27.09.2021

Porträts Projekte

Wer war eigentlich Jakob Wiedmer-Stern?


Finanzakrobat, Erfinder, Schriftsteller und Diplomat: Jakob Wiedmer-Stern

Felix Müller, bis 2015 Vizedirektor und Leiter der Abteilung Archäologie am Bernischen Historischen Museum und Honorarprofessor für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie der Römischen Provinzen an der Universität Bern, hat dem abenteuerlichen Leben Jakob Wiedmer-Sterns (1876–1928) ein Buch gewidmet. Die Biografie zeichnet das sprunghafte Leben des Archäologen nach


Wer war Jakob Wiedmer-Stern (1876–1928)?. Foto: Chronos Verlag
Wer war Jakob Wiedmer-Stern (1876–1928)?. Foto: Chronos Verlag

Das Gräberfeld bei Münsingen-Rain im Schweizer Kanton Bern wurde 1904 beim Kiesabbau entdeckt. Anschließend wurde es bis 1906 unter der Leitung von Jakob Widmer-Stern archäologisch untersucht. Die über 200 Gräber mit teilweise ungewöhnlich reichen Beigaben datieren in die frühe bis mittlere Latène-Zeit ( ca. 450 – 150 v.Chr.), und sind bis heute das bedeutendste Schweizer Flachgräberfeld der jüngeren Eisenzeit. Wer aber war dieser Jakob Wiedmer-Stern? Ein Archäologe, ein Erfinder, ein Romanautor, ein Schuldenmacher?

Felix Müller hat nun dem abenteuerlichen Leben Wiedmer-Sterns ein Buch gewidmet. Diese Biografie zeichnet das sprunghafte Leben des Archäologen Jakob Wiedmer-Stern (1876–1928) nach. Diesem gelang es als reiner Dilettant, ohne Studium eine wichtige Ausgrabung erfolgreich zu leiteten, ja sogar an die Spitze der Zunft zu gelangen, bevor er dann zehn Jahre später alle Ämter und Posten hinwarf.

Der Autor Felix Müller war bis 2015 Vizedirektor und Leiter der Abteilung Archäologie am Bernischen Historischen Museum sowie Honorarprofessor für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie der Römischen Provinzen an der Universität Bern. Müller recherchierte akribisch, rekonstruierte die Lebensstationen Wiedmer-Sterns, deckte bisher unbekannte Bezüge auf und ging in seiner Biografie der Vermutung nach, dass sein rastloser Vorgänger offenbar nicht wie stets behauptet an Rheumatismus litt, sondern an der Syphilis.

Wiedmer-Stern war ein Finanzakrobat, Erfinder, Schriftsteller und Diplomat mit ebenso glänzenden Höhepunkten wie dramatischen Abstürzen, aber eben auch ein bedeutender Archäologe. Als solcher war er Direktor des Bernischen Historischen Museums und Gründer der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte. Er war der Sohn eines Bäckers in Herzogenbuchsee und ein glänzender Schüler, begabt und überaus eloquent. Schon als Schüler unternahm er erste Ausgrabungsversuche, begann, im Dorfteich nach Pfahlbauerresten zu graben und konnte bereits damals seine Fundergebnisse zur Verblüffung der Dorfbevölkerung in der Berner Volkszeitung kommentieren. Trotz Fürsprache von Lehrer, Pfarrer und Dorfarzt stellte sich sein Vater gegen eine höhere Schulbildung – eine kaufmännische Ausbildung musste reichen. Die Dorfbewohner dagegen sahen im heranwachsenden „Bäcker-Köbi“ bereits einen künftigen Gemeinderat, Pfarrer oder gar Bundesrat. Von seinen „schwarzen, unglaublich klugen Augen“ schwärmte die Spielkameradin Maria, die spätere Schriftstellerin Maria Waser; der Redakteur Ulrich Dürrenmatt – der Großvater des Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt – ist beeindruckt vom Schreibtalent des Jünglings, der sich in seiner Freizeit als Archäologe betätigt. Einzig die Ausbildung zum Kaufmann steht dem Vielbegabten offen. Mit 21 ist Jakob Wiedmer in Athen, offenbar in kaufmännischer Stellung. Drei Jahre lang kopiert er in der Freizeit Münzen, findet Scherben, erwirbt Antiken, schickt diese in Rosinen gepolstert nach Bern, lernt die großen griechischen Altertumsforscher kennen und spricht ausgezeichnet Neugriechisch.

Wieder daheim in Bern, schreibt er einen ersten Roman (zwei weitere werden folgen), heiratet die Hotelbesitzerin Marie Stern und organisiert wieder Grabungen. Sein genialer archäologischer Spürsinn eröffnet der Wissenschaft ganz neue Forschungsmethoden, die ihn in der Fachwelt international bekannt machen. Einen nationalen Markstein setzt er mit der Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte. Karriere macht der Tausendsassa weiter unter anderem als Erfinder und Diplomat mit ebenso glänzenden Höhepunkten wie dramatischen Abstürzen.

Jakob Wiedmer-Stern wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten Archäologen der Schweiz. Als im Sommer 1906 die Ausgrabung eines keltischen Friedhofs in Münsingen-Rain begann – bis heute ein Markstein der keltische Archäologie –, wurde das Projekt von einem gerade dreißigjährigen jungen Mann geleitet, der nie eine Universität besucht hatte. Er dokumentierte die Grabung in für damalige Verhältnisse einzigartig genauer Art, erkannte das Potenzial einer sich aus der Anlage ergebenden neuen Datierungsmethode und verfasste einen 90 Seiten starken Bericht mit exakten Lageplänen, mit Skizzen und Aquarellen zu jedem der zahlreichen Fundstücke. Ein Jahr später wird Jakob Wiedmer-Stern Direktor für Archäologie am Historischen Museum in Bern. Er leitet in der Folge zahlreiche Grabungen, bezieht mit Frau und Kind eine stattliche Villa und nimmt am großbürgerlichen Berner Kulturleben teil. Doch schon drei Jahre später legt er sein Amt über einer Personalquerele nieder, in einem überstürzten Abgang verlässt der schon immer etwas Sprunghafte das Museum, dem er seit zehn Jahren eng verbunden gewesen war. Was war passiert?

Wiedmer-Stern litt angeblich an «Rheumatismus» – doch es ließ sich immer weniger verheimlichen, dass seine Beschwerden auf eine aus Griechenland mitgebrachte und damals unheilbare Syphilis zurückgingen. Fortan war er als Investor in Konstantinopel unterwegs, in Sizilien und sogar in Nevada. Aber seine bizarren Pläne scheitern allesamt. Auch als Erfinder hat er kein Glück: Keines von über dreißig von Wiedmer angemeldeten Patenten bringt Geld ein. Die Folgen sind Bankrott und Trennung der Familie. Wiedmer stirbt schließlich 1928 enttäuscht, krank und vereinsamt in Bern. Felix Müllers lesenswerte, vorzüglich geschriebene Biografie dieses ebenso hochbegabten wie schwierigen Menschen und seines tragischen Schicksals ist im Züricher Chronos-Verlag erschienen.

Felix Müller: Rastlos. Das erstaunliche Leben des Archäologen und Erfinders Jakob Wiedmer-Stern (1876–1928), 2020. 240 Seiten, 51 Abb. farbig und s/w, ISBN 978-3-0340-1599-8 CHF 38.00 / EUR 38.00

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