05.01.2015

Museum

Phonographierte Klänge

Foto: Restauro

Phonograph? Wachswalzen? Galvanos? Die Ausstellung „Phonographierte Klänge – Photographierte Momente“ im Ethnologischen Museum in Berlin beeindruckt mit einzigartigen Ton- und Bilddokumenten aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg. Die Tonaufnahmen sind häufig die ältesten historischen Aufnahmen von Sprachen weltweit, die Forschungsergebnisse stoßen deshalb schon auf großes Interesse der Wissenschaft.

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Ethnologischen Museum, Abteilung Musikethnologie, Medien-Technik und Berliner Phonogrammarchiv, und dem Museum Europäischer Kulturen und präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das von Dr. Susanne Ziegler vom Berliner Phonogramm-Archiv initiiert wurde. Ziel des DFG-Projektes, das von 2013 bis Juli 2015 läuft, ist die Digitalisierung und Online-Zugänglichmachung der bislang größtenteils unerforschten Musikaufnahmen der Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs. Mit über 1.000 Wachwalzen ist diese Sammlung die größte Wachswalzensammlung des Berliner Phonogramm-Archivs.

Die Wachswalzenaufnahmen wurden zwischen 1915 und 1918 von der Phonographischen Kommission in den deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg gemacht. Da England und Frankreich ihre Heere auch aus ihren Kolonien rekrutierten, setzten sich auch die Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg aus Gefangenen vieler unterschiedlicher Herkunftsländer zusammen. Hier bot sich den Wissenschaftlern die Möglichkeit, „fremde“ Kulturen kennenzulernen, unterschiedliche Sprachen und Dialekte zu hören und mit Ton und Bild zu dokumentieren. Diese Wachswalzen befinden sich heute in der Abteilung Musikethnologie, Medien-Technik und Berliner Phonogrammarchiv des Ethnologischen Museums in Berlin. Der zweite Teil der Sammlung – die Schallplattenaufnahmen – befindet sich im Lautarchiv der Humboldt-Universität. Die beiden Sammlungsteile unterscheidet nicht nur das Medium des Tonträgers, sondern auch der Inhalt der Aufnahme: Sind die Schallplattenaufnahmen vor allem Sprachaufnahmen mit Fokus auf Sprachen und Dialekten der Kriegsgefangenen, so handelt es sich bei den Wachswalzen ausschließlich um Musikaufnahmen.

„Diese Sammlung war fast 100 Jahre lang nicht zugänglich. Nach der Auflösung der Phonographischen Kommission im Jahr 1920 wurden die Wachswalzen- von den Schallplattenaufnahmen getrennt. Die Sammlung gelangte dann in das Phonogrammarchiv von St. Petersburg, 1961 kam sie nach Ostberlin und erst nach der Wiedervereinigung zurück nach Berlin-Dahlem. Erst seit den 1990ern weiß man, was auf den Walzen zu hören ist, da diese von der zugehörigen Dokumentation getrennt waren: Diese verblieb in Berlin-Dahlem, die Walzen aber reisten durch die damalige Sowjetunion“, so Adelajda Merchan-Drazkowska, Kuratorin der Ausstellung und Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt.

Auf den Wachswalzen befinden sich feine Rillen, in welche die Nadel des Phonographen bei oftmaligem Abspielen immer tiefer eindringt und die Aufnahme schließlich zerstört. „Es gibt eine Wachswalzenaufnahme von Brahms, auf der man heute – nach offenbar mehrmaligem Abspielen und zwei Übertragungen auf Schallplatten – nur noch ein Rauschen hört“, erklärt Merchan-Drazkowska. „Die Wachswalze – das Original – kann man nicht oft abspielen, da sonst der Inhalt verloren geht. Man musste eine Methode entwickeln, um Kopien zu ziehen: die Galvanisierung.“

Galvanisierung – Erhalt von Klang, Zerstörung von Originalsubstanz

Um die Tonaufnahmen zu erhalten wurden die Wachswalzen galvanisiert, eine Methode, mit welcher ein Negativ der Walze aus Kupfer hergestellt werden konnte. Mit den Kupfernegativen kann man auch heute noch Kopien machen. Die Herstellung des Galvanos bedingt jedoch zwangsweise die Zerstörung des Originales – die Wachswalze muss schließlich aus der Kupferrolle entfernt werden. Der Klang jedoch wird dadurch langfristig erhalten.

