27.05.2025

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700 JAHRE KARTÄUSER- KLOSTER MAINZ

Bruno von Köln, der Gründer des Kartäuserordens, wird traditionell mit einem Schädel und einem Buch als Attributen dargestellt. Hl. Bruno, Mainz, wohl 3. Viertel 18. Jh., Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe

Das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum Mainz zeigte mit einer Sonderschau über die Kartause St. Michael am Rhein Zeugnisse einer untergegangenen Epoche. Das Kloster hatte sich zum Sehnsuchtsziel der Rheinreisenden entwickelt, bis das imposante Gebäude Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen wurde.


Weitgehende Schweigepflicht

Heute ist das Wort „Zeitenwende“ in aller Munde. Beschäftigt man sich nur ein bisschen mit der Geschichte, hat man den Eindruck, dass fast alle Generationen „Zeitenwenden“ miterlebt haben. Das vermittelt auch die aktuelle Sonderausstellung im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum in Mainz mit rund 80 Exponaten. Anlässlich des 700-jährigen Jubiläums wird „Die Kartause von Mainz“ gewürdigt. Anhand der Geschichte dieser ältesten Kartause Deutschlands taucht der Besucher in eine weitgehend untergegangene Welt ein. Doch deren erhaltene Kunstwerke beeindrucken bis heute. Besonders erstaunlich, dass selbst die Kartäuser – ihr Orden vertrat die strengsten Regeln zum asketischen Leben mit weitgehender Schweigepflicht – zum Lobe Gottes prächtige Kunstwerke von hoher Qualität in Auftrag gegeben haben.

Das Chorgestühl ist zusätzlich mit geschnitzten weiblichen Trägerfiguren geschmückt, die ausgesprochen lebendig wirken. Johann Justus Schacht und Werkstatt, Karyatide aus dem Chorgestühl der Mainzer Kartause, 1723/26, Dom zu Trier. Foto: Rita Heyen
Aus dem reichen Kirchenschatz der Kartause haben sich lediglich ein Kelch und eine Monstranz erhalten, die beide in der Ausstellung gezeigt werden. Franz Ignaz Berdolt, Kelch aus der Mainzer Kartause, Augsburg, um 1715/16, Pfarrkirche St. Nikolaus, Kalteneber. Foto: Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz

Weitgehende Schweigepflicht

Heute ist das Wort „Zeitenwende“ in aller Munde. Beschäftigt man sich nur ein bisschen mit der Geschichte, hat man den Eindruck, dass fast alle Generationen „Zeitenwenden“ miterlebt haben. Das vermittelt auch die aktuelle Sonderausstellung im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum in Mainz mit rund 80 Exponaten. Anlässlich des 700-jährigen Jubiläums wird „Die Kartause von Mainz“ gewürdigt. Anhand der Geschichte dieser ältesten Kartause Deutschlands taucht der Besucher in eine weitgehend untergegangene Welt ein. Doch deren erhaltene Kunstwerke beeindrucken bis heute. Besonders erstaunlich, dass selbst die Kartäuser – ihr Orden vertrat die strengsten Regeln zum asketischen Leben mit weitgehender Schweigepflicht – zum Lobe Gottes prächtige Kunstwerke von hoher Qualität in Auftrag gegeben haben.


Nachzügler vor

Im Jahr 1084 zog Bruno von Köln in die Nähe von Grenoble, wo er mit sechs Gleichgesinnten eine Einsiedelei errichtete. Jeder lebte in einer eigenen Zelle für sich, dem Gebet, dem Studium und der Hände Arbeit verpflichtet. Nur dreimal täglichen fanden sie zum Stundengebet zusammen. Der heilige Bruno mit Buch und Totenkopf – wohl eine Mainzer Sandsteinfigur aus der Hochblüte der Kartause in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – steht am Beginn der Ausstellung bereit, um die Besucher hineinzugeleiten. Alsbald lebten auch Nonnen nach den strengen Regeln der Kartäuser. 1170 vom Papst anerkannt, breiteten sich die Kartäuserklöster europaweit aus: Mit der ersten Blütezeit im 14. Jahrhundert nicht mehr nur in der Abgeschiedenheit, sondern auch in Städten wie Köln (1334), London (1370) oder Nürnberg (1380). Ob durch verheerende Kriege, die Reformation, oder die Französische Revolution – auch die Kartäuser blieben vor Verwüstung und Untergang nicht verschont. Erstaunlich, dass das einzige noch bestehende Kartäuser-Kloster Deutschlands, die Kartause Marienau bei Bad Wurzach, erst 1964 gegründet worden ist!


