02.02.2022

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KZ-Gedenkstätten sind jetzt auf TikTok vertreten

Auf TikTok finden zunehmend auch ernsthafte Debatten über gesellschaftspolitische Themen statt. Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2021 hat sich die junge Social-Media-Plattform daher auch der Erinnerung an die Schoa gestellt: Mehrere KZ-Gedenkstätten wollen jetzt mit kurzen Videoclips die Generation Z“ erreichen, für die Instagram und Facebook oldschool sind. Der Zentralrat der Juden lobt den Einsatz der App, um die Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen zielgruppengerecht anzusprechen

Screenshot eines TikTok-Videoclips der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg. Foto: TikTok

Holocaustüberlebende Lily Ebert ist ein Star auf TikTok

Jeden Monat nutzen mehr als eine Milliarde Menschen weltweit den Kurzvideodienst TikTok, in Europa sind es rund 100 Millionen. Es ist vor allem die Generation Z, die Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen also, die sich von den Inhalten dort angesprochen fühlt. Mehr als zwei Drittel aller TikTok-Posts werden von Nutzern aus dieser Bevölkerungsgruppe gepostet oder richten sich an sie. Waren es anfangs überwiegend unterhaltsame Inhalte, die ihren Weg auf die Plattform fanden, finden auf TikTok zunehmend auch ernsthafte Debatten über gesellschaftspolitische Themen statt. Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hat sich TikTok nun auch der Erinnerung an die Schoa gestellt.

Die 98-jährige britische Holocaustüberlebende Lily Ebert ist ein Star auf TikTok, seit sie vor einigen Monaten gemeinsam mit ihrem Urenkel Dov Forman damit begann, dort Videos zu posten. 1,6 Millionen Menschen folgen Ebert und Forman mittlerweile auf der Plattform. Neuerdings sind sogar mehrere KZ-Gedenkstätten auf TikTok vertreten, die – überwiegend auf Englisch – kurze, informative Videoclips veröffentlichen.

Vorreiter in Deutschland ist die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg

Vorreiter in Deutschland ist die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg. 38 Clips stehen schon auf ihrer TikTok-Seite, 9600 User folgen der Gedenkstätte und sogar 92.300 Personen haben die Seite schon mit einem Like bedacht. In den Videos wird kurz und bündig erklärt, was während der NS-Herrschaft in Neuengamme geschah, welche Einzelschicksale es gab und wie heute der rund 50.000 Menschen gedacht wird, die dort ermordet wurden. Ein Kurzvideo von Neuengamme, welches die Markierungen auf den Häftlingsuniformen erklärt, sahen sich bereits über 400.000 TikTok-Nutzer an. In der KZ-Gedenkstätte Mauthausen in Österreich werden ebenfalls seit kurzem Erklärvideos speziell für TikTok produziert. Marlene Wöckinger ist eine von zwei Personen, die darin vor der Kamera auftritt. Es ist uns von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wichtig, in den Dialog mit Menschen zu treten, sowohl vor Ort als im digitalen Raum, und das geht auch mit Denkanstößen, die nur eine Minute oder 30 Sekunden lang sind, sagt sie. Gerade TikTok sei auf den intensiven persönlichen Dialog ausgerichtet – und das passt gut zu unserem Vermittlungsziel, glaubt Wöckinger.

Aufklärung und Bildung für eine jüngeren Zielgruppe

TikTok-Deutschland-Geschäftsführer Tobias Henning unterstrich nun im Rahmen der Präsentation des Pilotprojekts TikTok – Shoah Education and Commemoration Initiative, seine Plattform wolle ihren Beitrag leisten, um aktiv zur Aufklärung und Bildung über den Holocaust beizutragen. Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, lobte in der Pressekonferenz die Initiative der Plattform als ein wichtiges Zeichen. So werde es gerade einer jüngeren Zielgruppe möglich, Überlebende der Schoa kennenzulernen oder sich mit ihnen auszutauschen.

Hohe Erwartungen an die Betreiber sozialer Netzwerke

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland habe hohe Erwartungen an die Betreiber sozialer Netzwerke. Letztere besäßen eine große Verantwortung, betonte Botmann. Es ist eben nicht so, dass die Plattformen lediglich ein Abbild der Gesellschaft sind. Sie sind auch Orte, wo in scheinbarer Anonymität Menschen sich trauen, Dinge zu äußern und Straftaten zu begehen, die sie im wahren Leben so nicht begehen würden, sagte er. Hass und Hetze müssten daher nicht nur konsequent gelöscht und seine Ausbreitung gestoppt werden. Man müsse auch Aufklärung betrieben werden – hier gehe Tiktok mit gutem Beispiel voran.

Zielgruppengerechte Aufbereitung der Inhalte der KZ-Gedenkstätten

Remko Leemhuis pflichtete ihm bei. Der Geschäftsführer des Berliner Büros des American Jewish Committee (AJC) will, dass Inhalte zielgruppengerecht aufbereitet, gleichzeitig aber auch der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht werden. Wegen der rapide abnehmenden Zahl der Zeitzeugen und der zunehmenden Relativierung der Schoa, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreiche, stehe die Erinnerungskultur vor großen Herausforderungen, betonte Leemhuis. Gemeinsam mit TikTok und anderen Partnern führte das AJC auch eine mehrteilige Seminarreihe, ein Pilotprojekt durch, bei dem Gedenkstätten und Museen ermutigt wurden, über ihre Arbeit auf TikTok zu informieren.

Tipp: Den TikTok Account der KZ-Gedenkstätte Neuengamme finden Sie hier.

Mehr zum Thema Digitalisierung und Kulturerbe erfahren Sie in der Ausgabe 2/2022

Seit Ende Juli 2021 sind die SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz UNESCO-Welterbe – und Ende vergangenen Jahres ist App dazu komplett: Sie lädt auf eine virtuelle Reise zu den jüdischen mittelalterlichen Monumenten und alten Friedhöfen ein. Lesen Sie mehr hier

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