Für das DFG-Forschungsprojekt müssen die meisten Walzen vor der Digitalisierung erst in den Galvanos neu gegossen werden, eine aufwendige Prozedur. Die Originale sind meistens gelb bis braun, die Kopien der Wachswalzen im Phonogramm-Archiv sind rot. Gefertigt sind diese aus den roten und türkisfarbenen Wachsblättern, deren genaue chemische Zusammensetzung geheim bleibt. Originale, Galvanos und Kopien werden im Archiv aufbewahrt. In der Ausstellung kann man einen Eindruck von der Aufbewahrung gewinnen: Hinter einer Tischvitrine mit originalen Wachswalzen und Glasplatten der Fotografien ist die Wand mit einer Fotografie aus dem Phonogramm-Archiv angebracht. Franz Lechleitner vom Wiener Phonogrammarchiv hat einen Phonographen entwickelt, der die Schwingungen direkt in digitale Information umwandelt. Er hat auch für das Berliner Phonogramm-Archiv einen solchen gebaut, der nun auch eine schonendere Abspielmethode der Wachswalzen ermöglicht.

Phonographierte Klänge – Photographierte Momente

„Es lag nahe, die beiden Sammlungen gemeinsam zu präsentieren. Sowohl die Musikaufnahmen als auch die Bilder wurden in Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg aufgenommen. Und beide sind bis dato gänzlich unbekannt. Wir haben in unserem Bestand 151 Original-Glasplatten, sowohl Negative als auch Dias“, berichtet die Kuratorin Dr. Irene Ziehe. Otto Stiehl war Architekt und Lagerkommandant im Lager Wünsdorf, außerdem war er leidenschaftlicher Amateurfotograf.

„Er hat die Gefangenen porträtiert und das Leben im Lager fotografiert. Zur selben Zeit gab es auch Wissenschaftler, Ethnologen und Kulturanthropologen, die ähnlich wie bei den Musikaufnahmen, auch fotografiert haben, aber nicht, um Individuen festzuhalten, sondern um vermeintliche Charakteristika von Ethnien herauszufinden“, so Dr. Irene Ziehe. Otto Stiehl dagegen notierte zu den Original-Abzügen der Glasplatten jeweils den Namen sowie das Herkunftsland der Kriegsgefangenen und bewahrte sie in einem Album mit anderen Dokumenten aus dem Lagerleben auf. Allerdings veröffentlichte er in seinem Buch „Unsere Feinde“ solche Porträts schließlich ohne Namen und mit ebensolchen ethnischen, überindividuellen Charakteristika. Restauratorin Julietta L. Wehr fertigte ein Faksimile eines Foto-Albums aus dem Gefangenenlager von Otto Stiehl an, fotografierte die Original-Abzüge auf Silbergelatinepapier aus diesem Album und näherte sich detailgenau in Druck und Gestaltung dem Original an. Sogar das textile Gewebe des Einbandes ist abfotografiert und in textiler Struktur als Reprint gefertigt worden. Die Ausstellungsbesucher sollen die Bilder auf jeder Seite betrachten können, nicht nur eine fragile Seite des Originales in der Vitrine.

In zwei Räumen gibt die Ausstellung Einblick in das Leben in den Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg, wissenschaftliche Forschungsinteressen und Dokumentationsmethoden Anfang des 20. Jahrhunderts und den heutigen Umgang – sowohl inhaltlich als auch technisch – mit diesen Materialien. Der kleine Nebenraum zeigt eine mögliche Aufnahmesituation in einer Lagerbaracke: Auf dem lebensgroßen Druck sieht man Musiker; am Tisch sitzen die Forscher und dokumentieren mit dem Phonographen den Klang. Davor steht ein historischer Phonograph freistehend auf dem Tisch.

Die Ausstellung „Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg“ läuft noch bis 6. April 2015 im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem.

 

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