16.02.2020

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Eine Million Euro für Provenienzforschung

Dieses Selbstporträt des Künstlers ist ein eigenhändiges Werk (Ausschnitt). Vincent van Gogh malte es Ende August 1889 und erwähnt es im Brief vom 19. September 1889 an seinen Bruder Theo. Nach der Eröffnung des neuen Norwegischen Nationalmuseums am Hafen von Oslo im Frühjahr 2021 wird es dann dort dauerhaft ausgestellt. Foto: Nationalmuseum, Oslo / ri ikke-kommersiell bruk (CC-BY-NC)
Dieses Selbstporträt des Künstlers ist ein eigenhändiges Werk (Ausschnitt). Vincent van Gogh malte es Ende August 1889 und erwähnt es im Brief vom 19. September 1889 an seinen Bruder Theo. Nach der Eröffnung des neuen Norwegischen Nationalmuseums am Hafen von Oslo im Frühjahr 2021 wird es dann dort dauerhaft ausgestellt. Foto: Nationalmuseum, Oslo / ri ikke-kommersiell bruk (CC-BY-NC)

Wie ein verantwortungsvoller Umgang mit menschlichen Überresten aus (vor-)kolonialen Zeiten aussehen kann, wird an akademischen Sammlungen schon lange diskutiert. Nun hat die Debatte auch die Museen erreicht. Denn eine Auseinandersetzung mit der Herkunft der Bestände und ihrem Einsatz in Forschung und Lehre fand hier bislang kaum statt. Ein international angelegtes, interdisziplinäres Forschungsvorhaben an der Universität Göttingen will dies nun nachholen. Die VolkswagenStiftung stellt dafür 980.000 Euro zur Verfügung


Nach Göttingen kamen die Schädel und Gebeine in den 1950er-Jahren aus dem damaligen Museum für Völkerkunde Hamburg. Das Foto zeigt einen Karteikasten aus der Anthropologischen Sammlung. Foto: Birgit Großkopf
Nach Göttingen kamen die Schädel und Gebeine in den 1950er-Jahren aus dem damaligen Museum für Völkerkunde Hamburg. Das Foto zeigt einen Karteikasten aus der Anthropologischen Sammlung. Foto: Birgit Großkopf

 

Die kulturhistorische Geschichte der Blumenbachschen Schädelsammlung an der Universität Göttingen ist beeindruckend. So brachte Goethe von seiner zweiten Italienreise (1786/88) einen Schädelabguss Raffaels mit. Und Thomas Turner schickte an Blumenbach einen ägyptischen Mumienkopf. Johann Friedrich Blumenbach war 1773 als ausgezeichneter Medizinstudent an die Universität Göttingen bestellt worden, wo er sich bald auf die Anatomie des menschlichen Schädels spezialisierte. Für seine Dissertation und anschließende Habilitation hatte er bis Ende des 18. Jahrhunderts an die hundert Schädel inventarisiert und beschrieben. Schnell erwarb sich Blumenbach national und international große wissenschaftliche Anerkennung und gilt heute als Begründer der vergleichenden Anatomie und Anthropologie. Für seine Studien erhielt er von Kollegen und Freunden – darunter Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe – immer wieder menschliche Schädel zugesandt, bis die „Blumenbachsche Schädelsammlung“ im 19. Jahrhundert 840 Schädel und Abgüsse umfasste, davon etwa 200 außereuropäischer Provenienz. Zusammen mit der „Sammlung Anthropologie“ mit etwa eintausend Schädeln und Schädelfragmenten aus Europa und Übersee dienen beide Sammlungen bis heute als Arbeitsobjekte für Lehre und Forschung.

Doch auch wenn an den akademischen Institutionen schon des längeren Provenienzforschung betrieben wird, sind viele Fragen noch offen und im musealen Kontext weitgehend noch nicht ausreichend reflektiert worden. So ist für beide Göttinger Bestände, „Blumenbachsche Sammlung“ und „Sammlung Anthropologie“, noch ungeklärt, wer die frühen Schädelsammler waren und wo, wann, wie die Schädel in den Besitz der Sammler und später nach Göttingen gelangten.

Diese Herkunftsfragen sollen nun unter der Direktorin der Zentralen Kustodie in Göttingen, Dr. Marie Luisa Allemeyer, in dem Forschungsprojekt „Sensible Provenienzen – Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten in den Sammlungen der Universität Göttingen“ beleuchtet werden. Weiter sollen an den Objekten Fragen rund um geografische Herkunft, Geschlecht und Sterbealter, Krankheiten und Todesumstände beantwortet werden. Die Debatte über den verantwortungsvollen Umgang mit menschlichen Überresten erfordert auch eine sensible Diskussion über die verantwortungsvolle Gestaltung von Provenienzforschung: Welche Untersuchungsmethoden sind notwendig und welche sind möglich? Wie können menschliche Überreste gelagert und öffentlich präsentiert werden? Eine wesentliche Rolle spielt auch die gemeinsame Entscheidung mit Forschenden aus den Herkunftsländern der Objekte, ob die Gebeine und Schädel rückgeführt werden sollen oder in den Sammlungen für weitere Forschungszwecke verbleiben können.

Für das Forschungunternehmen stellt die VolkswagenStiftung der Zentralen Kustodie 980.000 Euro zur Verfügung. Als die größte private deutsche wissenschaftsfördernde Stiftung möchte die VolkswagenStiftung mit der Bewilligung des Volumens von knapp einer Million Euro ermöglichen, dass auf dem sensiblen Feld anthropologischer Provenienzforschung verantwortungsvolle Standards gesetzt werden, erklärt die Projektverantwortliche Dr. Adelheid Wessler: „Mit unserer Förderung können wir einen wichtigen Impuls in einem sehr aktuellen Themenfeld geben. Das Forschungsprojekt kann dazu beitragen, Standards in diesem Bereich zu setzen, die in vielen weiteren Fällen zur Anwendung kommen können“.

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