29.07.2020

Museum

Dinosaurier zum Laufen bringen

Berlin
bietet digitale Technologien speziell

Digitale Vermittlungsmethoden wie etwa interaktive Installationen oder Multitouch-Systeme können den sogenannten musealen Erzählraum erweitern und neue Besuchergruppen erreichen. Viele Naturkundemuseen nutzen bereits Technologien, wie sie zum Beispiel das Berliner Start-up Garamantis entwickelt. Etwas zögerlicher ziehen nun immer mehr Gemäldegalerien und andere Kunstmuseen nach


Das Berliner Start-up Garamantis bietet digitale Technologien speziell auch für Museen an. Hier die Präsentation des preisgekrönten Multitouch-Scanners auf einer Messe. Foto: Garamantis, Berlin
Das Berliner Start-up Garamantis
bietet digitale Technologien speziell
auch für Museen an. Hier die Präsentation
des preisgekrönten Multitouch-Scanners auf einer Messe. Foto: Garamantis, Berlin

Unübersehbar und unwiderstehlich. Bei der Langen Nacht der Museen 2017 waren sie eine der Hauptattraktionen im Berliner Naturkundemuseum: Tristan, das T-Rex-Skelett und sein virtuelles Alter Ego. Den ganzen Abend drängten sich Familien mit Kindern um den Multitouch-Scanner, der den Dinosaurier „zum Leben erweckte“. Da bislang noch nicht eindeutig klar ist, wie der Tyrannosaurus Rex zu Lebzeiten tatsächlich aussah – grau oder bunt, mit Federn oder ohne –, konnten junge Museumsbesucher am Publikumstag ihre Fantasie ausleben und die gedruckte Silhouette des Dinosauriers nach Belieben gestalten. Nach dem Einscannen ihrer Bilder verfolgten die kleinen Forscher mit einer Kamera, wie ihre Kreationen als virtuelle 3D-Darstellung über die Tischoberfläche liefen. Ein Foto ihres Dinos durften die Kinder als Erinnerung mit nach Hause nehmen.

„Natürlich galt das Angebot auch für die Väter“, bemerkt Andreas Köster augenzwinkernd. Man merkt dem Kommunikationsleiter von Garamantis selber an, dass laufende Dinosaurier durchaus auch Erwachsene faszinieren können. Garamantis hat den Multitouch-Scanner-Tisch entwickelt, den die Initiative Mittelstand 2017 mit dem Innovationspreis- IT auszeichnete. Das Unternehmen, das digitale Technologien speziell auch für Museen anbietet, wurde 2014 von den Informatikern Oliver Elias und Marcus Dittebrand gegründet. Namensgeber der Firma ist eine libysche Nymphe aus der römischen Mythologie, die von Zeus-Amun entführt wurde und den späteren König Jarbas gebar. Doch die Gründer reizte weniger der Mythos als vielmehr Klang und Schriftbild des Namens. Intuitiv verzichteten sie auf die branchenübliche Aneinanderreihung englischer Begriffe. Auch wenn man Informatikern vermutlich übergeordnet eher Rationalität zuschreibt, spielen Intuition und Emotion für Elias und Dittebrand eine wichtige Rolle: „Erst wenn passgenaue Hardware mit intelligenter Software zu einer Einheit werden, kann darüber auch eine emotionale Informationsvermittlung funktionieren“, so ihr Credo. Dies gelinge allerdings nur, wenn der Benutzer im Fokus steht, ergänzt Köster: „Der Nutzer sollte kein Technikgenie sein müssen, um die Installationen zu verstehen.“

