Wer das Haus in der Unesco-Welterbe Hufeisensiedlung betritt, wähnt sich in einer Zeitkapsel. Hier ist ein mietbares Museum entstanden, in dem fast jedes Detail den Geist der 1920er-Jahre atmet.

„zu jung, zu privat, zu klein, zu verwegen...“
Als Katrin Lesser und Ben Buschfeld das Haus in der Berliner Hufeisensiedlung das erste Mal sahen, war ihnen klar: „Diesen kulturhistorischen Schatz wollen wir heben.“ Die Summe an erhaltener Substanz aus den 1930er-Jahren – von zwei funktionstüchtigen Kachelöfen bis hin zur Küche mit altem Steinholzboden und Naturkühlschrank – erschien den Denkmalexperten wie „ein kleines Wunder“. Ein Wunder, das sich auch im Außenraum fortsetzte: Hier entdeckte das Ehepaar neben anderen Obstbäumen einen Sauerkirschbaum, der noch aus der Gründungszeit der Siedlung stammt. Als erweiterten Wohnraum verstand der Gartenarchitekt Leberecht Migges die Gärten, in denen Zierpflanzen, aber auch Obstbäume vorgesehen waren. Lesser und Buschfeld beschlossen, dieses von Bruno Taut gestaltete Kleinod des Neuen Bauens zu kaufen und zu restaurieren. Der Enthusiasmus dafür war vorhanden, ebenso die Kompetenz. Katrin Lesser ist Garten- und Landschaftsarchitektin mit Schwerpunkt Gartendenkmalpflege, Ben Buschfeld Grafik-, Web- und Ausstellungsdesigner. Beide engagieren sich seit Jahren im Denkmalschutz und haben schon diverse Publikationen zur Hufeisensiedlung herausgegeben. Allerdings waren mögliche Finanziers um Ablehnungsgründe nicht verlegen: „zu jung, zu privat, zu klein, zu verwegen, zu kurzfristig oder vielleicht schlicht zu ungewöhnlich“. Schließlich beschloss das Ehepaar, sein Vorhaben mit Eigenmitteln zu stemmen und das Haus in eine Kombination von Museum und Ferienhaus zu verwandeln. Der Plan ging auf. Längst ist „Tautes Heim“ zum beliebten Ziel für Designbegeisterte aus aller Welt geworden.
Schnörkelfrei und klar
„Taut“ oder „Typisch?“ – diese Entscheidung mussten Lesser und Buschfeld während der zweijährigen Restaurierungs- und Einrichtungsphase des Hauses immer wieder neu treffen. Einerseits habe sich Taut durch einen funktionalen Stil ausgezeichnet, erklärt Ben Buschfeld den Zwiespalt. So sei der Begriff „eine Wohnung tauten“ – im Sinne von modern gestalten – zur Zeit der Siedlungsgründung eine gängige Redewendung gewesen. Während Taut jedoch für ein schnörkelfreies, klares Ambiente plädierte, sah die Realität im sozialen Berliner Siedlungsbau in der Regel anders aus: In den meisten Haushalten sammelten sich Staubfänger und Nippes an. Lesser und Buschfeld entschlossen sich daher bei dem großen Wohnraum im Untergeschoss und den beiden Schlafzimmern im Obergeschoss für einen Kompromiss. Dort findet der Besucher neben Wagenfeld-Leuchte und Gästesofa im Bauhaus-Stil auch ein gerahmtes Häkeldeckchen und das dilettantische Gemälde eines pummeligen Jungen. Und so treffen dort die Klassiker der Moderne auf Kitsch; Avantgarde-Design trifft auf Bürgerlich-Alltägliches – bisweilen mit einem Augenzwinkern.


