Die Deutsche UNESCO-Kommission ist die Mittlerorganisation zwischen der UNESCO in Paris und der deutschen Bundesregierung. Welche Aufgaben sie dabei übernimmt, warum sie nicht an Welterbeanträgen beteiligt ist und wie sich die Anforderungen bei den Anträgen verändert haben, erklärt Carolin Kolhoff, die Leiterin der Informationsstelle Welterbe im Interview.
Restauro: Welche Aufgaben hat die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK)? Mit Bitte um kurze Antwort.
Die Deutsche UNESCO-Kommission ist Deutschlands multilaterale Mittlerorganisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Als Nationalkommission der UNESCO ist sie Schnittstelle zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und der UNESCO. Die Deutsche UNESCO-Kommission berät den Bund und die Länder und trägt dazu bei, dass UNESCO-Werte und -Ziele in konkrete politische Handlungsleitlinien übersetzt werden. Sie vernetzt die Mitglieder der „UNESCO-Familie“, also zum Beispiel Welterbestätten, Geoparks, Biosphärenreservate oder UNESCO-Lehrstühle, in Deutschland. Zugleich engagiert sich die DUK in der globalen Zusammenarbeit von UNESCO-Nationalkommissionen und fördert Weltoffenheit von Jugendlichen.
Restauro: Welche Aufgaben hat sie insbesondere im Bereich der Kultur?
Im Bereich der Kultur vermittelt die Deutsche UNESCO-Kommission die Inhalte der Kulturkonventionen der UNESCO an die breite Öffentlichkeit und ein Fachpublikum in Deutschland und setzt sich für die Förderung kultureller Vielfalt ein. In diesem Zusammenhang koordiniert sie unter anderem alle vier Jahre die Erstellung des deutschen Staatenberichts zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt. Das Projekt „Fair Culture – Ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung“ beschäftigt sich mit der Umsetzung fairer Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler weltweit. 2023 erstellten wir im Rahmen eines Interviewprojekts eine Analyse der Situation von geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine in Deutschland und formulierten Handlungsempfehlungen für deren besseren Schutz.
Restauro: Die DUK ist ja bei den Anträgen der Anwärter auf den Welterbetitel nicht beteiligt. Warum ist das so?
Das Nominierungsverfahren sowie die Zuständigkeiten im Bewerbungsverfahren sind in den Richtlinien für die Durchführung der Welterbekonvention festgehalten. Lediglich Staaten können Vorschläge für die Nominierung von Welterbestätten bei der UNESCO einreichen. Da die Deutsche UNESCO-Kommission ein unabhängiger Verein ist, kann sie keine solche hoheitliche Aufgabe übernehmen. Dies muss direkt über die Bundesregierung geschehen, in diesem Fall über das Auswärtige Amt. Auf nationaler Ebene gibt es aufgrund des deutschen Föderalismus im internationalen Vergleich sehr spezielle Regularien, die in der Handreichung der Kultusministerkonferenz der Länder zum UNESCO-Welterbe erläutert werden. Da die meisten Welterbestätten Stätten des Kulturerbes (und nicht des Naturerbes) sind, greift die Kulturhoheit der Länder. Das Auswärtige Amt ist mit seiner Koordinierungsstelle Welterbe also zugleich die Stimme Deutschlands in der UNESCO und Schnittstelle zu den deutschen Bundesländern.
Restauro: Kann denn die DUK unterstützend dazu gerufen werden?
Es ist Aufgabe der Deutschen UNESCO-Kommission, dazu beizutragen, dass die Maßgaben der Welterbekonvention in Deutschland umgesetzt werden. Die DUK entwickelt in diesem Sinne Informationsangebote, die sie den eingeschriebenen Welterbestätten zur Verfügung stellt. Wir vermitteln Expertise und unterstützen die nationale wie internationale Zusammenarbeit von Welterbestätten sowie die Vernetzung mit anderen UNESCO-Stätten wie Geoparks, Biosphärenreservaten oder Trägergruppen des immateriellen Kulturerbes. Weitere Schwerpunktthemen neben Beratung und Vernetzung sind Welterbevermittlung und -bildung, Einbindung junger Expertinnen und Experten in den Welterbeschutz sowie die Sichtbarmachung der Zusammenhänge zwischen Welterbe und nachhaltiger Entwicklung. Die breite Öffentlichkeit erreichen wir beispielsweise über Aktionen wie den UNESCO- Welterbetag, der bundesweit an den 52 Welterbestätten immer am ersten Sonntag im Juni stattfindet. Selbstverständlich werden wir von diversen Akteuren immer wieder auf Nominierungsverfahren und deren Abläufe angesprochen. Wir erläutern dann gern die nationalen und internationalen Regularien und stehen mit den oben genannten Themen den Interessierten mit Rat und Tat zur Seite.
Restauro: Wie läuft ein Antrag auf den Welterbetitel ab?