Einige Häuser wie das Berliner Naturkundemuseum sind, wie Köster beobachtete, der neuen Technologien gegenüber besonders offen und fortschrittlich: „Sie nutzen die Digitalisierung erfolgreich als Alleinstellungsmerkmal.“ Ein Großteil der Museen im deutschsprachigen Raum hingegen sei an digitalen Innovationen zwar interessiert, verhielte sich aber zugleich skeptisch und abwartend. Für sie sei es ganz offenbar ein großer Schritt, tradierte Methoden und Ansätzen hinter sich zu lassen. Augmented Reality-Anwendungen können die Wahrnehmungsräume des Publikums erweitern und erleichtern zum Beispiel den Zugriff auf Kontextinformationen. Nach Überzeugung der Jungunternehmer geschehe dies keineswegs auf Kosten des analogen Museums, sondern klar zu dessen Vorteil. Schließlich gerieten viele Museen allein schon aus Platzgründen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen, argumentiert Köster. Tatsächlich fristet ein Großteil der meisten musealen Sammlungen ein Schattendasein im Depot. Auch Tafeln bieten nur knappen Raum für tiefergehende Informationen, vor allem, wenn sie mehrsprachig gehalten sind.

Digitalgestützte, interaktive Angebote können dieses Defizit in vielen Fällen ausgleichen, indem sie einen „erweiterten musealen Erzählraum“ schaffen. Zum einen erhält der Besucher virtuellen Zugang zu den Exponaten im Depot. Darüber hinaus kann er sich auf spezielle Aspekte konzentrieren – bestenfalls in der eigenen Sprache. „Die Methode des Storytellings bietet außerdem die Chance, ein Exponat in eine Erzählung einzubetten und in ihrem Kontext zu erklären“, führt Andreas Köster dazu aus. Virtual Reality Anwendungen seien für Museen allerdings weniger geeignet, wenn sie die Besucher vom eigentlichen Ort abschotteten. „Mit VR-Brillen begibt man sich in eine virtuelle Realität – und damit eben weg von der echten Wirklichkeit“, gibt Köster zu bedenken. „Dafür kann man ebenso gut zuhause bleiben“. Sinnvoll sei es daher vielmehr, eine interaktive Station mit dem musealen Ort zu verknüpfen.

Bereits seit vielen Jahren kooperieren die Gründer von Garamantis mit der Ars Electronica, einer der bedeutendsten und renommiertesten Medienkunst- Institutionen weltweit. Mit traditionellen Kunstmuseen sammelt die Firma noch Erfahrungen. Einem an digitalen Innovationen interessierten Kunstmuseum rät Köster, im Vorfeld den Status quo zu analysieren: Was genau bietet das Haus seinen Zielgruppen und wie ließe sich die Erfahrung verbessern und intensivieren? „Wir schauen dann, wo eventuell noch Barrieren in der Rezeption oder Vermittlung der Inhalte bestehen, und versuchen genau diese Defizite mit Hilfe moderner Technologien auszugleichen.“

Für eine Gemäldegalerie fällt Köster spontan der Einsatz einer sogenannten Gigapixel-Installation ein. Auf einem Screen oder einer Projektionsfläche ist das Gemälde zunächst eins zu eins abgebildet. Mittels Touch-Gesten kann sich der Besucher immer weiter in das Bild hineinzoomen und einzelne Ausschnitte vergrößern. Die Darstellung bleibt dabei scharf, während jeder Pinselstrich und auch das kleinste Detail erkennbar sind. „So erhält der Besucher einen ganz neuen Zugang zu einem Bild, das er normalerweise nur aus einem Sicherheitsabstand heraus betrachtet“, erläutert Köster einen der Vorzüge der Gigapixel- Installation. Zusätzlich seien auch andere digitale Aufnahmen des Gemäldes, wie beispielsweise Röntgenaufnahmen, oder tiefergehende Erläuterungen zum Werk abrufbar. „Wichtig ist hierbei, dass der Besucher den Screen intuitiv und spielerisch bedienen kann und sich in räumlicher Nähe zum Original befindet: So ist ein ständiger Bezug gegeben.“

Mehr zu Multitouch-Systemen in der Museumswelt lesen Sie in der RESTAURO 7/2019.

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