Farbliche Feinarbeit
Während „Taut“ und „Typisch“ sich bei der Einrichtung die Waage halten, ließen sich die neuen Eigentümer bei den Restaurierungsmaßnahmen auf keinerlei Kompromiss ein. „Unser Ziel war es, alle Wand-, Boden, Bauteil- und Deckenfarben exakt zu rekonstruieren“, betont Buschfeld. Er und seine Frau beauftragten die Farbrestauratorinnen Doreen Duras und Hanka Schuchardt aus Werder, eine Schichtanalyse und eine umfassende Bestandsanalyse – achtzig Seiten sollten es werden – zu erstellen. Noch nie zuvor hatten Fachleute die für Bruno Taut typischen intensiven Innenraumfarben an einem konkreten Objekt erforscht. Um die Farbschichten zu bestimmen, legten die Restauratorinnen mit dem Skalpell kleine Fenster frei, von denen die Eigentümer einige zur Demonstration beließen. „Es kam manch coole Farbe zum Vorschein“, schwärmt Buschfeld. Schicht für Schicht bargen die Restauratorinnen neue Überraschungen, wie etwa das helle Blau, mit dem die Küchendecke gestrichen war. Auch entdeckten sie, dass einige Sprossen des ansonsten weißen Treppengeländers ursprünglich rot lackiert gewesen waren, wobei keine konstruktive oder rhythmische Struktur ersichtlich war. Für den Handlauf der Treppe hatte Taut die Farbe Schwarz gewählt, da diese besonders unempfindlich ist. Bevor die Malerarbeiten des nur 65 qm großen Hauses starteten, glich Roland Lehmann, ein als „Restaurator im Handwerk“ zertifizierter Maurer und Putzer, die zahlreichen Unebenheiten und Scharten der Wände aus. Den mineralischen Wandanstrich aus der Produktlinie Optil sponserte die Firma Keim-Farben, deren Produkte bereits zu Bauzeiten der Siedlung zum Einsatz gekommen waren.
Auf den Boden der Tatsachen
Die Malerarbeiten sowie Versiegelung der Böden übernahm die Firma M.E.R.K. Zum einen versiegelte sie die Böden mit hochglänzenden Alkydharzlacken in Hellgrau und Ochsenblutrot, einer gerade für Berlin typischen Farbe. Als „wahren Krimi“ beschrieb Buschfeld die Bemühungen um den Erhalt des originalen Steinholzbodens. Über das Bauhaus Dessau waren er und seine Frau an die Rezeptur des nahezu vergessenen Werkstoffs gelangt, der sich aus Sägespänen, Zement, Eisenoxid-Pulver und verschiedenen Salzen zusammensetzt. „Wir haben rund ein Dutzend Zutaten in einer bestimmten Reihenfolge verrührt und dann die pastöse Masse in die vorbehandelten Risse und Bohrlöcher gestrichen und glatt verspachtelt“, beschreibt Buschfeld das aufwendige Prozedere. Die Freude, als Farbton und Konsistenz gelangen, hielt jedoch nicht lange an: „Überall bildeten sich nach ein paar Tagen Blasen und Risse.“ Doch die Eigentümer gaben nicht auf und engagierten schließlich Fritz Beikler aus Ulm, laut Buschfeld einen der „letzten und besten Experten für Steinholzböden“. Gemeinsam mit einem Gehilfen brachte der 70-Jährige eine neu angerührte Masse direkt auf dem Küchenboden auf und zog sie plan ab.

Durchhaltevermögen benötigt
Als großes Glück bezeichnet Buschfeld die Tatsache, dass von den sechs bis acht Kachelöfen, die es in den 1930er-Jahren in jedem Haus gab, noch zwei erhalten waren. In den meisten Häusern waren die Öfen in den 1950er-Jahren einer Heizung gewichen. Einen dritten großen Kachelofen im hellgrün gestrichenen Wohnzimmer „puzzelten“ er und seine Frau neu zusammen – die Nachbarn hatten glasierte rechteckige Fliesen im kräftigen Grün gespendet, die sie im Keller bewahrt hatten. Während der Ofen im Wohnzimmer mit der Wandfarbe Ton in Ton geht, bilden die beiden Öfen im Obergeschoss einen Komplementärkontrast zu den Wänden. Tauts Experimentierfreude mit Farben und Kontrasten kannte offenbar keine Grenzen. Als besondere Herausforderung erwies sich die denkmalgerechte Dämmung des Pultdachs mit Betondecke. „Um den Taupunkt nicht ins Mauerwerk zu ziehen, kam nur die Dämmung von oben, also zwischen Beton und Bitomen-Dachpappe, in Betracht“, erklärt Buschfeld. Allerdings sei eine solche in der Siedlung, die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, noch nie erfolgreich realisiert worden. Vielmehr gab es mehrere Baustopps und Rückbauverfügungen. Etwa als Styroporplatten das Erscheinungsbild des zur Straße hin durchlaufenden Gesimses der Reihenhauszeile störten. Eine Lösung dafür hatte das Büro Winfried Brenne Architekten in Kooperation mit der TU Dresden entwickelt: Die eigentliche Dämmschicht besteht hierbei aus einem Stoß-auf-Stoß-Verbund mehrerer, nur acht Zentimeter auftragender und sich zur Kante hin zusätzlich keilförmig verjüngender PUREN-Platten. „Eine Konstruktion, die auch aus der Distanz gesehen optisch hinter der Regenrinne, die das Gesims abschließt, komplett verschwindet“, betont Buschfeld.
Liebes Gästebuch
Die ebenso behutsame wie innovative Restaurierung von Tautes Heim sowie dessen Vermittlungsmodell schließen eine Lücke in der Berliner Museumslandschaft, Denkmal- und Welterbe-Kommunikation. Dafür erhielten Lesser und Buschfeld 2013 unter anderem die Ferdinand-von-Quast-Medaille. Außerdem wurde das Haus im selben Jahr mit dem Europa Nostra-Award ausgezeichnet, einer Auszeichnung, die in Berlin bislang nur dem Neuen Museum und der Max-Liebermann-Villa zuteil geworden war. Darüber hinaus zählt Tautes Heim zum erlauchten Kreis der Gebäude mit einer ICONIC House-Plakette. Diese Auszeichnung, die mit Einladungen zu internationalen Konferenzen einhergeht, habe ihnen viele interessante Kontakte rund um den Globus eingebracht, resümiert Buschfeld. „Heute sind wir umso fester davon überzeugt, dass Architektur und Design zur Benutzung entwickelt werden und sich eben deshalb auch nur so in Gänze erfahren und qualitativ beurteilen lassen.“ Das Gästebuch liest sich wie eine einzige Lobeshymne. Von einer „Therapie für Chromophobiker“ ist dort die Rede oder auch schlicht vom Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Was Ben Buschfeld und Katrin Lesser besonders freut ist, dass ihre Architekturikone mit der weiß-blauen Front auch Einfluss auf die direkte Umgebung ausübt: „Einige Nachbarn pflanzen jetzt Obstbäume an und sind mutig mit der Farbe.“
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