Die vier Schlösser Linderhof, Neuschwanstein, Neues Schloss Herrenchiemsee und Schachenhaus entstanden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und spiegeln die Träume und Vorstellungen von König Ludwig II. von Bayern (1845–1886) wider. Anders als anderen Herrschenden der Zeit wünschte er, dass sie nur ihm persönlich zur Verfügung standen. Sie dienten weder politischen noch dynastischen Statements. Eine weitere Besonderheit war, dass er es sich nicht nehmen ließ, aktiv an den Planungen teilzunehmen, und auch das letzte Wort lag bei ihm. So kam es vor, dass beispielsweise, obwohl der Rohbau schon stand, in Neuschwanstein noch massive Veränderungen am Thronsaal auf Befehl des Königs durchgeführt werden mussten. Seine Änderungswünsche in Bezug auf die Größe des Thronsaals stellten die Baumeister vor Herausforderungen, da die Positionen der tragenden Säulen nun nicht mehr passten. Aber auch bereits fertigestellte Gebäudeteile oder teure Spezialausstattungen waren nicht vor den Änderungswünschen des Monarchen gefeit.
Weltweite Faszination
Für Ludwig II. schien eine finale Fertigstellung seiner Bauten, die auch längerfristig bestehen, nicht unbedingt ausschlaggebend gewesen zu sein. Jährlich besuchen Millionen die Schlösser, die Ludwig erbauen ließ. Ob Dr. Alexander Wiesneth, Referatsleiter für historische Bauforschung, Denkmalpflege und UNESCO-Welterbe von der Bayerischen Schlösserverwaltung manchmal ein schlechtes Gewissen habe, weil nun doch viele Besucherinnen und Besucher jährlich in die Schlösser kämen und man dem Wunsch des „Kini“ nun nicht entspräche? Das verneint er, denn die Schlösser seien seit fast 140 Jahren in der öffentlichen Hand. Sie stelle die finanziellen Mittel zur Verfügung, leiste sich eine Schlösserverwaltung und trage auch dafür Sorge, dass die Bauten erhalten bleiben. Daraus entstehe dann aber auch die Verpflichtung, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zudem betont er, dass nur ein lebendiges Denkmal eins sei, das auch wertgeschätzt werden würde. Und vielleicht hätte es Ludwig II. dann doch gefreut zu sehen, welche weltweite Wertschätzung die Schlösser genießen und wie begeistert die Menschen reagieren, wenn sie sie sehen. Für viele Besucherinnen und Besucher sind die Bauwerke wohl schon einzigartig, aber welches sind die Kriterien, die die Schlösserverwaltung bei der UNESCO, die Einzigartigkeit und Universalität fordert, anführt?
Traumwelten und Inszenierungen
Um seine Träume bauen zu können, griff Ludwig nicht nur auf die höfischen Bauleute und Architekten zurück, sondern auch auf Bühnenbildner, Maler und Dekorateure. Bisweilen trieb er sie auch in die Verzweiflung mit seinen Vorstellungen und steten Anpassungs- und Änderungswünschen. Im Vergleich zu seinen Mitregentinnen und -regenten engagierte sich der König sehr stark bei den Planungsarbeiten seiner Architekten, und ihm oblag die letztendliche Entscheidung, wie gebaut wurde. Dabei ließ er die vitruvianischen Funktionen Firmitas (Stabilität), Utilitas (Zweckmäßigkeit) und Venustas (Anmut) in der Regel außer Acht. Während andere zeitgenössische Schlossbauten des Historismus insbesondere der Repräsentation dienten und dynastische Zwecke erfüllten, begab sich Ludwig mit seinen Bauten in Traumwelten. In diesen Welten träumte er sich in ferne Länder früherer Epochen oder auch in Märchen-, Opern- und Theaterwelten. Explizit ausgeschlossen waren dagegen Besichtigungen, die damals durchaus üblich waren.
Traumhafte Kulissen
Es ist festzuhalten, dass die von König Ludwig erbauten Schlösser nicht nur als reine Historismusbauten zu betrachten sind, was auch ihre Besonderheit ausmacht. Vielmehr muss man sie als Teil des im 19. Jahrhundert aufkommenden Phänomens der Inszenierung sehen. Zugleich spiegeln sie auch die Technikbegeisterung der Epoche wider, wenn beispielsweise in der Venusgrotte im Park von Schloss Linderhof mittels Licht- und Toninstallation sowie künstlich erzeugter Wellen die Illusion der blauen Grotte von Capri erschaffen wird oder, bei anderer Beleuchtung, die Venusgrotte im Hörselberg aus Richard Wagners „Tannhäuser“. Dr. Alexander Wiesneth von der Bayerischen Verwaltung der Schlösser, Seen und Gärten ergänzt: „Gewissermaßen kann man auch schon eine Ahnung der Entwicklung der frühen Filmindustrie im 20. Jahrhundert bekommen. Auch dort wurde ein massiver Aufwand betrieben, um Kulissen zu schaffen, bei denen alle dekorativen Künste in Anspruch genommen wurden. Zudem sammelte Ludwig II. ähnlich wie ein Filmregisseur Ideen und Inspirationen.“ Er gibt auch zu bedenken, dass die Traumwelten, die dort geschaffen wurden, für die wenigen Besucherinnen und Besucher absolut überwältigend gewesen sein müssen. Das funktioniere sogar heute noch, wenn man sich darauf einließe.
