Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben vier Werke aus ihrem Bestand an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben. Grundlage dieser Restitution sind die Ergebnisse der Provenienzforschung, die in der neu gegründeten Staatlichen Museumsagentur Bayern verankert ist. Die Rückgaben stehen im Zusammenhang mit der systematischen Aufarbeitung von Erwerbungen aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Laut Mitteilung betrifft die Restitution die Gemälde „Lot und seine Töchter“ und „Abraham bewirtet die drei Engel“ von Franz Sigrist d. Ä., „Am Wirtshaustisch“ von Ernst Karl Georg Zimmermann sowie „Hl. Anna Selbdritt“ aus dem Umkreis Lucas Cranach d. Ä. Ein weiteres Werk, „Junges Mädchen mit Strohhut“ von Friedrich von Amerling, wird dem Schiedsgericht NS-Raubkunst zur Entscheidung vorgelegt. Damit soll in einem komplexen Fall eine unabhängige Klärung erfolgen.
Schiedsgericht soll entscheiden
Kunstminister Markus Blume betonte im Zusammenhang mit den Restitutionen die Bedeutung der Aufarbeitung des NS-Unrechts sowie die Zielsetzung von Transparenz und Tempo bei der Provenienzforschung. Er sagte dazu: „Mit der Rückgabe dieser vier Werke können wir das grausame Unrecht an den Eigentümern nicht heilen. Aber wir können damit den Versuch der Wiedergutmachung in Richtung der Opfer unternehmen und ein Zeichen setzen: Wir arbeiten intensiv an der Aufarbeitung des NS-Unrechts – seit diesem Frühjahr mit mehr Tempo, mehr Transparenz und mehr Ergebnissen“. Der neue Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Anton Biebl, stellte heraus, dass die Institution Wert auf nachvollziehbare Entscheidungen nach internationalen Standards lege. Durch das Schiedsgericht solle im Fall Amerling zudem eine unabhängige Instanz einbezogen werden.
Restitution an die Erben der Kunsthandlung Brüder Lion
Zwei der restituierten Werke von Franz Sigrist d. Ä. wurden an die Erben der ehemaligen Münchner Kunsthandlung Brüder Lion zurückgegeben. Diese Werke gelangten 1936 in den Bestand der Staatsgemäldesammlungen, kurz bevor die Galerie unter dem Druck der nationalsozialistischen Behörden schließen musste. Die Kunsthandlung Brüder Lion, gegründet 1888, gehörte in den 1920er-Jahren zu den führenden Galerien Münchens. Mit der Machtübernahme 1933 wurde die Geschäftstätigkeit schrittweise eingeschränkt, bis die Schließung 1936 erfolgte.
Restitution im Fall Zimmermann
Das Gemälde „Am Wirtshaustisch“ von Ernst Karl Georg Zimmermann wurde nach proaktiver Erforschung restituiert. Es stammt aus dem Besitz des Münchner Kunsthändlers Bertold Jochsberger, der durch die Verfolgung der Nationalsozialisten sein Eigentum verlor. Auch wenn nicht alle Eigentumsstationen eindeutig rekonstruiert werden konnten, wurde eine Restitution beschlossen.
Restitution im Fluchtgutfall: „Hl. Anna Selbdritt“
Bei dem Werk „Hl. Anna Selbdritt“ aus dem Umkreis von Lucas Cranach d. Ä. wurde ein sogenannter Fluchtgutfall festgestellt. Der jüdisch verfolgte Bankdirektor Ernst Magnus verkaufte das Gemälde in der Schweiz, um die Flucht seiner Familie zu finanzieren. Die Restitution erfolgte nach Anwendung des 2024 verabschiedeten Bewertungsrahmens, der solche Fälle stärker berücksichtigt.
Schiedsgericht NS-Raubkunst
Im Fall des Amerling-Gemäldes „Junges Mädchen mit Strohhut“ konnten unterschiedliche Einschätzungen nicht aufgelöst werden. Die Staatsgemäldesammlungen gehen von einem rechtmäßigen Erwerb aus, während die Antragsteller einen verfolgungsbedingten Verlust annehmen. Die endgültige Entscheidung soll daher durch das Schiedsgericht NS-Raubkunst erfolgen, das eine unabhängige Bewertung sicherstellen soll. Minister Blume äußerte zum Schiedsgerichtsverfahren sich wie folgt:„Die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit noch in diesem Jahr wird die Aufarbeitung weiter voranbringen und für einen rechtssicheren und gerechten Abschluss von strittigen Fällen sorgen. Bayern hat sich mit Vehemenz für die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit eingesetzt und wird solche Fälle selbstverständlich dieser Instanz vorlegen, wenn die anderen Beteiligten zustimmen.“
Bedeutung der Provenienzforschung
Seit Juli 2025 ist die Provenienzforschung in der Staatlichen Museumsagentur Bayern angesiedelt. Aufgabe dieser Forschung ist die systematische Aufarbeitung der Herkunftsgeschichten, insbesondere im Hinblick auf Erwerbungen aus der NS-Zeit. Im Fall der Kunsthandlung Brüder Lion gestaltete sich die Rekonstruktion aufgrund fehlender Unterlagen besonders schwierig. Dennoch konnte durch intensive Recherchen eine Grundlage für die Restitution geschaffen werden. Darüber hinaus bereiten die Staatsgemäldesammlungen und die Museumsagentur die Rückgabe weiterer acht Werke vor.
Die aktuellen Restitutionen werden von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen als Teil einer langfristigen Strategie dargestellt, die auf Transparenz, internationale Standards und wissenschaftliche Fundierung setzt. Durch die Rückgaben an die Erben der Kunsthandlung Brüder Lion, an die Nachkommen von Bertold Jochsberger sowie an die Erben von Ernst Magnus werden unterschiedliche Fallkonstellationen berücksichtigt – von erzwungener Geschäftsaufgabe über verfolgungsbedingten Verlust bis hin zu Fluchtgut. Die Restitution der vier Gemälde und die bevorstehende Entscheidung des Schiedsgerichts im Fall Amerling verdeutlichen die Rolle der Provenienzforschung als zentrales Instrument der Aufarbeitung.
Weiterlesen: Gilbert Lupfer, Vorstand des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste über die Arbeit der Stiftung.