Zwischen Silber und Gold

Die Mainzer Kartause geht auf den Erzbischof Peter von Aspelt zurück, der den Mönchen einen Platz zum Klosterbau im Rheingau übergab. Diese Schenkungsurkunde, eine Handschrift auf Pergament, datiert 21. Mai 1320, ist neben der Zustimmung des Domkapitels zur Verlegung des Klosters nach Mainz, im Original zu sehen. Zahlreiche Reproduktionen veranschaulichen die großartige Buchkunst jener Zeit. Die Gebete zum Seelenheil der Stifter bildeten damals ein einträgliches Geschäftsmodell der Klöster. 1323 – Gedenkjahr zur aktuellen Schau – zogen die Kartäuser vor die Tore der Stadt, 1326 wurde die Kartause Mainz als Mitglied des Ordens anerkannt, 1360 ihre Klosterkirche geweiht. Zahlreiche Tochtergründungen folgten. Dieser ersten Blüte setzte 1552 ein Klosterbrand das Ende. Ansichten mit der Mainzer Kartause von Matthäus Merian oder Franz von Kesselstatt zeigen die historische Lage. Wie man sich die Zellen der Kartäuser vorzustellen hat, wird anhand einer Reproduktion der Kartause von La Valsainte vom Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich: schmale Bettstatt, eigene Gebetsnische. Der Kontrast dieser privaten spartanischen Lebensform zu den prunkvoll ausgestatteten Kirchenräumen der Mainzer Kartause, die unter Prior Michael Welcken in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Lob Gottes in barocker Pracht erblühte, könnte größer nicht sein. Weithin berühmt das Chorgestühl, das dem Hamburger Johann Justus Schacht nebst 21 Schreinergesellen zu verdanken ist. Es ist zumindest anhand von Teilen im Original (nebst Abbildungen) zu bestaunen: Die kostbar mit edlen Hölzern, Bein, Zinn, Fassung und Vergoldung verzierten Nussbaum-Schränke, um 1723/26, sind als Leihgabe aus dem Museum am Dom Trier als kunsthandwerkliche Highlights zu bewundern. Bei den ebenso berühmten Marmor-Alabaster-Altären des Maximilian von Welsch von 1714 muss man mit Reproduktionen vorliebnehmen, ebenso bei jenen Altären, die als Gemeinschaftswerke des Kunstschreiners Franz Anton Hermann und des Bildhauers Burkhard Zamels um 1741/42 entstanden sind. Doch geben die perfekten Reproduktionen einen lebhaften Eindruck der außergewöhnlichen Ausstattung. Vom einst überwältigenden Kirchenschatz, dessen originales Verzeichnis 96 Nummern beinhaltete, sind die zwei ein- zig erhaltenen Objekte, ein Kelch und eine Monstranz aus der damaligen Goldschmiedemetropole Augsburg, ausgestellt. Franz Ignaz Berdolt ist der Schöpfer der um 1716 in vergoldetem Silber, mit Edelsteinen und Email verzierten Leihgaben. Die über 90 Preziosen wurden 1781, wie so viele andere Klosterschätze, veräußert.

Merians Darstellung ist die älteste und gleichzeitig präziseste Ansicht der Mainzer Kartause und gibt den Zustand nach der Zerstörung von 1552 und den anschließenden Erneuerungsarbeiten wieder. Matthäus Merian der Ältere, Ansicht der Mainzer Kartause, 1646, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz. Foto: Marcel Schawe

Zahlreiche Handarbeiten

Die in völliger Abgeschiedenheit lebenden Kartäuser hatten keinen Postulator in Rom, der sich für die Selig- oder Heiligsprechung eines Ordensmitglieds beim Papst starkmachen konnte. Selbst Bruno wurde von Rom nicht offiziell kanonisiert, seine Verehrung jedoch 1622 für die ganze katholische Kirche anerkannt. Dass Kartäusermönche wegen ihres Glaubens verfolgt oder getötet wurden, belegt ein monumentales Gemälde aus der Mitte des 17. Jahrhunderts mit einer dramatischen Martyriumsszene der Kartäuser in London. Die Kartäuser galten als der mittelalterliche Bücherorden schlechthin. Kein Wunder, dass beim strikten Schweigegebot dem Kopieren von Handschriften eine wichtige Rolle zukam. Unter den Originalen verdient der erste in Mainz 1466/70 auf Pergament verfasste Bibliothekskatalog der Kartause besondere Beachtung. Da bei den Kartäusern Handarbeiten zum Aufgabenbereich gehörten, waren Buchbinder, Uhrmacher, Schreiner oder Maler unter ihnen.


