehnsucht treibt Naturwissenschaftler immer an.

Ein schönes Beispiel dafür ist der Slogan des Chemieprogramms der SED 1956. Er lautete: „Chemie gibt Wohlstand, Schönheit und Brot“. Heutige Chemiefirmen-Imagewerbung klingt ähnlich: „Science for a better life“. Das fasst das alchemistische Versprechen doch in einem Satz zusammen. Denn auch wenn unsere Methoden heute andere sind – unsere Sehnsüchte und Wünsche sind die Gleichen geblieben.

Das Interview führte Uta Baier.

Die Rezension zur Ausstellung finden Sie in der RESTAURO 2/2017 (Erscheinungstermin: 13. März 2017). „Alchemie – Die Suche nach dem Weltgeheimnis” ist noch bis 5. Juni 2017 im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zu sehen. 

Scroll to Top