Das Museum Fünf Kontinente In München, vormals Völkerkundemuseum, zählt mit seinen rund 160.000 Objekten zu den größten und bedeutendsten ethnologischen Museen in Deutschland. Nun setzt es sich in einer aktuellen Sonderausstellung mit seiner Kolonialgeschichte auseinander. Glücklicherweise ist nur ein überschaubarer Teil des Bestandes darin verstrickt. Denn die Anfänge des Museums gehen bis ins Jahr 1862 zurück. 1868 wurde die Sammlung der ethnologischen Kulturgüter im Besitz des Königreichs Bayern öffentlich zugänglich gemacht. Erst ab den 1880er Jahren wurde auch diese zu einer „kolonialen Institution“. Allerdings stand München nie im Fokus kolonialer Machtbestrebungen wie etwa in Berlin. Galt die Kolonialherrschaft im Deutschen Reich doch als außenpolitische Angelegenheit unter der Prärogative des Kaisers.
Neue Sonderausstellung
Die aktuelle Sonderausstellung widmet sich anhand von Exponaten aus den eigenen Beständen dem „Kolonialismus in den Dingen“, kuratiert von Richard Hölzl, der seit 2023 als Provenienz-Forscher mit Planstelle zum Museumsteam gehört. Die ausgewählten Luxusgegenstände, rituellen Objekte und Alltagsgegenstände gliedert sich zeitlich in drei Abschnitte. Die frühen kolonialen Aneignungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sind mit den Brüdern Schlagintweit, der Missionarin Xaveria Berger und dem Apotheker Heinrich Rothdauscher verbunden. Hartmann, Adolph und Robert Schlagintweit begannen 1854 eine Expedition nach Zentralasien und Indien, um im Hochgebirge Magnetismus zu kartieren. Dabei sammelten sie 40.000 Natur- und Kulturobjekte, einige geraubt, andere auf Märkten gekauft, von denen der bayerische Staat 1859 rund 1000 erwarb. Von Xaveria Berger werden vor 1863 auf Elfenbein gemalte indische Miniaturen präsentiert. Sie zeigen Bahadur Shah II. und Zinat Mahal, elegant herausgeputzt in Halbfigur, die dem Betrachter direkt in die Augen blicken. Wie reich auch Gebrauchsgegenstände verziert wurden, zeigt ein Handspiegel aus Messing und Glas mit der Darstellung des Affengottes Hanuman auf dem Deckel. Aus dem Besitz Rothdauschers, der mit seinen „Lebenserinnerungen eines deutschen Apothekers“ “ ein Schlüsseldokument zur Erforschung der Philippinen im 19. Jahrhundert hinterlassen hat, ist eine knapp 60 Zentimeter große „Anito“-Ahnenfigur aus Holz mit Kaurischnecken-Augen und -Mund zu bestaunen, die den Einband des Katalogs schmückt.
Marineärzte und Kolonialbeamte
Den Ausstellungs-Schwerpunkt bilden die Jahre 1884 bis 1918, als Deutschland selbst Kolonialmacht und an Kriegen in Kamerun, China, Namibia und Tansania beteiligt war. In Folge der größten deutschen Kolonialkriege, dem sogenannten Boxerkrieg (1900-1901) mit der Plünderung chinesischer Objekte, dem Herero- und Nama-Krieg (1904-1906), sowie dem Maji-Maji-Krieg (1905-1908), kam Kulturgut aus Afrika, Asien und Ozeanien nach Deutschland, und mit den Angehörigen der Bayerischen Armee in die Ethnographische Sammlung nach München. Eine unrühmliche Rolle fiel dabei den Kanonenbooten der Kaiserlichen Marine und deren „Strafexpeditionen“ in Ozeanien zu. Die Aneignungen erfolgten gewalttätig; oft blieb den indogenen Besitzern aus Angst vor Bestrafung keine Wahl. Doch auch Persönlichkeiten, die Widerstand leisteten, werden berücksichtigt. Bedeutenden Zuwachs erhielt das Museum durch die Schenkungen der Marineärzte Christian Schneider – dessen Ozeanien-Sammlung 330 Objekte umfasste – und Wilhelm Schubert. Beide waren zwischen 1884 und 1890 auf unterschiedlichen Kanonenbooten mit Kriegseinsätzen an den Küsten Afrikas, Asiens und Ozeaniens unterwegs. Ein rückblickender Text von Schubert aus dem Jahr 1938 ist im Katalog nachzulesen. Stellen wir einige Highlights der Sonderschau vor: Der sogenannte „Buschiri-Dolch“ aus Tansania, samt Messer und eine Scheide, ist ein Ensemble aus Elfenbein, Metall, Leder, Perlen und Stoff. Er stammte wohl aus dem Besitz von Abushiri ibn Salim al-Hathi und kam dank Karl von Gravenreuth, ehemals Kolonialoffizier, Kolonialeroberer und Netzwerker in Afrika, nach München. Der Kameruner „Tangué“ (Schiffsschnabel), ein knapp eineinhalb Meter langer, szenisch-figürlich geschnitzter und mit Ölfarben bemalter Aufsatz für ein Rennboot aus Duala, stammt aus dem Besitz des Oberhaupts der Bele-Bele und ist durch den dokumentierten, gewalthaften Raub Max Buchners 1884 ins Museum gelangt.