Verkürzt gesagt, sind die Vertragsstaaten aufgerufen, bedeutende Stätten – also materielles Erbe – auf ihrem Territorium zu benennen und deren Bedeutung als unersetzliches Menschheitserbe in einem Nominierungsverfahren zu präsentieren. Auf der Basis der Begutachtung durch die Beraterorganisationen ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege) und IUCN (Internationale Union zur Bewahrung der Natur) und weitere Beratung durch ICCROM (Internationale Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut) trifft das Welterbekomitee letztlich die Entscheidung über eine Einschreibung in die Welterbeliste. Das Welterbekomitee tritt einmal jährlich zu einer großen internationalen Sitzung zusammen. Es besteht aus 21 auf Zeit gewählten Ver- tragsstaaten der Welterbekonvention. In diesem Jahr trifft sich das Komitee vom 21. bis 31. Juli in Neu Delhi, Indien.
Im Detail sieht das dann so aus: Der erste Schritt in Nominierungsverfahren sind nationale Vorschlagslisten, sogenannte „Tentative Lists“. In der Regel sollten Tentativlisten die Antragsplanung eines Zeitraums von ungefähr zehn Jahren abbilden. Eine neue Tentativliste für Deutschland wurde im Frühjahr 2024 vorgestellt. In Deutschland sind aufgrund der Kulturhoheit der Länder Unterschutzstellung und Pflege von Kulturdenkmälern Angelegenheit der Bundesländer und ihrer Denkmalbehörden. Die Länder haben daher auch das Nominierungsrecht. Sie sind zugleich zuständig für die finanziellen Verpflichtungen, die sich aus der Aufnahme von Stätten in die Welterbeliste ergeben. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland werden mögliche Anträge deshalb zunächst von der beantragenden Stätte in Zusammenarbeit mit dem für Denkmalangelegenheiten zuständigen Ressort des entsprechenden Landes bearbeitet. Die Kultusministerkonferenz (KMK) führt die aus den Ländern kommenden Vorschläge für Kultur- wie auch Naturerbestätten zu einer einheitlichen deutschen Vorschlagsliste zusammen. Mehr Informationen zu den Abschnitten des Nominierungsverfahrens auf nationaler Ebene finden sich in der Handreichung der Kultusministerkonferenz der Länder zum UNESCO-Welterbe. Die Vorschlags- bzw. Tentativliste dient nach der Verabschiedung durch die KMK als Grundlage für künftige Nominierungen. Bislang konnten nur mindestens ein Jahr lang auf der offiziellen Tentativliste des Vertragsstaates eingetragene Stätten in einem weiteren Schritt als Anträge zur Aufnahme in die Welterbeliste eingereicht werden. Ein Verfahren, dem in Zukunft ein weiterer Schritt, das „Preliminary Assessment“ durch ICOMOS oder IUCN, vorgeschaltet wird.
Deutsche Anträge werden vom zuständigen Landesministerium über die KMK dem Auswärtigen Amt zugeleitet, das die Übermittlung über die Ständige Vertretung Deutschlands bei der UNESCO an das UNESCO-Welterbezentrum in Paris vornimmt. Das Welterbezentrum prüft die Anträge auf förmliche Richtigkeit. Anträge müssen bis zum 1. Februar eines Jahres eingereicht werden, um im darauffolgenden Jahr dem Welterbekomitee zur Entscheidung vorgelegt werden zu können. Nach dieser ersten Prüfung durch das Welterbezentrum führen Expertinnen und Experten der Beratungsorganisationen ICOMOS International und IUCN eine eingehende Evaluierung durch, auf deren Grundlage das Welterbekomitee in seinen jährlichen Sitzungen über die Aufnahme in die Welterbeliste entscheidet. Zentral bei jeder Welterbestätte ist der außergewöhnliche universelle Wert („OUV“), der sich aus der Erfüllung eines oder mehrerer von zehn, in den Richtlinien genau beschriebenen Kriterien ergibt. Als Welterbe eingeschrieben werden können Einzelmonumente, historische Stadtlandschaften, archäologische Stätten, Natur- und Kulturlandschaften oder geologische Formationen. Sie können mehrere räumlich getrennte Elemente aufweisen und sogar auf dem Gebiet mehrerer Staaten liegen. Das Wattenmeer, das Gebiete in den Niederlanden, Deutschland und Dänemark umfasst, ist ein Beispiel für eine solche grenzüberschreitende Stätte. Die Bauten Le Corbusiers, die unter Welterbeschutz stehen, liegen gar auf mehreren Kontinenten.
Restauro: Haben sich die Anforderungen an einen UNESCO- Welterbeantrag geändert?
