11.05.2016

Museum

Gänzlich unbunt und niemals farblos

1806
1806

Quer durch die Kunstepochen

 

Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Farbe Grau in der Kunst gab es bisher noch nicht. Das muss nicht unbedingt überraschen, doch nach der Lektüre des Buchs „Die Farbe Grau“, das Magdalena Bushart und Gregor Wedekind herausgegeben haben, gibt es einigen Grund, über die kunsthistorische Nicht-Beachtung zu staunen. Denn wenn Künstler sich für die Farbe Grau entschieden, war das immer eine bewusste Wahl mit über das Kunstwerk hinaus weisender Bedeutung. „Buntes Unbunt wiederzugeben bedeutet, den artifiziellen Charakter des Kunstwerks, sein Gemachtsein zu betonen“, schreiben die Herausgeber.

Ihre Autoren stellen Beispiele aus verschiedenen Phasen der Kunstgeschichte vor. Beginnend mit Grisaillen in der Glasmalerei des Mittelalters über die Gemälde der Brüder van Eyck zu den Sgraffito-Dekorationen des Florentiner Quattrocento und zu „Grau im Goldenen Zeitalter der Niederlande“. Darüber hinaus werden Grau-Malereien unter anderem bei John Constable, Philipp Otto Runge, im Symbolismus und bei Cy Twombly sowie Gerhard Richter betrachtet.

Das Titelbild von „Die Farbe Grau“. Foto: De Gruyter
Philipp Otto Runge: Petrus auf dem Meer, 1806, Hamburg, Kunsthalle. Foto: De Gruyter
Florenz, Palazzo Medici-Riccardi, Innenhof, Westseite, Sgraffito-Dekorationen, 1452 (September 2012). Foto: De Gruyter
Hans Memling: Moreel-Triptychon, Detail: Kopf des hl. Georg, 1484, Brügge, Groeningemuseum. Foto: De Gruyter

Ausgefeilte Ornamentik statt Farbigkeit

Dass die Autoren zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung jeweils ein bestimmtes Werk oder einen Künstler hinzunehmen, trägt durchaus zur Verständlichkeit der Texte bei. Die sind naturgemäß sehr wissenschaftlich, denn wer sich mit Grau beschäftigt, kommt nicht ohne theologische oder philosophische Exkurse aus. Das beginnt bei den Glasfenstern der Zisterzienser, die aufgrund der Ordensregel unbunt und ornamental sein mussten, wie Michael Burger schreibt. Eine Abkehr von künstlerischer Gestaltung war das jedoch nicht.

„Der Verzicht auf Farbigkeit und Zeichnung bedeutet aber keinesfalls, dass die Zisterzienser sich generell für einfachste Verglasungen im Sinne des Herstellungsprozesses und des Erscheinungsbildes entschieden haben”, schreibt Burger. Vielmehr besteche selbst die frühesten Zisterzienserfenster durch eine ausgefeilte Ornamentik, die mittels Glaszuschnitt und Bleirutenführung erreicht werden konnte. Angesichts dieser teilweise unglaublich faszinierenden Flechtbandmuster scheine es schwer vorstellbar, dass das Ziel jegliche Ablenkung vom kontemplativen Gebet auszuschließen, je erreicht wurde.

Auch Philipp Otto Runge nutzte Spielarten von Grau, um Bedeutungen zu transportieren und entwickelte dazu eine eigene Farbtheorie. Saskia Pütz stellt diese Theorie in ihrem Text vor und erklärt am Beispiel des linken, gänzlich unscharfen und wie im Wasser aufgelösten Fußes im Gemälde „Petrus auf dem Meer“: „So wird Buntfarbe als göttliche Offenbarung und Schöpfung aus oder gegenüber dem uneigentlichen Mischwert des Graus für den Betrachter auf der Leinwand nachvollziehbar. Der sich im Prozess des Auflösung befindliche Fuß ist somit kein Zeichen künstlerischer Defizienz oder einer noch fehlenden Ausführung, sondern kann als zentrales Moment eines Programmbildes in künstlerisch-theologischer Hinsicht gedeutet werden.“

Mit Blick auf Gerhard Richter

Das Wissen um diese und vergleichbare Besonderheiten der Verwendung von grauer Farbe eröffnet Betrachtern ebenso wie Wissenschaftlern und Restauratoren neue Einblicke und ein spezielles Verständnis für die oftmals geistesgeschichtlichen Gründe, graue Bilder zu malen.

Traditionell lehnt Gerhard Richter solche Interpretationen ab, traditionell kann er ihnen trotzdem nicht entgehen. Und so schließt dieses überaus erhellende Buch mit einem Text des Herausgebers Gregor Wedekind über den heute 84-jährigen Gerhard Richter.

Dieser Text ist angesichts von Richters Foto-Abmalungen und komplett grauen Bildtafeln angemessen. Ein Ausblick auf Grau-Maler jüngerer Generationen wäre allerdings zum Abschluss dieser so grundlegenden wie erhellenden Texteversammlung interessant gewesen.

Magdalena Bushart, Gregor Wedekind (Hrsg.) „Die Farbe Grau“, De Gruyter, 328 S., 79,90 Euro

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