15.11.2021

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Über die technischen Aspekte der Hinterglasmalerei

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Die Ausstellung „hinter GLAS gemalt“ (bis Juli 2021) im Museum Penzberg – Sammlung Campendonk konzentrierte sich erstmals überhaupt auf die technischen Aspekte der Hinterglasmalerei und präsentierte anschaulich und faktenreich neue Erkenntnisse in Maltechnik und Materialanalyse

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Diana Oesterle und Simone Bretz während der Untersuchung eines Hinterglasbildes von Etienne Cournault (1891–1948) mit seinem Enkel Abel Oshio. Foto: Franz Kemser, Mittenwald

Hinterglasmalerei als eigene Werkgruppe in der Klassischen Moderne?

Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte das Malen hinter Glas eine bedeutungsvolle Wiederentdeckung: Paul Klee beschäftigte sich bereits 1905 mit der Technik. Wassily Kandinsky, Heinrich Campendonk, Lily Hildebrandt, Oskar Schlemmer oder Walter Dexel experimentierten neben vielen anderen ebenfalls mit ihr. Dabei ist diese Art der Malerei durchaus anspruchsvoll, muss doch der Künstler beim Auftragen der Farbe bedenken, dass das Ergebnis später seitenverkehrt erscheint. Die Verzierung einer Hinterglasmalerei erfolgt immer im umgekehrten Malprozess: Die oberste, durch das Glas sichtbare Schicht wird zuerst aufgebracht, der Bildhintergrund zuletzt. Das Ergebnis auf der Schauseite ist somit spiegelverkehrt zur Komposition auf der Rückseite. Die Ausstellung „hinter GLAS gemalt. Geheimnisse einer Technik“ im Museum Penzberg – Sammlung Campendonk (bis Juli 2021) konzentrierte sich erstmals überhaupt auf die technischen Aspekte der Hinterglasmalerei und präsentierte anschaulich und faktenreich neue Erkenntnisse in Maltechnik und Materialanalyse.

Bereits aus der 2017 erfolgten Beschäftigung mit den Hinterglasbildern Heinrich Campendonks und dem Vorlegen eines Werkverzeichnisses erwuchs der Wunsch, diese Technik und ihre Protagonisten noch intensiver zu erforschen. Dreieinhalb Jahre lang, von 2015 bis 2019, hatte das Museum Penzberg – Sammlung Campendonk die Projektleitung des von der VolkswagenStiftung geförderten, multidisziplinären Forschungsprojektes „Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905 – 1955“ inne. Erstaunliches wurde innerhalb von zwei Dissertationen im kunst- sowie im naturwissenschaftlichen Bereich zu Tage befördert. „Die Hinterglasmalerei in der Klassischen Moderne ist nicht mehr länger ein Randphänomen, sondern muss künftig als eigene Werkgrupe betrachtet werden“, so Diana Oesterle, Leiterin des Museums. An ihrer Seite waren die Garmischer Restauratorin Simone Bretz, eine renommierte Expertin für Hinterglasbilder, das Bundesamt für Materialforschung BAM in Berlin sowie das Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München beteiligt.

Restauratorin Simone Bretz, die renommierte Expertin für Hinterglasbilder, mit im Forschungsteam

Es wurden 66 Hinterglasbilder im Detail untersucht. Ziel des Projektes war es, ein umfassendes Bild über die Verbreitung der Technik, ihrer Materialien und Maltechniken im 20. Jahrhundert zu zeichnen. Im Vorfeld wurden Fragebögen zur Erfassung der Bestände an Hinterglasbildern an über 200 nationale und internationale Museen versendet. „Waren bis dahin gut 400 Bilder von 34 Künstlern, die sich mit dieser Technik beschäftigten, bekannt, so wissen wir heute von 129 Malern und an die 1.300 Werke“, resümiert Oesterle. Die Umfrage förderte ein umfangreiches Spektrum an bislang unbekannten, meist in Depots vor sich hin schlummernden Werken in ganz Europa zu Tage. Da die Exponate äußerst fragil sind, waren oft lange und vertrauensbildende Korrespondenzen nötig, bis Sammler:innen und Museen bereit waren, ihre Schätze für die Forschungstätigkeit und nun diese Ausstellung herzugeben.

Im Video finden Sie Erklärungen zu den kunsttechnologische Untersuchungen:

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In dreizehn Ausstellungskapiteln, darunter „Öl- und Gouachefarbenmalerei“, „Radierung“, „Verspiegelung“ oder „Glastechnik“, werden den modernen und zeitgenössischen Werken historische Vorläufer des 18. und 19. Jahrhunderts gegenübergestellt. Grundsätzlich blieb die Herstellung von Hinterglaswerken über Jahrhunderte hinweg gleich, geändert haben sich jedoch Motive, technische Experimente und Malmat­erialien. Der Ausblick auf zeitgenössische Hinterglasmaler:innen verdeutlicht die Aktualität der Technik. Vorläufer der Hinterglasmalerei sind bereits zu Zeiten des ägyptischen Pharaos Tutanchamuns, um 1330 v. Chr. zu finden.

Gezeigt wird auch eine im 18. Jahrhundert entstandene Hinterglasmalerei aus dem Museum Oberammergau. Wassily Kandinsky und Franz Marc wählten 1912 dieses Spiegelbild für den Almanach „Der Blaue Reiter” aus, wo es neben neun weiteren Hinterglaswerken abgebildet wurde. Die rückseitige Bemalung einer Glastafel ohne einen Entwurf ist nur schwer vorstellbar. Eine Vorzeichnung oder ein Riss diente traditionellerweise dem Maler, ein Bildgerüst anzulegen, an dem er sich während des Malprozesses orientieren konnte. Vorlagen wurden direkt unter das Glas gelegt und nachgezeichnet. Für eine abstrahierte Version wurden die Vorlagen zu einem Riss umgearbeitet. Hierunter ist eine mit meist Tusche oder Bleistift gezeichnete zweidimensionale Vorlage auf Papier in vereinfachter Konturumrandung zu verstehen. Als erste aus dem Kreis des „Blauen Reiter” ließ sich Gabriele Münter bei dem Murnauer Hinterglasmaler Heinrich Rambold in der Technik unterweisen. Der traditionellen Darstellungsweise näherte sie sich durch das Kopieren historischer Vorlagen. Ab 1909 entwickelte sie eigene Sujets, darunter auch Porträts und Landschaften. In den 1920er-Jahren kehrte Gabriele Münter nach ihrem Exil in Dänemark und Schweden nach Murnau zurück und griff hier die vertraute Technik wieder auf.

Lesen Sie weiter in der RESTAURO-Ausgabe 6/2021.

Lesen Sie hier mehr zur Neupräsentation der Sammlung Blauer Reiter der städtischen Galerie Lenbachhaus in München.

 

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