Von vielen Stellen ist zu hören, dass die Anträge im Laufe der Jahre immer länger und umfangreicher wurden. Die Anforderungen haben sich teilweise geändert, das stimmt. Auf seinen jährlichen Sitzungen beschließt das Welterbekomitee Änderungen und Neuerungen in den schon erwähnten Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Zuletzt geschah dies bei der letzten Welterbekomiteesitzung im September 2023 in Riad, Saudi-Arabien. Zugleich ist die Expertise im Erstellen der Anträge zumindest in der Region Europa/Nordamerika in den letzten Jahren und Jahrzehnten gestiegen. Und auch die Empfehlungen der Beraterorganisationen ICOMOS und IUCN, auf deren Basis die 21 Komitee-Mitgliedsstaaten ihre Entscheidungen treffen sollen, sind umfangreicher, vergleichbarer und elaborierter geworden. Man muss bedenken, dass die Welterbekonvention von 1972 eine der ältesten UNESCO-Konventionen ist. Mit dem Aachener Dom befindet sich eine der weltweit am längsten eingeschriebenen Stätten überhaupt auf der Liste der Welterbes: Der Dom ist seit 1978 Welterbe. Damals reichte dafür eine Empfehlung von ICOMOS, die knapp zwei Seiten umfasste. Heute ähneln die Nominierungsdossiers von Umfang und Inhalt her eher wissenschaftlichen Studien.
Restauro: Welchen Nutzen hat der Welterbetitel?
Eine Einschreibung bedeutet vor allem erst einmal die Verpflichtung seitens des Nationalstaats, auf dessen Gebiet die Stätte liegt, den außergewöhnlichen universellen Wert dieser Stätte zu schützen und zu erhalten sowie dessen Bedeutung an die Bevölkerung zu vermitteln. Es ist wichtig, dies immer wieder zu betonen: Wenn eine Stätte in die Welterbeliste eingeschrieben wird, ist das auf mehreren Ebenen für uns alle von Bedeutung. Welterbe zu sein heißt immer, Welterbe der gesamten Menschheit zu sein. Ein Geschenk, aber auch ein Auftrag an die gesamte Menschheit, Verantwortung für die eingeschriebenen Stätten zu übernehmen. Und ja, gerade in Zeiten eines globalen Tourismus bedeutet die Einschreibung neuer Welterbestätten oftmals auch einen Anstieg von Besucher:innenzahlen. Das bringt häufig positive wirtschaftliche, aber auch mögliche negative Folgen mit sich, beispielsweise für die Umwelt. Es gilt, diese Konsequenzen in ein messbares Gleichgewicht zu bringen und Schäden für die außergewöhnlichen universellen Werte der Stätten unbedingt zu vermeiden.
Restauro: Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur Erlangung des Welterbetitels?
Pauschal lässt sich das nicht sagen. Basierend auf den Erfahrungen der letzten Zeit, lässt sich festhalten, dass mit zehn Jahren gerechnet werden muss. Die Vorschläge der nationalen Tentativliste werden zudem nach und nach, Jahr für Jahr abgearbeitet. So kann es sein, dass sich Anträge über viele Jahre auf der deutschen Tentativliste befinden, ohne dass das Welterbekomitee sich mit ihnen befasst. Manchmal, wenn die Beraterorganisationen die Empfehlung zur Nachbesserung oder grundlegenden Überarbeitung von Nominierungsdossiers geben, dauert es sogar noch länger.
Restauro: Der UNESCO wird immer wieder vorgeworfen, die Vergabe der Welterbetitel sei eurozentristisch. Was ist Ihre Meinung dazu? Woran liegt es, dass Länder der südlichen Hemisphäre weniger Welterbetitel haben?
Wenn man sich die Zahlen anschaut, so muss man sagen, dass die Kritik durchaus berechtigt ist. Die Großregion Europa und Nordamerika hat im Vergleich zu anderen Weltregionen deutlich überproportional viele Welterbestätten. Deutschland ist seit Jahren unter den fünf Ländern mit den meisten Welterbestätten, aktuell sind es 52 (Juni 2024). Nur China und Italien haben mehr. Vermutlich liegt das an der Kombination aus besseren finanziellen Möglichkeiten, besser ausgebildetem Personal an den entsprechenden Stellen, aber auch einer Konvention, der man ihrerseits auch den Vorwurf machen könnte, dass sie zumindest im Kulturerbe einen eurozentristischen Denkmalbegriff eher bedient als außereuropäische Vorstellungen eines materiellen Erbes der Menschheit. Die UNESCO bemüht sich, dem seit Jahren entgegenzusteuern, etwa durch die verstärkte Einbindung lokaler Gemeinschaften und immaterieller Denkmaleigenschaften. Auch dürfen seit einigen Jahren Vertragsstaaten nur noch eine Nominierung pro Jahr einreichen und die Zahl der maximal jährlich möglichen Einschreibungen ist auf 35 gedeckelt. Leider lässt ein sichtbarer Erfolg bislang auf sich warten.