Wiege der Menschheit und Kontinent der Naturwunder – und dennoch unterhält Afrika mit seinen 54 Staaten und mehr als 2000 Volksgruppen nur etwa neun Prozent der Welterbestätten. Und dies, obwohl die UNESCO in den vergangenen drei Jahrzehnten massive Anstrengungen unternommen hat, afrikanische Bewerbungen für die Aufnahme in die Welterbeliste zu fördern. Zwei Beispiele zeigen schlaglichtartig die Chancen und Schwierigkeiten im Spannungsfeld zwischen der Bewahrung des Erbes und dem Streben nach Fortschritt: die Heiligen Kaya-Wälder der Mijikenda sowie das Fort Jesus in Mombasa.
Kultiviert wie assoziativ
Anfang der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts monierten viele Länder, dass die Liste des Weltkulturerbes unausgeglichen und eurozentrisch sei. Sie wiesen darauf hin, dass die Staaten der südlichen Hemisphäre – und dort vor allem die indigenen Kulturen – unterrepräsentiert seien. Um eine repräsentative, aus- gewogene und glaubhafte globale Liste zu erstellen, die eine Vielfalt der Kulturen und Landschaften widerspiegelt, steckte die UNESCO damals den Rahmen für „kulturelle Landschaften“. Im Fokus der neuen „World Heritage Strategie“ steht die menschliche Koexistenz mit der Natur – sei die Natur kultiviert, organisch gewachsen oder assoziativ. Letztere ist weitgehend durch immaterielle Besonderheiten geprägt, etwa jene der jeweiligen Kultur, Kunst oder Religion. Als erste kulturelle Landschaft wurde 1993 der Tongairo National Park in Neuseeland ins Welterbe aufgenommen und damit auch erstmals die indigene Perspektive einbezogen. Mit dem Konzept der assoziativen kulturellen Landschaften setzte sich ein Paradigmenwechsel im Welterbesystem durch. „Die Werteermittlung hat sich von Experten hin zu multiplen Stakeholdern verschoben“, betont Christina Cameron, emeritierte Vorsitzende der Fakultät Bauerbe an der Université de Montréal in Kanada. So spielt bei den kulturellen Landschaften die Lokalbevölkerung eine wichtige Rolle.
Konfliktpotenzial
Auch den afrikanischen Nominierungen spielte das neue Konzept in die Karten. Der ostafrikanische Staat Kenia beispielsweise ist seit 1991 Mitglied der Welterbekonvention. Das Land verfügt über sieben UNESCO-Welterbestätten, darunter vier Stätten des Weltkulturerbes und drei Stätten des Weltnaturerbes. 2008 trug die UNESCO zehn von rund 50 bekannten Kayas in die Weltkulturerbeliste ein. Die „Heiligen Kaya-Wälder der Mijikenda“ sind separate Waldgebiete, die sich über eine Strecke von etwa 200 Kilometern entlang der Küste Kenias erstrecken. In den Wäldern befinden sich die Überreste zahlreicher befestigter Dörfer, sogenannter Kayas, erbaut vom Volk der Mijikenda. Die Kayas, die ab dem 16. Jahrhundert entstanden und in den 1940er-Jahren aufgegeben worden waren, gelten als die Wohnstätten der Vorfahren. Sie werden als heilige Stätten verehrt und von den Ältestenräten gepflegt. Somit stellen die Kayas die einzigen Küstenbereiche dar, an denen die reiche Bewaldung nicht der Landwirtschaft und Besiedlung gewichen ist. Sie bilden die Lebensgrundlage für die angrenzenden Gemeinschaften, die sich durch kleine Unternehmen versorgen, die auf den Ressourcen von Natur und Kultur basieren. Zunächst hatte sich die kenianische Regierung bei der UNESCO mit 36 Kayas beworben, den Vorschlag aufgrund unvollständiger Schutzkonzepte jedoch auf 11 Stätten reduziert. Davon wiederum strich das Welterbekomitee die Kaya Kinondo: Nur wenige hundert Meter von einem touristischen Strand gelegen, war der heilige Wald durch einen Hotelbau erheblich beeinträchtigt worden. Zudem werden in einem Steinbruch auf dem Areal Korallen abgebaut.