Veritables Touristenziel

Ebenso prächtig wie ihre Kirche statteten die Mainzer Kartäuser um 1750 ihren erneuerten, hoch gewölbten Kreuzgang aus. Sieben überlebensgroße Steinskulpturen des Nikolaus Binterim, der um 1746 nach Mainz gekommen war und 1750 als Hofbildhauer genannt wird, bevölkerten die Ecken. Um 1750/53 hat man die Wände mit insgesamt 80 monumentalen Leinwandgemälden sowie Supraporten versehen. Die Bilder schilderten Le- ben und Wirken Jesu-Christi, ergänzt um alttestamentarische Szenen und eine Steinigung des hl. Stephanus. Die Mönche zogen auf dem Weg zum dreimal täglichen Chorgebet an diesem opulenten Bilderkosmos vorbei, der im krassen Gegensatz zu ihren kargen Zellen stand. Die Kartause avancierte im 18. Jahrhundert zu einem veritablen Touristenziel. Der Artillerie-Hauptmann Johann Christoph von Stoevesandt besuchte anlässlich seiner Rheinreise das Kloster gar zweimal, so angetan war er von den Kreuzgang-Gemälden, die er nicht nur in Skizzen festhielt, sondern in der 1769 datierten Handschrift „Anmerkungen von einer dritten Reise am Rhein“ hervorhob. Der Zyklus gilt als umfangreichste Bilderfolge des Mainzer Barock. Sein Schöpfer Georg Joseph Melbert, sonst kaum beachtet, kam um 1744 aus dem österreichischen Enns nach Mainz. Hier arbeitete er als Wappenmaler des Domkapitels, und steuerte den Schmuck der oftmals aufwendig gestalteten Aufschwörungsurkunden bei. Auch schuf er Festdekorationen und erwarb als Kunstagent 1785 Gemälde für Erzbischof Friedrich Karl von Erthal. Den leicht manierierten Figurenstil des Gemälde-Zyklus mit gedrehten Bewegungen und betonten Gesten kann man anhand der fünf nun in der Ausstellung vereinten Bildern betrachten, die zum Bestand des Dommuseums gehören. Insgesamt 21 Gemälde sind erhalten.

Die Kartäuser gelten als der Bücherorden schlechthin. Das Kopieren von Handschriften war eine Haupttätigkeit der Mönche. Theologische Sammelhandschrift, Heidelberg, Mitte 14. Jh. bis Mitte 15. Jh. Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz. Foto: Marcel Schawe

