11.04.2025

Branchen-News Welterbe

Eine unendliche Geschichte

Heute ist der Blick vom Belvedere bereits durch moderne Bauwerke beeinträchtigt. Seit 2017 steht das historische Zentrum Wiens wegen eines geplanten Hochhausprojekts auf der Liste des gefährdeten Weltkulturerbes. Foto: Kunsthistorisches Museum Wien, Bilddatenbank, via Wikimedia Commons, gemeinfrei.jpg

Seit Jahren hofft Wien, seine Altstadt möge doch bald von der Roten Liste des UNESCO-Kulturerbes gestrichen werden. Doch der Auslöser für die Listung, ein geplantes Hochhaus, wird nur widerwillig angepasst und sprengt bis heute die vorgegebene Höhe.


Status in Gefahr

Was haben Manama, Baku, Fuzhou und Riad gemeinsam? In genau diesen Städten hielt das UNESCO-Welterbekomitee in den vergangenen Jahren seine regulären Sitzungen ab, ohne dabei die historische Altstadt Wiens von der Liste des gefährdeten Weltkulturerbes zu streichen. Auf dieser Liste notiert das Komitee Welterbestätten, deren Fortbestand etwa durch Zerstörung oder Baumaßnahmen gefährdet ist und deren Welterberang bald aberkannt werden könnte, so nicht entschieden eingegriffen wird. Wie die Altstadt Wiens überhaupt erst auf dieser Liste auftauchen konnte, ist eigentlich mit wenigen Worten erklärt – oder mit ganz vielen. Die kurze Version geht schnell: Sie könnte bald ihren Welterbestatus verlieren, weil ein Hochhaus in der historischen Stadtmitte gebaut werden soll. Für die lange Version ist es notwendig, etwas auszuholen, denn zwischen der Stadt Wien und der UNESCO ist eine Art Tauziehen um den prestigeträchtigen Welterbestatus der Altstadt entbrannt, das mittlerweile mehr als zehn Jahre andauert.


Zu hoch fürs Welterbe

Nachdem die UNESCO 1996 das historische Zentrum Salzburgs zur ersten Welterbestätte Österreichs ernannte, folgte Wiens Stadtmitte 2001. Seitens der UNESCO machte man dann, als bekannt wurde, dass das Heumarkt-Areal umgestaltet werden sollte, ab 2013 eine klare Vorgabe: Im Areal des Weltkulturerbes sei nicht höher zu bauen, als der Bestand es vorgibt, ansonsten werde der Welterberang entzogen. Maßgebend für den Bestand seien dabei die 43 Meter des Intercontinental Wien, ein nach heutigen Maßstäben wenig ansehnlicher Hotelklotz aus dem Funktionalismus, der zudem deutlich höher aufragt als die umliegenden gründerzeitlichen Gebäude. Für sich schon ein Bruch der Stadtmorphologie, ließ die UNESCO verlauten und ging noch weiter: Sollte ein Abriss des Hotels anstehen, solle die Gelegenheit genutzt werden, die Höhe des neuen Gebäudes an ebendiese Gründerzeitbebauung mit etwa 27 Metern anzupassen. Davon unbeeindruckt, plante der Wiener Gemeinderat am Heumarkt ein Paket aus Umbau- und Sanierungsmaßnahmen, das den Abriss des Intercontinental beinhaltete und an dessen Stelle ein über 70 Meter hohes Luxuswohnhaus vorsah. Nachdem sich die UNESCO unmissverständlich kritisch zum Projekt geäußert hatte, schrumpfte das Gebäude auf 66 Meter zusammen – immerhin noch ganze 23 Meter über der Vorgabe. Mitte 2017, kurz nachdem der Wiener Gemeinderat die Flächenwidmung für das Projekt durchwinkte, war es dann so weit: Bei seiner Sitzung in Krakau setzte das Welterbekomitee die Wiener Altstadt auf die Rote Liste des gefährdeten Weltkulturerbes. Das Heumarkt-Projekt ist ein Paket aus Umbau- und Sanierungsmaßnahmen.