Knappes Gut
Doch nicht nur der Tourismus stellt eine Bedrohung für den Erhalt der Kayas dar: So kam es während der Pandemie zu Wilderei und inneren Konflikten. Auch kehrten viele Menschen, die in den Städten aufgrund der Pandemie ihre Arbeit verloren hatten, in ihre Gemeinden zurück. Die Wälder konnten die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleisten, und das Holz – Hauptenergiequelle und Baustoff für die Häuser der Dorfbewohner – wurde knapp. Mit dem Projekt „#SOSAfrican- Heritage-Projekt“ schuf die Organisation „National Museums of Kenya“ Plattformen für einen Austausch zwischen den Ältesten und der lokalen Bevölkerung. Vor allem die Jugendlichen wurden aktiv in die Verwaltung und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder einbezogen. Gemeinsame Aktionen wie Kulturspaziergänge, Vogelbeobachtungen, traditioneller Hüttenbau oder Diskussionsrunden förderten den Wissenstransfer und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das Projekt wurde von der Deutschen UNESCO-Kommission gefördert. Lokale Kleinunternehmen – etwa Perlensticker und Töpfer sowie Landwirte oder Bienenzüchter – wurden mit Know-how und Ausrüstung unterstützt. All diese Maßnahmen führten dazu, dass sich das Bewusstsein der lokalen Bevölkerung für den Wert ihres Kulturerbes erheblich steigerte. Doch nicht nur das: Es entstanden neue Einkommensquellen für die Menschen vor Ort, wodurch der Druck auf das Waldökosystem zumindest kurz- und mittelfristig gemindert wurde. Inzwischen hat sich in den Kayas ein sanfter Tourismus durchgesetzt, der auf große Resonanz bei vielen Kenia-Reisenden stößt.
Finanzielle Hürden
Anders sieht es mit dem Fort Jesus aus, das 2011 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden war. Die damalige Kolonialmacht Portugal hatte das Fort zwischen 1593 bis 1596 erbaut, um so die Handelswege im Indischen Ozean zu beherrschen, die bis dahin unter östlichem Einfluss standen. Im Laufe seiner Geschichte hatte das Fort mehrfach den Besitzer gewechselt und sich unter arabischer, suahelischer und englischer Kontrolle befunden. Der Grundriss des Forts ist im Sinn der Renaissance an die Proportionen eines menschlichen Körpers angelehnt und spiegelte seinerzeit den neuesten Stand der Militär-Architektur wider. 1958 wurde Fort Jesus zum Nationalpark erklärt, das Schutzgebiet umfasste das Fort selbst und einen 100-Meter-Streifen; seit 2006 fällt es unter den National Museums and Heritage Act. Die Nationalen Museen von Kenia gewährleisten die Erhaltung und den Schutz des 2,36 Hektar großen Areals. Dessen Grenzen wurden so festgelegt, dass sie die archäologischen Überreste auf dem Meeresgrund vor Fort Jesus sowie den Wassergraben umfassen, der das Fort von Mombasas angrenzender Altstadt trennt. Diese zählt ebenfalls zum Welterbe. Auf einem Gebiet von etwa 72 Hektar wohnte über die Jahrhunderte eine Vielzahl von Communities: Einheimische, Araber, Asiaten, Portugiesen und Briten. Das Mit- und Nebeneinander der verschiedenen sozialen, politischen, religiösen und wirtschaftlichen Aktivitäten dieser Gruppen hat die Stadt auf vielfältige Weise geprägt. Viele dieser Gebäude, die afrikanische, arabische und europäische Einflüsse in sich vereinen, verfügen über prachtvoll geschnitzte Türen und elegante Balkone. Für Reparatur- und Erhaltungsarbeiten werden auf traditionelle Weise Korallenstein und Kalkmörtel verarbeitet. Gravierende Umbauten oder Modernisierungen dürfen die Altstadtinwohnerinnen und -einwohner an den Häusern nicht vornehmen, auch die Farbe für den Fassadenanstrich ist vorgeschrieben.