Berühmtheiten der Ausstellung
Eins der großartigsten Exponate ist der „Tangué“ der Bele Bele, ein großer, geschnitzter, farbig bemalter Schiffsschnabel eines Rennbootes. Er wurde 1884 erbeutet und kam als Trophäe nach München, wo er zum Brennpunkt postkolonialer Debatten wurde. Aus dem Besitz Schuberts stammt die Schnitzerei einer Kanu-Zier aus Tubtub bei Kapsu, Papua Neuginea. Spätestens mit Max Buchner, der 1887 zum ersten Direktor berufen wurde, kam die deutsche Kolonialherrschaft im Münchner Museum an. Der weitgereiste Schiffsarzt, der an Forschungsexpeditionen im südwestlichen Afrika teilgenommen hatte, und ab 1884 über ein Jahr in Duala, an der Küste Kameruns als „interimistischer Vertreter des Reichs“ zubrachte, sollte damit den Anspruch auf die Kolonie unterstreichen. Buchner verfasste neben einer Reihe von Artikeln ein Buch über die neue Kolonie Kamerun. Seine Einschätzung der indigenen Bevölkerung spiegeln eine heute kaum glaubliche Überheblichkeit, wenn er schreibt: „Europa ist der schönste und beste Teil unserer Erde…. Kolonialpolitik ist harte Notwendigkeit…Gegenstand…hartherziger Überlegung“ und „Humanität gegenüber einer „“anderen Rasse““ sei eine Art „Selbstvernichtungsprozess“…“Die bisherigen Kolonialkriege seien „nur die ersten Anfänge“ eines „allgemeinen Rassenkampfes“.
Verantwortungsvoller Umgang
Die expressive Reliquiar-Figur Byeri aus Ngumba vor 1896, aus Holz und Messingblech, und mit menschlichen Zähnen, stammt aus dem Besitz Martin von Stettens. Zwei mit Glasperlen, Muscheln und Bast ausgestattete Mützen aus Tasmanien wurden von Mädchen bei der Initiationsfeier getragen. Eine nackte weibliche Holz-Skulptur mit haarbetonter Scham gilt als seltenes Zeugnis der Frau, die kaum thematisiert wurde. Zeitlos modern wirkt dagegen ein bemalter Rindenbaststoff mit grafischem Muster aus Samoa, der dank Luise Spemanns Besuch bei ihrem Bruder, der sich 1902 als Pflanzer auf der Insel Upolu niedergelassen hatte ins Haus kam.
Auch was passierte, als Deutschland 1919 seine Kolonien verlor und wie es nach 1945 weiterging, wird thematisiert. Der dritte Abschnitt der Ausstellung widmet sich dem verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte des Hauses und dem Versuch, mit dem Kolonialismus verknüpfte Exponate mit neuen Erzählungen zu verbinden. Sie beruhen auf gemeinsam mit den Kollegen aus den Herkunfts-Staaten erarbeiteten Forschungsprojekten und veranschaulichen Bayern als Schauplatz deutscher Kolonialgeschichte.
Reiches Erbe
Abschließend lohnt sich der Weg in die Afrika-Abteilung im zweiten Obergeschoss mit den vielen Exponaten, die nicht kontaminiert sind. Da sind etwa Statuetten aller Größen aus verschiedensten Regionen von der Elfenbeinküste oder aus Nigeria zu bestaunen. Ein expressiver figürlicher Ritualstab aus Tansania, unterschiedlichste Masken ebenfalls von dort, sowie aus dem Kongo oder Burkina Faso. Figurenpaare aus dem Kongo, ein riesiger beschnitzter Elfenbein-Stoßzahn aus Benin. Benin-Gruppen und Figuren in Gelbguß, ein reich beschnitzter hölzerner großer Palastpfosten aus der Yoruba-Region. Ob sogenannte „Kraftfiguren“, die verschiedene Materialien wie Holz, Leder, Glas oder Perlen vereinen, die überlebensgroße Holzfigur einer Schwangeren, sowie Kästchen, Kopfstützen oder Becher, eine große Büffelmaske oder eine nigerianische Elefantengrabfigur aus Terrakotta. Man könnte die Aufzählung endlos fortsetzen, den Besuch sollte man nicht versäumen. Wie afrikanische Artefakte europäische Künstler des frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst haben, ist hier einmal mehr zu betrachten.