01.01.2016

Projekte

Die Stunde Null

Foto: Andreas Endermann

Am Rande der Diskussionsrunde „Palmyra – Nepal – Timbuktu: Kulturgut in Gefahr“ im Dezember 2015 in Düsseldorf berichteten Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts und Professorin am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin und Ibrahim Salman, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, über die aktuelle Situation in den Krisengebieten und über die notwendigen Maßnahmen für die Zeit nach Krieg und Terror

Wie nehmen Sie die Zerstörungen durch den IS wahr und wie können Sie reagieren?
Friederike Fless:
Die Bilder der Zerstörungen und die propagandistischen Inszenierungen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien und im Irak haben uns alle aufschrecken lassen. Wir sehen uns stärker als bisher in der Verpflichtung, etwas zu tun, was vor Ort wirksam wird. Gleichzeitig wird man mit jedem Interview und jedem Bericht Teil der Propaganda des IS. Die Analysen taggenauer Satellitenbilder haben gezeigt: Erst wurde die Zerstörung vom IS angekündigt und, wenn dann die internationale Öffentlichkeit aufgeschrien hat, hat der IS begonnen, die Denkmäler zu zerstören.

Wie ist die Situation in Syrien derzeit in Bezug auf Kulturgüter, Welterbestätten und Museen?
Ibrahim Salman:
In den ruhigen Gebieten, also zum Beispiel in Damaskus, funktionieren die überlieferten Strukturen. Ein Austausch mit der Antikenverwaltung ist möglich und Museen und Denkmäler sind hier relativ in einem guten Zustand. Aus den umkämpften Gebieten erreichen uns wenige Nachrichten. Aber wir ahnen, dass die kämpfende Opposition mit den Denkmälern nicht sorgsam umgeht. Die unter der Kontrolle des IS stehenden Gebiete bilden die schlimmste Zone. Der IS führt systematisch Raubgrabungen durch, die natürlich alle wissenschaftlichen Aspekte ignorieren und nur der Finanzierung ihres Terrorregimes dienen. Er zerstört Kulturgüter, die nicht in ihre Ideologie passen und vermint Grabungsstätten und Monumente.

Können Sie uns ein Beispiel geben?
Salman:
Walid al As’ad, der Sohn des vom IS ermordeten Antikendirektors in Palmyra, Khaled al As’ad, hat die Nachfolge seines Vaters angetreten und berichtete, dass Leute vom IS zu ihm kamen. Vordergründig wollten sie etwas über eine Löwenstatue an der Museumsmauer erfahren. Doch sie wussten schon alles und haben die vermeintliche Götzenstatue zerstört. So schlimm ist die Situation!

Ideologisch motivierte Zerstörungen, Raubgrabungen und illegaler Handel – welchen Handlungsspielraum hat die syrische Antikenverwaltung?
Fless:
Maamoun Abdulkarim, der Generaldirektor der Antikenverwaltung in Damaskus, hat im Sommer dem Berliner Tagesspiegel ein Interview über die verzweifelte Situation in seinem Land gegeben. Gegen die Zerstörung und den illegalen Handel mit geraubten Objekten arbeiten wir aber auch gemeinsam an. Wir erstellen gemeinsam Denkmalregister, die es erlauben schnell zu reagieren, und Stücke zu identifizieren, wenn es Hinweise zu einem am Markt angebotenen Stück gibt. Die Sensibilität im Umgang mit Antiken hat seit Beginn des Bürgerkrieges immer weiter zugenommen. Der Zusammenhang, mit dem Kauf solcher Stücke den Terror des IS zu unterstützen, ist bekannt. Die moralische Hemmschwelle, illegal angebotene Antiken zu erwerben, ist deutlich gewachsen.
Salman: Vor einiger Zeit hat die Antikenverwaltung alle beweglichen Objekte aus Palmyra und aus anderen Gebieten nach Damaskus verbracht. Der Generaldirektor berichtete von 20 bis 30.000 Objekten. Die Mitarbeiter der DGAM sind eigentlich gut in der Lage, ihre Arbeit zu tun, haben jedoch derzeit Schwierigkeiten, angemessen schnell zu reagieren. Sie brauchen Hilfe für die Inventarisation und Dokumentation. Wir haben dazu Mitarbeiter der Antikenverwaltung nach Berlin eingeladen.

