05.09.2016

Museum

Wie ein Kriegsheimkehrer die Langsamkeit der Restaurierung entdeckt

36 Jahre nach seinem Entstehen wurde der Roman des englischen Autors Joseph Lloyd Carr ins Deutsche übersetzt. Eine Buchrezension. 

 

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Die gut behauenen Steine seien mit einem Hauch Mörtel verbunden, die Dachrinnen in Ordnung, konstatiert der Ich-Erzähler gleich am Anfang des Romans „Ein Monat auf dem Land“ von Joseph Lloyd Carr. Wer den Wert einer Kirche an diesen Kriterien misst, muss wohl Restaurator sein – so viel ist schnell klar.

Es gibt nicht viele Romane, in denen ein Restaurator die Hauptperson ist. Deshalb ist es umso schöner, dass dieser nun – 36 Jahre nach seinem Entstehen – aus dem Englischen ins Deutsche übertragen wurde. Dass das erst jetzt geschah, ist überraschend, denn Carrs Romans war 1980 für den Booker Preis nominiert. Außerdem wurde er bereits kurz nach seinem Erscheinen verfilmt.

Nach einigen wenigen Lesestunden – der Roman hat nur 150 Seiten – muss man sagen: Es ist ein Glücksfall, dass „Ein Monat auf dem Land“ nun endlich ins Deutsche übersetzt wurde. Denn Carrs Roman ist nicht nur die Beschreibung eines wunderbaren Sommers, den der 20-Jährige unverletzte, aber von nervösen Gesichtszuckungen und furchtbaren Erinnerungen geplagte Kriegsheimkehrer Tom Birkin auf dem Land erlebt. Es ist der Roman über einen Restaurator, der durch seine Arbeit an einem Wandgemälde in der Dorfkirche des fiktiven englischen Dörfchens Oxgodby nicht nur Arbeit, sondern Ruhe und Freunde findet.

Carr, der 1912 in der Grafschaft Yorkshire geboren wurde und 1994 an Leukämie starb, gelingt es wunderbar, die Stimmung eines herrlichen Sommers mit dem langsamen Freilegen eines Wandgemäldes zu verflechten. Die kleinen Exkurse in mittelalterliche Maltechnik, Farbenherstellung, Kunstauffassung und Beschreibungen des restauratorischen Handwerks sind so geschickt eingefügt, dass sie weder belehrend noch banal wirken.

Allein, dass das freigelegte Gemälde das jüngste Gericht mit Höllensturz und Himmelsversprechen zeigt, ist ein wenig sehr plakativ. Ebenso wie die Geschichte einer möglichen, aber nicht eingestandenen Liebe, die sich zwischen dem Restaurator und der Pfarrersfrau entwickelt. Doch letztendlich gehört das alles zwingend zu diesem Sommer, von dem es zu Anfang heißt: „Und dann, so wahr mir Gott helfe, überkam mich in diesen ersten Minuten meines ersten Morgens in Oxgodby das Gefühl, dass dieser nördliche Landstrich mir gar nicht feindlich, sondern wohlgesinnt sei, dass mein Leben eine entscheidende Wende genommen habe und dass mir dieser Sommer des Jahres 1920, der tatsächlich so strahlend bleiben sollte, bis die ersten Blätter fielen, eine glückliche, gesegnete Zeit bringen würde.“

Dieser leichte, alles Schwere überwindende Sound des Textes hat großes Verzauberungspotential. In einer solchen sommerleichten, geradezu unbeschwerten Stimmung wird das langsame Hervortreten des Wandgemäldes zum Sinnbild für die Suche des jungen Restaurators nach dem eigenen Leben: Je mehr Birkin vom Gemälde freilegt, desto mehr kommt er zurück ins Leben, zur Liebe, zu Ruhe und Freude. Dass ihm dabei das Restauratoren-Handwerk und die Begeisterung für die Kunst helfen, ist die weit über den Sommer 1920 hinausweisende Erkenntnis am Ende eines kleinen, anrührenden Romans.

Joseph Lloyd Carr „Ein Monat auf dem Land“, 158 S., Dumont Verlag, 18 Euro.

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