„Lasset die Kindlein zu mir kommen“

Drei der jeweils 269 mal 175 Zentimeter großen Leinwand-Gemälde wurden in zweijähriger Arbeit restauriert. Ich durfte die Diplom-Restauratorin und Ordensschwester der Benediktinerinnenabtei Kloster Engelthal Johanna Stüer im Mainzer Dommuseum kurz vor der Ausstellungseröffnung persönlich kennenlernen. Die Benediktinerin wurde 1988 freigestellt für das Studium der Konservierung/Restaurierung (mit Schwerpunkt auf Gemälde und Skulptur) an der FH Köln. 1992 hat sie es mit dem Diplom abgeschlossen. Seither leitet sie die Restaurierungswerkstatt des Bistums Mainz in Kloster Engelthal/ Altenstadt (in der Wetterau), die dem Dom und Diözesanmuseum Mainz angegliedert ist.
In der Sonderausstellung gesellen sich zu drei von ihr bereits restaurierten Gemälden – gleichsam als Sehschule zum Vorher-Nachher-Zustand – drei noch nicht restaurierte aus dem Zyklus. Vergleicht man die versehrten Gemälde mit den restaurierten, verwundert es nicht, dass die Restaurierungsarbeiten der drei Großformate zwei Jahre in Anspruch genommen haben, obwohl Schwester Johanna ein Team von Mitarbeitern zur Seite stand. Sie betonte, dass sich die Bilder trotz der bewegten Geschichte in den originalen Maßen erhalten haben. Die Schäden (überwiegend in den unteren Bereichen) waren größtenteils mechanisch bedingt durch Verletzungen auf Transporten und unsachgemäße Lagerung. In der Dokumentation wurden, dem Schadensbild der drei Gemälde entsprechend, klassische Restaurierungsschritte veranschaulicht: u. a. Malschichtfestigung, Oberflächenreinigung, Abnahme von Übermalungen, Rissverklebungen, Einsatz von Leinwand-Intarsien, Kittungs- und Retuschierungsarbeiten. Dem Großformat angemessen, wurde mit einer hinterlegten Leinwand und einer doppellagigen Wellpappe ein zweifacher Rückseitenschutz angebracht. Nebenbei sei erwähnt, dass Schwester Johanna für das Museum auch das in mehreren Fassungen bekannte, um 1550 in Öl auf Holz ausgeführte Gemälde „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä. restauriert hat, ebenso wie eine „Heilige Barbara“ des Joseph Ignaz Appiani in Öl auf Leinwand, um 1758, oder einen mehrteiligen Hochaltar aus dem 17./18. Jahrhundert aus Sankt Emmeran in Mainz. Zu den von ihr restaurierten Holz-Skulpturen gehören ein „Pestkreuz“ aus dem 14. Jahrhundert, vier Figuren eines Schreinaltars um 1519, ein Gnadenstuhl um 1470/80, oder die „Appenheimer Pietà“ um 1350. Auch mit der Restaurierung von Steinarbeiten ist sie bestens vertraut: So bearbeitete sie in Kooperation mit der Restaurierungswerkstatt Matthias Steyer (Dipl.-Restaurator Niedernhausen) die großformatige sechsfigurige Kreuzigungsgruppe vom Mainzer Friedhof St. Ignaz oder die Gewölbefigur aus der Mitte des 14. Jahrhunderts aus St. Emmeran in Mainz. Darüber hinaus hat sie den barocken Hochaltar in „ihrem“ Kloster Engelthal restauriert, ebenso wie weitere Arbeiten für so berühmte Klöster wie Maria Laach oder Münsterschwarzach und private Auftraggeber.


Einschneidende Veränderungen

Friedrich Karl von Erthal blickt uns auf einem Porträt nach 1788 an. Auf ihn ging die Auflösung der Mainzer Kartause 1781 sowie weiterer wohlhabender Klöster zurück. Im Sinn der Aufklärung wollte er die traditionsreiche Mainzer Universität fördern. Papst Pius VI. billigte die Aufhebung am 24.8.1781, am 15. November erhielten die Kartäuser die niederschmetternde Nachricht. Die eigenhändig unterzeichnete Handschrift liegt im Original vor. Das beschlagnahmte Klostervermögen wurde in den Universitätsfonds übertragen, der als Stiftung bis heute besteht. Die Kartäuser hatten die Möglichkeit, in die Kartause nach Erfurt zu wechseln oder als Weltgeistliche mit einem jährlich garantierten Einkommen von 250 Gulden zu leben. Am 22. Oktober 1782 verließen die 17 Patres die Kartause, das Inventar wurde versteigert. 1784 hat Christian Georg Schütz d. Ä. „Die Favorite und die Kartause von Westen“ auf einem Gemälde festgehalten (eine Reproduktion ist ausgestellt). 1788 kaufte Erzbischof Erthal den Baukomplex samt Weinbergen für 83.000 Gulden von der Universität zurück, ließ Kirche und Kreuzgang niederreißen, um im Verbund mit dem Garten des Lustschlosses Favorite einen Landschaftspark zu errichten. Im Zug der Belagerung von Mainz 1793 wurden die Favorite und die Reste der Kartause komplett geschleift. Wo einst die Kultur blühte steht heute das Parkhotel Favorite. Nur die um 1911/12 errichtete Wohnsiedlung „Kartaus“ und ein Straßenname erinnern noch schwach an das einst berühmte Kloster. Bis 10. März 2024 hat der Besucher Gelegenheit, „Die unvergleichliche kostbare Carthaus“ näher kennenzulernen.

Weiterlesen: In Belgien ist die seit Jahrzehnten größte Schau des spätgotischen flämischen Malers Dieric Boots im M-Museum Leuven zu sehen, in der Stadt, in der er lebte und arbeitete.

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