Gesamtkunstwerk im Sinne Wagners
Ludwig II. schickte seine Berater auf Reisen, um Abbildungen und Fotografien von verschiedensten Orten zu erhalten, man kann sie fast ein wenig mit Filmlocationscouts vergleichen, so Wiesneth. Zudem las der Monarch viele Bücher, um sich mit vergangenen Epochen auseinanderzusetzen und so Ideen für seine Bauten zu sammeln. Als weitere Inspirationsquellen dienten dem König neben den von ihm außerordentlich geschätzten Opern Wagners auch Weltausstellungen oder Bauten, die den sogenannten imaginären Reisen dienten. Dabei handelte es sich um (ephemere) Bauten, die es den Besucherinnen und Besuchern ermöglichten, in fremde und ferne Länder, an entlegene Orte, wie zum Beispiel den Mond, oder auch in andere Epochen zu reisen. Der Monarch adaptierte diese frühen Vorläufer von Vergnügungsparks zum Teil auch in den Gärten seiner Schlösser. So kaufte er einen Pavillon im maurischen Stil an, der zuvor bei der Weltausstellung in Paris (1867) zu sehen war. Er stattete den sogenannten Maurischen Kiosk unter anderem mit einem Thron, der mit bronzenen Pfauen verziert ist, aus. Dort pflegte er zu lesen, und seine Dienerschaft wurde zu Statistinnen und Statisten einer Inszenierung, indem sie in orientalisch anmutenden Kostümen Tabak rauchend und Mokka trinkend auf Diwanen lagerten. Natürlich ist dabei zu beachten, dass die europäischen Vorstellungen des Orients zum Tragen kamen. Ludwig II. träumte sich aber auch in vergangene Epochen; so sind in den Schlössern auch Verweise auf die Zeit von König Ludwig XIV. (1638–1715) von Frankreich zu finden. Das geht sogar so weit, dass Räume aus Schloss Versailles originalgetreu nachgebaut wurden. Daher kann man beispielsweise in Schloss Herrenchiemsee auch noch die berühmte Versailler Escalier des Ambassadeurs (Gesandtentreppe) besichtigen, die Ludwig XV. (1710–1774) zugunsten neuer Wohnräume abbrechen ließ. Ludwig II. ließ in seiner Fantasie und mit seinen Bauten diese Epochen wieder auferstehen. Man kann im Falle von den Schlössern also durchaus von einem Gesamtkunstwerk im Wagnerschen Sinne sprechen, denn es werden die Künste Musik, Dichtung, Malerei, Bühnenbild und Schauspiel auf gewisse Art und Weise vereint. Das ist sicher auch ein Aspekt der Einzigartigkeit der Schlösser.
Können Träume wahr werden?
Mit einer jährlichen Besucherzahl von über 1,5 Millionen im Jahr 2023 zählten die vier Schlösser Neuschwanstein, Linderhof, Herrenchiemsee und Schachenhaus, die König Ludwig II. von Bayern erbauen ließ, zweifelsohne zu den Besuchermagneten in Deutschland. Dr. Alexander Wiesneth weist auf die besondere Verpflichtung hin, ein Welterbe als Ganzes für die Menschheit zu erhalten und es zugänglich zu machen. Er betont auch, dass er immer wieder feststellt, dass Menschen aus allen Kulturkreisen von den Schlössern angesprochen werden. Das zeigt in seinen Augen auch, dass die Bauwerke dem Kriterium nach einem universellen, außergewöhnlichen Wert entsprechen, so wie es die UNESCO fordert. Die Fachwelt hingegen reagiert bisweilen ablehnend und tut die Bauten als typische Machwerke des Historismus ab, der keine stilistischen Neuerungen gebracht habe. Auch die Faszination, die von Ludwig und seinen Bauten auf die Besuchenden ausgeht, dürfte ein Grund dafür sein, dass sich Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker lange Zeit nicht mit den Schlössern beschäftigten. Um aber auf die sogenannte Tentativliste der UNESCO zu gelangen, bedarf es einer fundierten Darlegung darüber, was das Bauwerk einzigartig macht, und zugleich wird auch der Nachweis darüber verlangt, dass es einen bedeutenden Wert für die Menschheitsgeschichte darstellt. Zudem ist ein Antrag mit vielen Hürden verbunden. Dr. Wiesneth erzählte uns dazu, dass es neben einem strengen Reglement, wie die Nominierungen bearbeitet werden, auch noch weitere Hürden zu nehmen gilt. Die Schlösser stehen beispielsweise bereits seit 2015 auf der deutschen Tentativliste. Mit Listenplatz zehn belegen sie allerdings den letzten Rang, was bedeutet, dass zunächst andere Bewerber berücksichtigt und bei der UNESCO in Paris vorgeschlagen werden.
