23.11.2020

Kunststück

Vor dem Abriss gerettet

„Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbilds von Josep Renau in Erfurt. Foto: Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2020
„Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbilds von Josep Renau in Erfurt. Foto: Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2020

Vor genau einem Jahr kehrte Josep Renaus Monumental-Mosaik „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ nach einer vierjährigen Restaurierungsphase wieder an seinem ursprünglichen Platz in Erfurt zurück. Dazu ist jetzt die Publikation von der Wüstenrot Stiftung erschienen

 


„Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbilds von Josep Renau in Erfurt. Foto: Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2020
„Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbilds von Josep Renau in Erfurt. Foto: Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2020

 

Als die Monteure am 27. Oktober 2019 die letzte Platte von Josep Renaus 70.000-teiligen Mosaik am Moskauer Platz einfügten, strömten zahlreiche Anwohner der Plattenbau-Großsiedlung zusammen. Bis 2012 hatte das farbenfrohe Wandbild die Front eines Erfurter Kultur- und Freizeitzentrums geschmückt, das den Abrissbaggern zum Opfer fiel. Mit dem Mosaik war gleichsam ein Stück Identität verschwunden.

Notdürftig lagerten die Platten erst einmal in den Containern eines städtischen Betriebshofs, später in einer Halle. Ein Bürgerverein engagierte sich für die Rückkehr des zwischen 1982 und 1984 entstandenen Wandbildes, das in drei Teile untergliedert ist: Während links die Natur durch dichte Vegetation und eine Schnecke dargestellt ist, nimmt die Technik den rechten Bereich des Bildes ein: Als Instrument der Geometrie symbolisiert ein überdimensionaler Zirkel Messbarkeit und Rationalität. Ein geöffnetes Händepaar verbindet die Welt der Natur und der Technik.

Die Vita Josep Renaus war facettenreich. Kunst und Politik, antifaschistisches Engagement und kreatives Schaffen gingen bei ihm Hand in Hand. 1937, während des spanischen Bürgerkriegs beauftragte Renau, damals Direktor für Schöne Künste im Ministerium für Volksbildung und Kunst, ein monumentales Plädoyer gegen den Krieg: Pablo Picassos „Guernica“. Die Flucht vor dem Franco-Regime führte Renau später nach Mexiko, wo er sich für den Muralismo begeisterte. Im Jahr 1958 siedelte er in die DDR über, wo dem Nonkonformisten und Idealisten allerdings ein künstlerischer Durchbruch versagt blieb.

Posthum wird Josep Renau in Erfurt nun die Anerkennung zuteil, die er zu Lebzeiten vermisste. Tobias Knoblich, Dezernent für Stadt und Kulturentwicklung der Stadt Erfurt, sieht den Wiederaufbau des Wandbildes als „wichtiges kulturpolitisches Zeichen“. Er mahnt, nicht pauschal alle Kunst zu verwerfen, die während der „Diktatur des Proletariats“ entstanden ist und fordert stattdessen einen differenzierten Blick auf die Arbeiten von DDR-Künstlern. Ein Blick wie er Philip Kurz, Direktor der Wüstenrotstiftung, ganz offensichtlich zu eigen ist. Er sagte sofort Unterstützung zu, als Thüringens Landeskonservator Holger Reinhardt ihn auf Renaus Werk ansprach.

Da die Baugesetzgebung der DDR vorsah, einen bestimmten Anteil der Bausumme für architekturbezogene Kunst zu verwenden, gab es in Ostdeutschland zahlreiche Gebäude mit Wandbildern. Doch 40 Prozent der Werke sind zusammen mit den Gebäuden zerstört worden. Um so notwendiger ist es, die noch erhaltenen Arbeiten zu bewahren, erkannte Kurz: Mit etwa 800.000 Euro finanzierte die Wüstenrotstiftung etwa 80 Prozent der Aufbereitungskosten des Wandbildes, das – angebracht an einer aufwändigen Sonderkonstruktion des Architekturbüros Spangenberg + Braun – heute unter Obhut der Stadt steht.

Die Publikation „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbildes von Josep Renau in Erfurt,“ dokumentiert die Konstruktion sowie das vorausgegangene mehrjährige Forschungsprojekt über die materialtechnischen Besonderheiten der Fliesen. Die Dokumentation wird ergänzt durch Essays über das Leben Renaus und den sozialistischen Kontext des sozialistischen Umfeldes, in dem das Mosaik entstand. Mit ihm wurde erstmals ein Wandbild aus DDR-Zeiten aufwändig restauriert und kulturgeschichtlich eingeordnet. Einer Zeitkapsel gleich steht die Installation heute wieder vor der Front des Einkaufszentrums am Moskauer Platz. Ein Stück zurückgewonnener Identität für den Ort – und ein neues Leben für Renaus Werk.

Die Publikation können Sie hier kostenfrei bestellen.

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