Und im Irak – wie ist die Lage dort?
Salman:
In den ruhigen Gebieten des Südirak sind Forschungsprojekte, auch mit ausländischer Beteiligung, möglich. Wir selbst vom DAI waren unter der Leitung von Frau Dr. Margarete van Ess im vergangenen Monat im Südirak und haben in Kooperation mit der irakischen Antikenverwaltung ohne Probleme einen Survey durchgeführt. Die Kollegen haben seit den 1990er Jahren wenig Möglichkeit gehabt, an moderne Techniken und neue wissenschaftliche Methoden heranzukommen und benötigen jetzt Fortbildungen und Unterstützung in der Grabungstechnik, der Dokumentation und der Archivierung. Das kurdisch-irakische Gebiet im Norden ist ruhiger. Aus dem vom IS besetzten Nordwesten erfahren wir nichts.
Fless: Man darf den Rest nicht übersehen: Auch im Jemen sind durch die Bombardierungen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition schon viele Welterbestätten zerstört worden wie in Sanaa. Zahlreiche antike Stätten sind Kollateralschäden von Kampfhandlungen stark beschädigt.

Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie im Deutschen Archäologischen Institut?
Salman:
Seit mehr als zwei Jahren erarbeitet das DAI das Syrian Heritage Archive Project. Darin werden alle Ergebnisse von deutschen Ausgrabungen auf syrischem Gebiet systematisch erfasst, also Dokumentationen, Zeichnungen usw. Die Antikenverwaltung in Damaskus hat ein ähnliches System zur Archivierung. Wir haben einen gemeinsamen Workshop abgehalten, um den Datenaustausch voranzutreiben. Das ist auf einem guten Weg.

Fless: Und wir haben uns dazu entschlossen, ein Projekt „Die Stunden Null – eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ zu starten. Es geht darum, dass nach Deutschland oder in die Anrainerstaaten geflüchtete Syrer und Iraker, den Wiederaufbau ihrer Städte, ihres kulturellen Erbes planen. Sie sollen dabei auch an Plätzen im Libanon, in Jordanien und in der Türkei erlernen, wie man Denkmäler konserviert und restauriert. Es geht also um das gemeinsame Erarbeiten von Plänen zum und es geht um das Erlernen jener Fertigkeiten, die man dafür braucht.

Was konkret kann ein syrisches Netzwerk in Deutschland jetzt für Syrien tun?
Fless:
Für die Zeit nach Krieg und Terror muss man sich jetzt zahlreiche grundlegende Fragen stellen. Bewahrt man das Layout von Strassen und Gassen in Altstädten, rekonstruiert man markante Straßenzüge oder baut nur einzelne Monumente wieder auf und gibt für andere Bereiche nur grobe Vorgaben. In Deutschland wurden nach dem 2. Weltkrieg ähnliche Entscheidungen getroffen. Und heute können wir in der Rückschau sagen, was aufgegangen ist und was weniger gelungen ist. Von diesen gelungenen und misslungenen Beispielen können sie syrischen Kollegen lernen, denn sie sind es, die diese Entscheidungen treffen müssen. Ich hoffe, dass die syrischen Kollegen möglichst bald in ihrer Heimat tätig werden können. Dann sollten sie aber bereits Pläne in der Tasche haben und sie sollten nicht ohnmächtig vor den Schutthaufen zerstörter Städte stehen.

Gibt es noch andere Beispiele für konkrete Hilfen aus Deutschland?
Fless:
Ja, zum Beispiel hat die Universität Cottbus mit der Helwan-Universität Kairo einen Studiengang „Heritage Conservation and Site Management“ ins Leben gerufen. Der erste Jahrgang wurde gerade graduiert. Und auch in Ägypten gibt es viele syrische Flüchtlinge, die als in einen solchen Studiengang integriert werden sollten, um Lösungswege zu finden. Unser Ideal ist es, am Ende eine Art „best practice manual“, einen Leitfaden an der Hand zu haben. Wir stehen auch im Kontakt mit Einrichtungen im Libanon und in Jordanien. Zusammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst planen wir einen Studiengang zur Restaurierung/ Konservierung in Nachkriegssituationen an der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman. Wir wollen die jungen Leute darin ausbilden, wie mit Zerstörungen umzugehen ist. Das ist das zentrale Thema dieses Abends. Übrigens ja auch für Nepal, das im Frühjahr 2015 von einer Naturkatastrophe erschüttert wurde. Wissenschaftler sind nicht unbedingt ausgebildet, vor einer zerstörten Stadt stehend genau zu wissen, was man als erstes tut, was wieder aufgebaut werden kann oder beseitigt werden muss. Hier wollen wir helfen.

 

Zu den Ergebnissen der Tagung lesen Sie den Beitrag von Heike Schlasse in der aktuellen RESTAURO.

 

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