Überfüllte Schlösser
Des Weiteren mussten auch die betroffenen Gemeinden mit ins Boot geholt werden. Gerade in der Gemeinde Schwangau gab es Bedenken, dass noch mehr Besucherinnen und Besucher das Schloss Neuschwanstein besichtigen würden. Zudem bestand die Sorge, dass durch den Titel auch Einschränkungen für die Entwicklung der Gemeinde hinzukämen. Daher wurde ein Bürgerentscheid abgehalten, in dessen Vorfeld es auch zwei Fragestunden für die Bürgerinnen und Bürger gab. Letztendlich konnten aber die Bedenken, dass durch den Titel noch mehr Menschen den Ort besuchten – zumindest für Schloss Neuschwanstein – aus dem Weg geräumt werden. Denn gerade dieses Schloss genießt eine immense weltweite Bekanntheit. Bei einer Befragung von Besuchenden durch die Fraunhofer-Gesellschaft und die Bayerische Schlösserverwaltung zeigte sich, dass ein Großteil bereits davon ausging, dass sie ein UNESCO-Welterbe besuchen. Zudem einigte man sich auch darauf, dass die Besucherzahlen mithilfe von stärkeren Begrenzungen der maximalen Gruppengröße reglementiert werden sollten. Gerade das Online-Ticketing ermöglicht es, die Ströme an Besuchenden zu leiten und sie über das ganze Jahr zu verteilen. Solche Maßnahmen dienen letztendlich auch dem Schutz der Objekte, die durch eine zu große Besucherlast in Mitleidenschaft gezogen werden können. Zudem betont Wiesneth, dass die Vorgaben der UNESCO zum Schutz der Welterbestätten eine freiwillige Verpflichtung seien. Auch bedeute der Titel nicht, dass keinerlei Raum für Entwicklungen im Ort möglich ist. Nachdem die Schlösserverwaltung diese Bedenken im letzten Jahr ausräumen konnte, stellte Deutschland Anfang dieses Jahres bei der UNESCO den Antrag. Auf die Frage, welche besonderen Herausforderungen oder Veränderung der Titel mitbringe, erläuterte Wiesneth, dass das deutsche und insbesondere das bayerische Denkmalschutzgesetz die Maßgaben sowieso schon erfüllten.
Auf dem Weg zum Welterbe
Anders als in Schloss Neuschwanstein sei es auch vorstellbar, dass das Neue Schloss auf Herrenchiemsee höhere Besucherzahlen dank des Titels belich auch dem Schutz der Objekte, die durch eine zu große Besucherlast in Mitleidenschaft gezogen werden können. Zudem betont Wiesneth, dass die Vorgaben der UNESCO zum Schutz der Welterbestätten eine freiwillige Verpflichtung seien. Auch bedeute der Titel nicht, dass keinerlei Raum für Entwicklungen im Ort möglich ist. Nachdem die Schlösserverwaltung diese Bedenken im letzten Jahr ausräumen konnte, stellte Deutschland Anfang dieses Jahres bei der UNESCO den Antrag. Auf die Frage, welche besonderen Herausforderungen oder Veränderung der Titel mitbringe, erläuterte Wiesneth, dass das deutsche und insbesondere das bayerische Denkmalschutzgesetz die Maßgaben sowieso schon erfüllten. Anders als in Schloss Neuschwanstein sei es auch vorstellbar, dass das Neue Schloss auf Herrenchiemsee höhere Besucherzahlen dank des Titels bekommen könnte. Man habe zudem einen Managementplan erstellt. Der Managementplan zeige die geplanten Maßnahmen zum Erhalt der Schlösser auf, die zum Teil besondere Herausforderungen darstellen. Insbesondere Schloss Linderhof, das sich in einer hochalpinen Umgebung mit im Sommer starken Temperaturschwankungen befindet, ist dabei herausfordernd in der Pflege. Konkret geplant für das nächste Jahr sei die Wiedereröffnung der Venusgrotte, und man sei auch schon an den Planungen für Maßnahmen am „Maurischen Kiosk“. Zudem plane man auch im Falle der Titelerlangung, sich einmal jährlich mit den betroffenen Gemeinden auszutauschen. Jetzt heißt es abwarten in der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Die Begutachtungsphase dauert nun bis zum kommenden Jahr an, und dann weiß man Mitte nächsten Jahres, ob Träume wahr werden.