18.12.2019

Ausstellungen

Vernachlässigt, verblasst, vergessen

Alte Nationalgalerie

Nur zwei Prozent der Exponate in der Alten Nationalgalerie Berlin, die die Kunst des 19. Jahrhunderts repräsentieren will, stammen von Künstlerinnen. Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ gibt nun jeder Künstlerin, die in der Sammlung des Hauses vertreten ist, einen Raum (bis 8. März 2020). Der Anlass zu dieser Schau: Vor genau 100 Jahren konnten die ersten Frauen ihr reguläres Kunststudium an der Berliner Kunstakademie aufnehmen. Für die Ausstellung wurden knapp vierzig Werke untersucht, konserviert, restauriert und neu gerahmt

Die „Bauernkinder“ von Katharina Felder sind kopflos, das „Frauenbildnis“ von Friederike O’Connell ungerahmt und gelbstichig. Malschichten sind nur notdürftig gesichert und auch größere Skulpturen wie die marmorne „Büste meines Vaters“ von Julie Genthe stark beschädigt. Der erbarmungswürdige Zustand der Werke spricht Bände hinsichtlich der Wertschätzung und Würdigung von Künstlerinnen im 19. Jahrhundert. Nur zwei Prozent der Exponate in der Alten Nationalgalerie Berlin, die die Kunst des 19. Jahrhunderts repräsentieren will, stammen von Künstlerinnen. Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ gibt nun endlich jeder Künstlerin, die in der Sammlung des Hauses vertreten ist, einen Raum. Gezeigt werden Gemälde und bildhauerische Werke, mit dem Ziel, den Reichtum weiblichen Kunstschaffens vor 1919 sichtbar zu machen. „Wir stellen mindestens ein Werk von jeder Künstlerin aus, um zu zeigen, wie vielfältig die Kunst von Frauen im langen 19. Jahrhundert war,“ erklärt Yvette Deseyve, Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Skulptur und Plastik in der Alten Nationalgalerie.

So unterschiedlich wie die Exponate sind auch die Lebenswege und Karrieren der Malerinnen und Bildhauerinnen. Einzelnen, wie der ungarischstämmigen Vilma Parlaghy, gelang es, sich zu etablieren und ambivalente Anerkennung ihrer männlichen Kollegen zu erringen: „Jedenfalls kann Vilma Parlaghy für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, kein malendes Frauenzimmer, sondern ein berufener Bildnismaler – und nur dem Geschlechte nach ein weiblicher – zu sein.“ Ralph Gleis, seit 2017 Leiter der Nationalgalerie, erläutert dazu: „Die Aussage, dass eine Frau wie ein Mann male, ist ein durchgängiger Topos in der männlichen Kunstkritik und galt als das höchste Lob, das Künstlerinnen zur damaligen Zeit zugestanden wurde“. Von einer Ausbildung an der Berliner Kunstakademie bis 1919 ausgeschlossen, gingen die Künstlerinnen andere, häufig steinige, Pfade, um sich in Paris, München, an der Berliner Secession oder auf eigene Faust künstlerisch weiterzuentwickeln. Mutig und stark mussten sie allesamt sein, um ihren ungewöhnlichen Lebensweg zu beschreiten. Und so präsentieren sich die Künstlerinnen auch in ihren Selbstporträts: eigenwillig und mit Augenglas Dorothea Therbusch, unprätentiös und wach Marie Spieler, abgeklärt und unangepasst Sabine Lepsius.

„Welchen Beitrag die mutigen Künstlerinnen zum Kunstgeschehen ihrer Zeit geleistet haben“, so Yvette Deseyve, zeigt die Schau in  zwei thematischen Blöcken: einen chronologischen Rundgang durch weibliches Kunstschaffen in einem Zeitraum von 140 Jahren; einen Raum mit Querschnittsthemen, die Teilaspekte im Kampf um Sichtbarkeit beleuchten („Netzwerkerinnnen – der Kampf um Gleichberechtigung“, „Pariser Freiheiten“, „Ausnahme-Talente“, „Verlust: verschollen – verloren – vergessen“, „Mäzenatentum“).

Insgesamt 83 Werke von 33 Malerinnen und 10 Bildhauerinnen aus dem „langen 19. Jahrhundert“, das von der französischen Revolution und dem Klassizismus bis zum Ersten Weltkrieg und Expressionismus dauerte, gehören zur Sammlung der Nationalgalerie.  Die allermeisten lagerten im Depot. Für die Ausstellung wurden 37 Werke untersucht, konserviert, restauriert und neu gerahmt. Möglich wurde dies erst durch die großzügige Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Die exemplarische „Vorher-Nachher“-Dokumentation macht deutlich, wie kunstfertig und umfangreich die Restaurierungsarbeiten ausfielen. Dank dieser sind die Werke wieder in ihrer Gesamterscheinung lesbar, ausstellungsfähig und können für eine fundierte kunsthistorische Neubewertung der Malerinnen und Bildhauerinnen herangezogen werden.

Doch ist die Schau nur ein Etappensieg im weiblichen „Kampf um Sichtbarkeit“ und vieles bleibt zu tun. Als zukünftige Aufgabe sollte daher weiblichem Kunstschaffen weiter die lang vermisste Wertschätzung und Präsenz zuteilwerden: durch eine Sammlungsstrategie, die ergänzt und dokumentiert, durch Restaurierung und angemessene Präsentation – um den weiblichen Blick auf die Welt sichtbar zu machen.

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