Ungenütztes Wissen
Anders als erhofft, hat sich das Fort allerdings nicht zu einem Touristenmagneten entwickelt. Vielmehr ziehen viele Kenia-Reisende den Aufenthalt am Strand vor oder gehen auf Safari in die Nationalparks. Auch ist die Logistik in der Region schlecht: Noch ist eine Fähre nötig, um von den Strandgebieten im Süden nach Mombasa überzusetzen – je nach Tageszeiten kann das zu stundenlangen Wartezeiten in sengender Hitze führen. So ist der Vorplatz des Museums oft verwaist. Kinder, die sich ein paar Schilling von den Besuchenden erhoffen, werden von der Polizei verjagt. Obwohl der Eintritt für die Einheimischen nur einen Bruchteil dessen auchmacht, den die Touristinnen und Touristen bezahlen, können sich viele Kenianerinnen und Kenianer den Besuch des Forts nicht leisten. Viele Menschen in Mombasa und der Umgebung wissen nicht, dass das Fort Jesus zum Welterbe der UNESCO zählt, und können mit dem Label nichts anfangen.
Warum hat Afrika so wenig Welterbestätten?
Ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner von Mombasa lebt in Armut. So wie ein großer Teil der Kenianer landesweit. Seit Jahren gibt es im Osten und Norden Kenias kaum Regen. Da die Böden zu trocken sind, um Getreide oder Gemüse anzubauen, sind rund 5,4 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht. Wenn die Existenz großer Bevölkerungsgruppen bedroht ist, rückt der Denkmalschutz in den Hintergrund. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass es trotz der Bemühungen der UNESCO auf dem gesamten afrikanischen Kontinent 2022 lediglich 54 Welterbestätten gab. Dies liegt jedoch nicht mehr – oder nur noch bedingt – an eurozentrischen Vergabeverfahren. In Afrika fehle es an den Strukturen und dem politischen Willen zum Erhalt des Kultur- und Naturerbes, erklärt George Abungu. Der Archäologe und ehemalige Direktor des Nationalmuseums in Kenia bestätigt in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass es aktuell nur wenige afrikanische Anträge auf Aufnahme in die Welterbeliste gibt.
Strategisches Investment
Christoph Brumann vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle erklärt die geringe Zahl der Bewerbungen mit den komplizierten Rahmenbedingungen des Verfahrens. Für einen Antrag müssten Dossiers mit Hunderten und Tausenden von Seiten erarbeitet werden, so Brumann: „Das ist für Staaten mit besserem Know-how, mit mehr Denkmal- und Naturschutzerfahrung und mehr Geld viel leichter zu stemmen als für viele afrikanische Länder.“ Die UNESCO hat das Problem erkannt und unterstützt die afrikanischen Staaten mit Spendengeldern aus dem „African World Heritage Fund“. „Es gibt noch viel zu tun“, räumt Mechtild Rössler, ehemalige Direktorin des Welterbezentrums der UNESCO in Paris ein und fügt hinzu: „Aber wir sind auf dem Weg.“ George Abungu sieht den Hauptgrund, dass afrikanische Regierungen aktuell kaum noch auf die Auflistung ihrer Gebiete drängten, in der Befürchtung, dass die Stätten dann für Entwicklungsprojekte tabu seien. Wirtschaftliche Interessen sind im Übrigen auch der Grund, dass in Afrika besonders viele UNESCO-Welterbestätten als bedroht eingestuft sind, so Abungu. Er setzt auf die Hilfe des globalen Nordens: „Wir sollten die Strategie ändern, mehr vom Norden in den Süden investieren, um unser gemeinsames Erbe der Menschheit zu schützen.“
