In einem Treppenfoyer des Deutschen Hygiene-Museum Dresden wurde bis Herbst 2024 das 1979 weiß übermalte Wandgemälde „Lebensfreude“ von Gerhard Richter restauriert. Die Diplomarbeit des Malers war Teil seiner Ausbildung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und entstand 1956.

Nahezu vergessen
Lange Zeit hatte sich der heute weltbekannte Künstler geweigert, seine frühe Arbeit wieder zugänglich zu machen. Die Bemalung der 15 Meter langen und fünf Meter hohen Wand erhielt der damals 24-Jährige Ende 1955 als Aufgabe zum Abschluss seines Studiums. Die Restaurierung wird von der Dresdner Kunsthochschule begleitet und ist öffentlich zugänglich. Ein Schaufenster in der bis zur Decke reichenden Einhausung samt Abluftanlage erlaubt es zuzuschauen. An zwei Stellen sind die alten Farbschichten bereits abgetragen und ermöglichen eine erste Sicht auf das monumentale Werk. Die 63 Quadratmeter bestehen aus verschiedenen Figurengruppen und Szenen aus dem sozialistischen Alltag in der DDR, darunter Menschen, die fröhlich zwischen Bäumen und Wiesen sitzen und tanzen. Seit der vom Institut für Denkmalpflege abgewinkten Übermalung geriet die Arbeit nahezu in Vergessenheit. „Diesen ständigen Umgang mit Geschichte und Erinnerung, des Überschreibens und Wiederaufdeckens fand ich spannend, und dieses Gemälde von Gerhard Richter verdeutlicht das ganz exemplarisch“, meint Iris Edenheiser, Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden und Initiatorin der Freilegung.


Historische Schichten
Anlass war die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihres Hauses in der DDR, die ab März in der Sonderausstellung „VEB Museum“ erzählt wird. „Die partielle Freilegung, um diesen Umgang mit Geschichte deutlich zu machen, war mir sehr wichtig“, so Edenheiser. „Ich hätte wenig Sinn darin gesehen, das Gemälde ganz aufzumachen und damit auch wieder die Spuren der letzten Dekaden zu verwischen.“ In einer Abteilung der Ausstellung wird es um die Beziehungen gehen, die die Ateliers und Werkstätten des Museums beispielsweise zu der Hochschule für Bildende Künste Dresden unterhielten. Vor diesem zeithistorischen Hintergrund wird das Wandgemälde thematisiert. Die fortschreitenden Restaurierungsarbeiten könnten als Metapher für das prozesshafte Freilegen historischer Schichten gelesen werden. Der gesamte Prozess wird von dem Leipziger Fotografen Andreas Rost in einem Langzeitprojekt dokumentiert.
Ablehnung und Distanz
Edenheiser war nicht die Erste, die sich mit der Freilegung beschäftigte. Bereits 1994 stieß eine Anfrage des Dresdner Hygiene-Museums bei Gerhard Richter auf Ablehnung. Er hatte sich von seinem Frühwerk aus der DDR, die er 1961 verlassen hatte, lange distanziert. Begeistert gibt sich Dietmar Elger, Leiter des in Dresden beheimateten Gerhard-Richter-Archivs. „Wir kannten das Bild. Da gibt es gute Fotos, aber nicht eines, das farbig gewesen wäre. Von daher war die Farbigkeit eine große Überraschung, und diese spezielle Art des Farbauftrags in kleineren vertikalen Pinselstrichen und der Gesamteindruck ist eigentlich wunderbar, jetzt schon.“ Restaurator Albrecht Körber und seine Kollegin Susan Förster arbeiten sich seit Dezember 2023 durch die zehn Farbschichten, die über dem Wandgemälde liegen. Zu den Herausforderungen gehört, dass sich kein Schutzfirnis auf der Malschicht befindet. Voruntersuchungen ergaben, dass bei der Übermalung als Haftvermittler zwischen dem Gemälde und einer Latexfarbe ein grau eingetöntes Alkydharz direkt auf die ungeschützte Malerei aufgestrichen wurde. Es folgten im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche weitere Anstriche. Zentimeter für Zentimeter lösen Körber und Förster jetzt die alte Farbe ab und konzentrieren sich dabei auf den Mittelteil des Wandbildes, eine Strandszene, auf der eine Frauenfigur im Badeanzug zu erkennen ist.

Besondere Schwierigkeit
„Die ersten fünf Schichten gehen erst mal trocken mechanisch, das ist eine Wachsfarbe, die zu DDR-Zeiten aufgetragen wurde“, erläutert Körber. „Dann haben wir noch fünf Kunstharzanstriche, und die können wir anquellen, indem wir Lösemittelgemisch auftragen. Man kann sie vorsichtig abschaben.“ Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die ermittelte Einwirkdauer der Lösemittelkompressen genau eingehalten werden muss, um keine Schäden an der Malschicht zu verursachen. Diese Vorgehensweise hat das Duo gemeinsam mit der Hochschule für bildende Künste in Dresden entwickelt. Erst wurden im Fachbereich Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung die überlagernden Farbschichten analysiert. Parallel dazu hat man die Maltechnik Richters erforscht. „Richter selbst beschreibt in seinem Aufsatz von 1956, dass es ihm darauf ankam, eine Art flächige, ornamentale Wirkung zu erreichen“, sagt Professor Ivo Mohrmann. „Wie ein Teppich, wie ein Gobelin sollte man sich diese Wandmalerei vorstellen, und wir waren froh, dass sich das bei der Freilegung auch bestätigt hat. Es war ein Stück weit auch der Versuch, von einer plakativen propagandaartigen Malerei wegzukommen zu dieser dekorativen Wirkung.“ Die Restaurierung in einer Schauwerkstatt wurde finanziell von der Wüstenrot-Stiftung und der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung ermöglicht, die die Kosten des Projekts von 220.000 Euro tragen. Rund 18 Quadratmeter sollten bis Oktober 2024 freigelegt werden. „Was genau, hängt vom Erhaltungszustand ab“, sagt Dietmar Elger.