Die Stadt Wien – wie Canaletto sie einst sah. 1760 malte er seine berühmte Ansicht von Wien auf der man die Karlskirche, den Turm des Stephansdom aber auch das Palais Schwarzenberg sowie das Untere Belvedere erkennt. Foto: Vienna Reyes | Unsplash

Canaletto-Blick: die gefährdete Sichtachse

Einer der Dreh- und Angelpunkte der Diskussion ist der Canaletto-Blick. Ihn sieht die UNESCO durch das Bauvorhaben beeinträchtigt. Dabei handelt es sich um eine Sichtachse, die 1760 durch das Gemälde „Wien, vom Belvedere aus gesehen“ von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, populär wurde. Das Gemälde lässt sich heute übrigens im Wiener Kunsthistorischen Museum bewundern. Es zeigt – wie es der Name vermuten lässt – die erhöhte Perspektive vom Oberen Schloss Belvedere in Richtung der Innenstadt. Im Lauf der Jahrhunderte veränderten zahlreiche weitere Gebäude den Canaletto-Blick, unter anderem Bausünden wie das Hotelgebäude, das besonders markant hervorsticht, weil es nahezu genau in der Verlängerung der Mittelachse des Schlossgartens liegt. Eines der Ziele der UNESCO ist es also, weitere Beeinträchtigungen des Blicks zu verhindern. Von so großer stadtdefinierender Bedeutung ist die Sichtachse, dass jedes störend hinzukommende Element den Welterbecharakter Wiens beeinträchtigt.


Wer bietet weniger?

Das geplante Gebäude zerstöre das Stadtbild, befand demnach ein Gutachten der Organisation ICOMOS, die die UNESCO in Sachen Welterbe berät. Ein Baubeginn würde deshalb den Verlust des Titels „Welterbe“ bedeuten. Die Stadt Wien und die Bauherrin Wertinvest reagierten daraufhin mit einem Gebäude von 56 Metern Höhe, die von der UNESCO, wenig überraschend, ebenso wie die vorigen Entwürfe moniert wurde. In einer letzten Iteration versuchte man es mit einem etwa 50 Meter hohen Wohnturm, der aktuell der UNESCO zur Prüfung vorliegt. Man darf also weiterhin gespannt sein, auf welche Gebäudehöhe es im Wiener Heumarkt-Poker letztendlich hinausläuft. Viele sind indes mittlerweile eher verärgert denn gespannt. In einem offenen Brief von 2020 forderten Architektinnen und Architekten und Vertreterinnen und Vertreter wichtiger Institutionen in Wien etwa, die Stadt auf der Roten Liste der UNESCO zu belassen. Die Stadt Wien desavouiere die Republik Österreich vor aller Welt, setze sie sich doch beharrlich über internationale Staatsverträge hinweg und ergreife in ihren Augen nicht alle gebotenen Maßnahmen, um eine rechtswidrige Bauführung zu verhindern.


Ein Fall für die Seltenheit

Dass Welterbestätten ihren Rang von der UNESCO aberkannt werden, ist selten. Bisher gibt es weltweit nur drei Fälle, in denen sich die UNESCO zu diesem Schritt entschied. 2007 verlor der Oman den Titel für ein Wüstenschutzgebiet, in dem die seltene arabische Oryx-Antilope lebt. Wesentlich bekannter dürfte hierzulande der Fall Dresdens und dem Bau der Waldschlösschenbrücke sein, der 2008 zur Streichung der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal von der Welterbeliste führte. Zuletzt war es Liverpool, das 2021 wegen zahlreicher Bauvorhaben den Welterbetitel für seinen historischen Hafen verlor, nachdem dieser seit 2012 auf der Roten Liste notiert war.

Weiterlesen: Das Schloss Schönbrunn kann auf eine lange Geschichte zurückblicken und wurde maßgeblich durch Maria Theresia von Österreich geprägt.

Scroll to Top